Das Buch über die Himmelsscheibe und das einstige Reich von Nebra, das Dr. Harald Meller, der Direktor des Landesmuseums für Vorgeschichte in Halle, und der Historiker Kai Michel geschrieben haben, zeigt nicht nur, mit welchen modernen Methoden man heute archäologischen Funden beikommen kann. Es ist auch eine große Auseinandersetzung mit alten Vorstellungen vom Staat und von den viel gefeierten Hochkulturen. Besser so: „Hochkulturen“.
Denn was wir in den Museen in der Regel besichtigen können, was uns als riesiges Grabmal, als wuchtiger Palastrest, als grandioser Götterkult in den Bann zieht und was Berge von historischen Büchern füllt, in denen Autoren die grandiosen Reiche der Vergangenheit feiern, sind alles die Überbleibsel der Mächtigen. Auch Stadtmauern, gewaltige Tore, Prozessionsstraßen, Tempel und Arenen gehören dazu.
Und es gehört die These dazu, Staaten seien das Ergebnis von blühenden Wirtschaften. Die Arbeitsteilung erschaffe den Mehrwert, der es ermöglicht, dass sich neue Berufe herausbilden und Reichtum mehrt. Und so wandern die Heldengeschichten um die Könige und Pharaonen der Frühzeit in die Geschichtsbücher und schon die Kinder lernen staunen über den Glanz dieser Reiche und die Pracht der Herrscher.
Aber Meller und Michel ziehen ganz andere Lehren aus dem, was sie über das Reich von Nebra herausgefunden haben. Gründlich haben sie sich mit der Frage beschäftigt, wann eigentlich Staaten entstehen und wozu sie gut sind. Eine Frage, die in Geschichtsbüchern nie gestellt wird. Da sind Staaten per se gut, Ausdruck von Zivilisation, Kultur, Fortschritt, Reichtum und Macht.
Aber was fängt man dann mit all den Erkenntnissen der jüngsten Vergangenheit zu den Umweltverwüstungen in diesen Reichen an? Es gibt zwar noch nicht das umfassende Buch dazu, das alle diese Erkenntnisse sammelt. Aber wer die Bibel kennt, kennt auch die Urgeschichte: den Verlust des Gartens Eden. Schön märchenhaft umgewandelt, sodass Eva und die Schlange dran schuld sind, dass Adam nun „im Schweiße seines Angesichts“ ackern muss.
Aber Fakt ist: Da, wo heute Wüste das Zweistromland bedeckt, gab es einst blühende Landschaften. Die berühmten Stadtstaaten Ur, Uruk, Babylon und Ninive lagen einst in einer grünen Landschaft. Das Gilgamesch-Epos deutet sogar darauf hin, dass die Abenteuer dieser Ur-Helden in Wäldern stattfanden. In Wäldern handeln die ältesten griechischen Sagen, dasselbe gilt für Rom. Libanon war einst überzogen von Zedernwäldern.
All unsere frühen „Hochkulturen“ waren Kulturen, die die natürlichen Ressourcen rücksichtslos plünderten. Ganz besonders die Wälder, die in Schiffe verwandelt wurden oder im Feuer verheizt. Besonders rücksichtslos waren genau jene Kulturen, die als erste zur Metallbearbeitung übergingen.
Sie verwandelten die Wälder in Holzkohle und beheizten damit die Schmelzöfen. Übrigens auch etwas, was man den Kelten nachweisen kann, die dafür verantwortlich waren, dass mehr als die Hälfte des heutigen Deutschlands entwaldet wurde. Man wusste ja noch nicht, was der Verlust der Wälder alles an Folgen auslöst.
Rund um das Mittelmeer hatte es knallharte Folgen: Wüstenbildung und Versalzung der Böden im „Goldenen Halbmond“ und im einstigen Kornspeicher Roms in Nordafrika, Verkarstung und massive Erosion in Griechenland, Italien, Spanien und auf den Inseln. Die Geschichte der „Hochkulturen“ ist eine Serie von ökologischen Katastrophen.
„Das Abholzen der Berghänge hatte zur Verkarstung geführt. Nach heftigen Regenfällen wälzten sich gewaltige Mengen fortgeschwemmten Erdreichs flussabwärts, füllten Bewässerungskanäle und Wasserreservoirs mit Schlamm. Mitunter begruben sie ganze Siedlungen“, schreiben Meller und Michel.
