Soll man schreiben: Erwischt? Ertappt? Den wunden Punkt getroffen? Das trifft wahrscheinlich alles zu. Denn als der ostdeutsche Historiker Karsten Krampitz am 3. Oktober bei Deutschlandfunk seinen Essay „DDR neu erzählen“ veröffentlichte, dauerte es genau einen Tag, bis der westdeutsche Journalist Jan Fleischhauer im „Spiegel“ die Feder zur Verteidigung eines westdeutschen Bollwerks spitzte: „Wie man sich eines Feindes entledigt“.
Krampitz hatte in seinem Essay den gerade als Leiter der Gedenkstätte Hohenschönhausen entlassenen westdeutschen Historiker Hubertus Knabe eher nur beiläufig erwähnt, auch wenn es in seinem Essay zentral darum ging, was wirkmächtige Leute wie Hubertus Knabe in den vergangenen Jahren angerichtet haben.
Denn dass die ostdeutsche Geschichte so primitiv immer wieder nur als Geschichte der „zweiten deutschen Diktatur“ erzählt wird, das hat eine Menge mit Hubertus Knabe zu tun.
„Der Historiker Hubertus Knabe, bis vor kurzem der Leiter der Stasi-Gedenkstätte Hohenschönhausen – von Geburt Westfale, Jahrgang 59 – beanspruchte jahrelang die Deutungshoheit über die DDR-Geschichte – mit dem Ziel der vollständigen Delegitimierung der DDR als Unrechtsstaat. Dass damit auch das Leben dort vollständig infrage gestellt wurde, spielte keine Rolle“, schrieb Krampitz.
Und er verwies zu Recht auf die Rolle, die dabei die großen westdeutschen Medien die ganze Zeit spielten. Sie wurden zum Verstärker dieser einseitigen Geschichtsschreibung. Und da sie die Hoheit hatten über den medialen Luftraum, haben sie mit diesen simplen Sichten auch die Debatte über die Ostdeutschen geprägt.
Es passte so schön. So konnte man eine ganze Region in den Sack stecken, bewerten, abwerten und in der alten Arroganz der Besserwissenden verharren.
Auch dann noch, als sich die Historiker längst gründlicher und umfassender mit der Geschichte der DDR beschäftigten. Das Land und seine Bewohner waren viel komplexer als dieses wirklich primitive Schwarz-Grau-Bild, das gerade die meinungsstarken Blätter aus westlicher Perspektive malten.
„Nicht in der ‚Bild‘-Zeitung, wohl aber in der Fachwelt wurde er dafür kritisiert: Die Kulturwissenschaftlerin Carola S. Rudnick promovierte vor einigen Jahren zur Arbeit der DDR-Gedenkstätten“, schreibt Krampitz. „In der Einleitung ihrer viel beachteten Dissertation zitiert sie den französischen Philosophen Paul Ricœur: ‚Urteil und Strafe sind Sache des Richters; der Kampf gegen das Vergessen und für eine wahrhaftige Erinnerung ist Sache des Bürgers; dem Historiker bleibt es vorbehalten, zu verstehen ohne zu verurteilen und ohne zu entschuldigen‘.
Aufarbeitung heißt Aufklärung, nicht Vergeltung. In diesem Sinne stellte Rudnick dem Gedenkstättenleiter Knabe ein schlechtes Zeugnis aus: Er habe ‚pro-aktiv‘ eine antikommunistisch gefärbte Geschichtspolitik betrieben. Dem ‚Zeitzeugenangebot‘ seiner Einrichtung hätten begleitende, objektivierende Informationsmaterialien und Ausstellungen gefehlt, die die opferzentrierte, monoperspektivische Geschichtsvermittlung in einen übergeordneten historischen Kontext setzten.“
Und Krampitz ist in der Historikerwelt kein Unbekannter
Genauso wenig wie Hubertus Knabe. Doch er setzte dem einseitigen Bild Knabes genau das entgegen, was die Tugend richtiger Historiker ist: Er lässt die unterschiedlichen Perspektiven auf Ereignisse sichtbar werden. Was 2016 zum Beispiel auch die „Frankfurter Rundschau“ in der Besprechung seines Buches „1976. Die DDR in der Krise“ besonders hervorhob: „Krampitz’ Buch gelingt ein differenzierter Blick auf die Geschichte der DDR, die vielschichtiger und komplizierter war, als sie heute oftmals dargestellt wird.“
Zuvor hatte die Vorveröffentlichung gerade bei den konservativen Mitgliedern der Linkspartei für heftigste Empörung gesorgt. Denn wer die simple Sieger-Verlierer-Sicht auflöst, der zeigt erst richtig, wie brüchig, unbeholfen, falsch oder unzeitgemäß geschichtliche Akteure handeln. Dass Menschen Fehler machen, ihr Ego über die Einsicht stellen, in Machtgefügen verfangen sind usw.
