Wenn es um groรe Konflikte in unserer Gesellschaft geht, tauchen unsere gewรคhlten Politiker nur zu gerne weg. Sie werden zu wuschelweichen Frotteehandtรผchern, tun so, als stรผnde nichts in ihrer Macht, irgendwo gibt es irgendwelche Vertrรคge oder privatwirtschaftlichen Rechte. Und dann mรผssen Umweltvereine um drei Ecken klagen, weil vom Aussterben bedrohte Tierarten wenigstens ein einklagbares Gut sind. So wie im Hambacher Forst.
Was Leipziger nicht รผberraschen dรผrfte. Auch hier kรถnnen Frotteehandtuch-Beschlรผsse diverser windelweicher Verwalter nur gestoppt werden, wenn am Ende ein anerkannter Naturschutzverein im Interesse bedrohter Libellen, Molche, Eidechsen oder Fledermรคuse klagt.
Was viel zu selten geschieht. Die Leipziger Umweltvereine wissen es alle. Denn wer klagt in Deutschland, muss reich sein. So ein ehrenamtlicher Verein hรคlt also nicht viele Klagen durch. Selbst wenn er Recht bekommt, kann der nรคchste Richter in frotteweicher Gemรผtlichkeit wieder ganz im Sinne der gut munitionierten Amtswalter entscheiden. Erlebt bei der rechtswidrig beflogenen Kurzen Sรผdabkurvung รผber Leipzig.
So sieht Ohnmacht aus.
Unsere wichtigsten Gรผter sind verhandelbar.
Und natรผrlich sieht es seltsam aus, wenn in letzter Minute der Einspruch eines Umweltverbandes dafรผr sorgt, dass die Fรคllung des 12.000 Jahre alten Hambacher Forstes unterbleibt. Obwohl es eigentlich nicht um Fledermรคuse geht, sondern um einen Bergbaukonzern namens RWE, der auf Grundlage eines noch nicht genehmigten Betriebsplans einfach schon mal vorsorgen und den Wald beseitigen wollte, der bei einem eventuell positiven Bescheid fรผr den Betriebsplan im Weg gestanden hรคtte.
Nur sieht es ganz danach aus, dass RWE die Kohle unter dem Hambacher Wald genauso wenig braucht wie die LEAG die Kohle unter dem lausitzschen Mรผhlrose und die MIBRAG die Kohle unter Pรถdelwitz. Aber alle drei Fรคlle zeigen, wie sehr Konzerne in der heutigen Politik die Politiker vor sich hertreiben. Und wie konfliktscheu heutige Regierungen geworden sind, nachdem sich jahrelang das Mantra eingeprรคgt hat, dass Wirtschaft รผber allem steht.
Eine Konflikt-Scheue, die jetzt natรผrlich den Mann auf den Plan ruft, der seit Jahren predigt, wie Politik und Wirtschaft Transparenz herstellen und die Akzeptanz der Bรผrger erarbeiten kรถnnen.
Das ist bei den groรen Wirtschaftsbossen noch lange nicht angekommen. Sie schicken ihre Lobby-Vertreter in die Regierungen und handeln dort all die windelweichen Zugestรคndnisse aus, zu denen die Regierenden dann nicht wirklich stehen kรถnnen. Die Bรผrger haben einfach zu akzeptieren, was ihnen vor die Nase gesetzt wird.
Auch wenn der Spruch des OLG Mรผnster von den Verfechtern des Klimaschutzes und eines raschen Kohleausstiegs bejubelt wird, lohnt es, genauer hinzuschauen, meint der Leipziger Akzeptanz-Forscher Uwe Hitschfeld.
Denn ein weiteres Mal habe unsere Gesellschaft nicht die Kraft aufgebracht, eine (wirtschafts-)politische Frage dort zu lรถsen, wo sie hingehรถrt: im gesamtgesellschaftlichen Diskurs und in einem gewรคhlten Parlament. Vielmehr wurde das Umwelt- und Artenschutzthema ein weiteres Mal bemรผht โ oder besser benutzt, um eine gesellschaftlich strittige Entscheidung โ zumindest aufzuschieben. Das aber kennen wir schon, sagt Hitschfeld: Fledermรคuse, Rotmilane, Schwarzstรถrche oder Wasserfenchel โ mit Naturschutz lรคsst sich trefflich โInfrastrukturpolitikโ betreiben.
โBaumhรคuser aus sogenannten Brandschutzgrรผnden zu rรคumen, ist genauso peinlich und unwรผrdig, wie von einer Fledermaus den Kohleausstieg einleiten zu lassenโ, findet Uwe Hitschfeld.
Und ergรคnzt, um es genauer zu erklรคren: โDamit wir nicht falsch verstanden werden: Umweltschutz ist wichtig und steht nicht zur Disposition. Deshalb ist er in europรคischen und deutschen Regelwerken verankert. Das ist gut so. Er darf aber nicht weiter zum Feigenblatt fรผr die Austragung der tatsรคchlichen Konflikte verkommen.
Sie gehรถren in einer Demokratie gefรคlligst auf die offene Bรผhne. Sonst leidet die gesellschaftliche Akzeptanz fรผr politische Entscheidungen โ und auch fรผr den Umweltschutz. Und die Bรผrger wenden sich jenen zu, die schnelle kraftvolle Lรถsungen versprechen โ und von den politischen Akteuren der Gegenwart immer weiter ab.โ
Die Mahnung ist deutlich: Wer sich als Politiker immer wieder hinter โalternativlosenโ Entscheidungen und dem โPrimat der Wirtschaftโ versteckt, verliert an Akzeptanz und Glaubwรผrdigkeit. Das nimmt kein Bรผrger mehr ernst, weil viel zu oft offen zutage liegt, dass wieder nur Einzelinteressen einflussreicher Leute bedient wurden und werden โ und das Gemeinwohl auf der Strecke bleibt.
Direkt vor ihren Augen erfahren die Bรผrger, dass ihnen die Leute auf der Nase herumtanzen, die den besseren Zugang zu den frotteeweichen Ministern haben. Und dass dabei all die Dinge, die den Bรผrgern als wichtig erklรคrt werden, schlicht verkuhhandelt werden. In diesem Fall der Klimaschutz und ein wertvoller Wald. Im nรคchsten Fall saubere Luft und Gesundheit der Menschen โ wie in der Dieselaffรคre.
Der Punkt, den Uwe Hitschfeld benannt hat, ist brisant.
Vielleicht wird er auch irgendwann begriffen.
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โDas nimmt kein Bรผrger mehr ernst, weil viel zu oft offen zutage liegt, dass wieder nur Einzelinteressen einflussreicher Leute bedient wurdenโฆโ Nein, ich finde, es ist noch viel schlimmer. Das ist eigentlich schon Korruption, natรผrlich noch nicht im strafrechtlichen Sinn. Aber wie soll man es nennen, wenn nach oder gar neben der politischen Karriere hรถchstbezahlte Beratervertrรคge oder Vortragshonorare etc. mitgenommen werden? Und zufรคllig wird โdie Politikโ immer bei den passenden Themen nicht frottee- sondern windelweich.