Manchmal sind es solche Momente wie in der Leipziger Straßenbahn, die einem – ein wenig schrill – deutlich machen, was da gerade passiert in unserer Gesellschaft. Jeder kennt das, wenn Mütter sichtlich nicht in der Lage sind, „Nein“ zu sagen, die Knirpse aber unbedingt auf diesen tollen Knopf drücken wollen, mit dem die Türen aufgehen. Sie reichen zwar nicht ran, aber sie wissen, wie sie Mutti so lange nerven können, bis Mutti entnervt beidreht.
Das Wichtigste an diesen Szenen ist gar nicht mal der Knopf. Kinder setzen sich alles Mögliche in den Kopf, das sie unbedingt und sofort haben möchten oder tun möchten. Und wenn sie ihren Willen nicht sofort bekommen, kennen sie ein riesiges Reservoir an Handlungsmöglichkeiten, die Eltern dazu zu zwingen, ihnen gehorsam zu sein.
Das Problem sind die Eltern. Tut mir leid, wenn ich einigen jetzt wieder auf den Schlips trete. Aber so geht Framing.
Vielleicht lernen wir es ja noch. Zusammen. Denn das Zwingende am Framing ist ja nicht, dass eine dumme Idee erst mal da ist – die Straßenbahn kann ja nicht losfahren, wenn die Tür immer wieder aus Dumdudeldei aufgemacht wird. Das Zwingende ist seine penetrante Wiederholung. Das Kind ist ja nicht erlöst, wenn es zwei Mal, drei Mal die Tür hat aufgehen lassen. Es will immer weitermachen. Und die Eltern werden nervös und versuchen das zu unterbinden. Und die anderen Fahrgäste werden zunehmend unruhiger. Und die Eltern werden lauter. Das Kind wird lauter.
Und die Eltern greifen zum Anherrschton, dass das mit dem Knopf jetzt aufhören soll. Sofort. Sonst. Und das Kind greift zur schärfsten Waffe und fängt an zu schreien, zu heulen, sich aus den Händen der Eltern zu winden und trotzig immer schriller sein Recht auf den Knopf zu fordern.
Das ist Framing.
Das Kind – das ja nur so eine übliche Kinderschnapsidee hatte – zwingt die Eltern, sich ganz auf das Thema des Kindes einzulassen. Wie auf Knopfdruck. Und damit bestärken sie das Kind in seinem Wunsch. Denn es gibt ja nur noch das eine Thema. Und die Fronten sind klar: JA oder NEIN. Dazwischen gibt es nichts. Das Kind schafft es durch seine zunehmende Lautstärke, sein Thema durchzusetzen.
Ist natürlich peinlich.
Ist aber unsere gesellschaftliche Realität.
So werden Themen gesetzt. Und dauerhaft in die Aufmerksamkeit der Menschen gepresst – mit Schrillheit, Lautstärke, Heulen. Beständigem Dauerlamento.
So lange, so laut und penetrant – immer im selben Ton: beleidigt, frustriert, schrill.
Chemnitz hat es nur wieder deutlich gemacht, wie es funktioniert, wie die Rechtsextremen im Land dafür sorgen, dass alle auf ihren Quengelauftritt starren und damit nur noch ihr Thema wieder alle Kanäle besetzt.
Sogar das ewige Geblöke von der „Lügenpresse“ funktioniert. Weil die Medien auch darüber berichten. Sie sind ganz Kamera und Mikro für das schrille Geschrei auf der Straße. Ein einziges Thema beherrscht wieder über Tage und Wochen die Schlagzeilen. Und wenn es ein Propagandaministerium gibt – und in gewisser Weise gibt es das ja, die Strategen der rechten Quengelzone wissen ganz genau, wie man mit schrillem Geschrei im Dauerton die komplette Aufmerksamkeit auf sich zieht – dann hat es alle Aktionen seit dem letzten Wochenende für sich als vollen Propagandaerfolg verbucht.