Und Krampitz weist darauf hin, dass gerade Hubertus Knabe mit seiner primitiven Schwarz-Rot-Malerei unter Historikern heftige Kritik erntete.
Und kaum musste er seinen Posten als Leiter der Gedenkstätte räumen – und zwar nicht wegen seiner historisch platten Thesen, sondern weil er sexuelle Übergriffe gegen Mitarbeiterinnen der Gedenkstätte mehr oder weniger geduldet haben soll – kommt ausgerechnet vom westdeutschen Vorzeige-Journalisten Jan Fleischhauer die seltsame Verteidigung Hubertus Knabes, als wäre es ausgerechnet die Linkspartei, die den Mann aus seinem Amt gemobbt hätte.
„Knabe hat in den 17 Jahren, die er der Gedenkstätte vorstand, keine Gelegenheit ausgelassen, die Linkspartei an ihre Vergangenheit zu erinnern. Wenn sie auf der Linken versuchten, sich als eine etwas entschiedenere Variante der SPD zu inszenieren, kam Knabe um die Ecke und sagte, dass es sich bei der Linken nach wie vor um die gute alte SED handeln würde, und zwar im wörtlichen Sinne. Tatsächlich hat sich die Partei zwischenzeitlich viermal umbenannt, juristisch ist sie immer noch die Gleiche“, schreibt Fleischhauer.
Und sofort ist man wieder drin in Knabes altem Schema. Da kann sich die Linkspartei noch zehn Mal mausern und im Westen längst mehr Mitglieder haben als im Osten – es gibt immer wieder dieselbe Keule. Als bräuchte das westdeutsche Establishment der Edelfedern unbedingt ein altes, grau gewordenes Mammut, das sie immerfort jagen können. Man weiß es ja besser. Man schaut von oben herab auf diesen seltsamen Osten. Mit Hubertus Knabe kennt man ihn ja besser als die, die drin wohnen oder gar – wie Krampitz – wirklich forschen.
Kein Wunder, dass all die westdeutschen Großzeitungen und -magazine im Osten immer weniger Leser finden. Irgendwann ist ja gut mit diesem Gerede, bei dem einem westdeutsche Wunderknaben ständig erzählen, wie es in der DDR tatsächlich war. Stets mit dieser Herablassung, die immer mit anklingen lässt: Ihr könnt es nicht. Bewährt euch erst mal. Werdet erst mal richtige Demokraten und Menschen wie wir.
Die Pointe, die Fleischhauer dann am Ende findet, ist wieder genau diese mäklige Moralapostelei, die Belehrer-Pose des Besserwissers.
Die Pointe, die Krampitz gewählt hat, ist um einiges besser, weil er einen wirklich klugen (DDR-)Autor zitiert : „Der Schriftsteller Wolfgang Hilbig geißelte die Wiedervereinigung beziehungsweise ihre Folgen als ‚Unzucht mit Abhängigen‘. In seiner Rede zur Verleihung des Lessing-Preises sagte Hilbig: ‚Vielleicht wird uns eines Tages die Erkenntnis kommen, dass erst jener Beitritt zur Bundesrepublik uns zu den DDR-Bürgern hat werden lassen, die wir nie gewesen sind, jedenfalls nicht, solange wir dazu gezwungen waren.‘“
Es gibt 2 Kommentare
Was darüber hinaus mitschwingt, obwohl es nicht genannt wird, ist Francis Fukuyamas These vom Ende der Geschichte. So betrachtet ist natürlich Alles, was links und rechts des Weges zum endgültigen Zustand der Welt als republikanisch-demokratisch und kapitalistisch liegt nur gleichermassen als Verirrung zu betrachten. Damit gleichzusetzen und zu verurteilen. Nur tappt der zünftige Historiker hier in die selbe Falle wie der historische Materialist.
Vielleicht wird uns eines Tages die Erkenntnis kommen, dass erst jener Beitritt zur Bundesrepublik uns zu den DDR-Bürgern hat werden lassen, die wir nie gewesen sind, jedenfalls nicht, solange wir dazu gezwungen waren.‘
Ja, jedenfalls auf mich trifft das voll zu, und es scheint ja noch ein paar mehr Leute zu geben, die sich darin wiederfinden.