Man muss gar nicht mal alle Medien besitzen oder gleichschalten, um überall mit seiner Quengelbotschaft präsent zu sein. Man muss nur dafür sorgen, dass die Provokation möglichst laut, schrill und unüberhörbar ist. Dann berichten wieder alle Medien nur über das eine Thema.
So sorgt eine propagandistisch ausgeklügelte Strategie dafür, dass alle nur noch dieses eine Thema sehen.
Denn man sieht nur, was im aufgespannten Rahmen zu sehen ist.
Was außerhalb davon passiert, verschwindet aus der Aufmerksamkeit. Genau wie bei den Eltern in der Straßenbahn, die nur noch das schreiende Kind mit seinem gierigen Verlangen nach dem Türknopf sehen und nicht wissen, wie sie dem Kind den Türknopf ausreden sollen.
Erfahrenere Eltern wissen, dass sie in solchen Fällen Ablenkungen schaffen und andere Themen setzen. Sie beschäftigen sich wirklich mal mit dem Kind, schaffen eine andere Aufmerksamkeit, machen Alternativangebote und verdrängen damit das Frustthema („DER KNOPF! ICH WILL DRÜCKEN!“) aus dem Zentrum der Aufmerksamkeit. Das Kind wird abgelenkt, muss andere Angebote wahrnehmen. Der Knopf verliert an Wichtigkeit.
Ist natürlich nur so ein Gedanke.
Natürlich ist es schwieriger, quengelnde Erwachsene, die seit Jahren nicht mehr aus ihrem Murren herausfinden, auf andere Themen zu bringen, abzulenken auf Themen, die man auch gemeinsam und friedlich lösen kann …
Denn sie sind ja in der Regel nicht mehr in der Freiheit draußen unterwegs, sondern in seltsamen Filterblasen, in denen alles nur noch auf ein Thema fokussiert ist. Und wenn man beginnt, ihnen zu erklären, wie falsch sie liegen, bekommt man ja den Framing-Effekt. Dann redet man schon wieder über ihr Thema. Und da sie unverbrüchlich genau wissen, dass sie allein richtig liegen, wird das jedes Mal so eine frustrierende Situation wie mit dem Kind in der Straßenbahn.
Ich reiße das Thema lieber nur an, weil es ja – wie man sieht – geradezu dazu führt, dass man jetzt wieder nur das quengelnde Kind im Kopf hat.
Eigentlich eine schreckliche Vorstellung. Da gehört es ja nicht hin. Aber der Schrei nach aller Aufmerksamkeit hat Erfolg …
Und wie war es bei der Oma? Hat Oma dir wieder Märchen vorgelesen?
Oh ja, sagt das Kind. Der Knopf?
Nein, die Oma. Hat sie wieder vom Wolf vorgelesen?
Oh ja, sagt das Kind. Böser, böser Wolf …
Es gibt 2 Kommentare
Wie schnell so eine Geschichte wahr wird. Sonntag im 70er Bus in Mockau. Krümel drückt dauernd den Halteknopf, die Busfahrerin ermahnt den Vater dies zu unterbinden, Vater wird aggressiv, ein Fahrgast will der Fahrerin beistehen während der Vater auf die Fahrerin zustürmt. Der Helfer fühlt sich bedroht und sprüht dem wütenden Vater Pfefferspray entgegen. Nun hat der Helfer eine Anzeige wegen Körperverletzung an der Backe. Ob er nochmal helfen wird? http://www.lvz.de/Leipzig/Polizeiticker/Polizeiticker-Leipzig/Kind-drueckt-Haltewunsch-Wortgefecht-in-Leipziger-Bus-eskaliert
Naja, klingt ja gut, ist aber “in der Praxis” nicht immer ganz so einfach.
Übrigens fühle ich mich nicht auf den Schlips getreten. Es ist eben nur ein Vergleich, und noch dazu ein guter. Und vergleichen heißt eben nicht gleichzusetzen sondern Gemeinsamkeiten herauszufinden, aber eben auch Unterschiede.