Die Bibel erzählt vom Verlust dieses Paradieses. Tatsächlich erzählen alle Mythen der Völker rund ums Mittelmeer von solchen ökologischen Katastrophen. Die Katastrophen waren die Stunde des entstehenden Staates. Denn es geschah genau das, was man heute mit bärbeißiger Miene den Grünen als finstere Absicht unterstellt: Sie wollten eine „ökologische Diktatur“ errichten.
Die frühen Hochkulturen waren allesamt ökologische Diktaturen. Denn um mit den harten Folgen der Katastrophen umzugehen – ausbleibenden Ernten, Landverlust, blanker Not – brauchte es rigide Herrscher, die mit harter Hand durchgriffen und Instrumente schufen, die Menschen dazu brachten, sich unterzuordnen und unter härtesten Bedingungen Kanäle zu graben, Deiche zu bauen und – nicht zu vergessen – Stadtmauern und Festungen. Denn eine Katastrophenzeit ist immer eine kriegerische Zeit. Die Menschen konnten nicht mehr einfach in eine neue Wildnis ausweichen. Es entbrannten blutige Kriege um die knapper gewordenen Ressourcen.
Vielleicht merken das Archäologen auch deshalb erst jetzt, weil uns dasselbe jetzt im Weltmaßstab blüht. In den vergangenen 4.000 Jahren haben menschliche Gesellschaften immer noch eine Lösung gefunden. Keine Frage. Sie waren regelrecht dazu verdammt, neue Technologien zu erfinden, um in einer zusehends härteren Welt trotzdem noch Nahrungsmittel für alle zu erzeugen. Aber sie konnten nicht mehr auf den Staat verzichten.
Denn wenn Territorien knapp werden, dann müssen sie verteidigt werden. Dann befördert das regelrecht mächtige Herrscher, die den Zugriff auf eigene Armeen haben. Und die nach außen und innen bereit sind, Gewalt anzuwenden. Steuern und Tribute müssen (mit Gewalt) eingetrieben werden, um den Staat und die Armee zu finanzieren. Und natürlich auch die Herrscher, ihre Beamten und ihre Priester.
Und natürlich berührt das die Frage, warum vor 7.500 Jahren die Bauern aus diesen ach so blühenden Landschaften auf einmal aufbrachen und donauaufwärts zogen bis nach Mitteldeutschland. Wohl zu Recht vermuten die Archäologen, dass es die blanke Not war, die sie trieb. Dass sie neue fruchtbare Böden suchten.
Während die Geschichte des „Goldenen Halbmonds“ für die nächsten Jahrtausende eine Folge blutiger Kriege war – Kriege, die es sowohl in die Bibel geschafft haben als auch in die Legenden der Völker. Wir sehen den Glanz der siegreichen Feldherren. Die Geschichte der vernichteten Königreiche kennen wir in der Regel nicht. Denn aufgeschrieben wurden die Heldentaten immer nur von den Siegern.
Sie haben sich das Ganze so zurechtgedreht, dass es wie eine einzige Erfolgsgeschichte aussieht. Eine einzige Serie von Siegen und Heldentaten. Wir sehen die „heldenhaften“ Könige. Wie die zum Dienst gezwungenen Soldaten, Sklaven und Bauern lebten, das hat die Ausgräber lange überhaupt nicht interessiert. Für die aber war die Entstehung der Staaten kein Zuckerschlecken, merken Meller und Michel an. Im Gegenteil: Sie lebten oft unter härteren Bedingungen als die freien Stammesgemeinschaften der „Vorzeit“.
Staaten sind Instrumente, mit denen die Menschen die frühen ökologischen Katastrophen versuchten zu bewältigen – unter Anwendung von jeder Menge Zwang und Gewalt.
„Krisen, Kriege und Katastrophen standen auf der Tagesordnung und schufen den Zwang zu effektiven Bewältigungsstrategien“, schreiben Meller und Michel. „Das war es, was Hand in Hand mit dem unbändigen Repräsentationsbedürfnis der Eliten das schuf, was Schulbücher uns heute als Hochkulturen präsentieren.“
Ein Gedanke, der Folgen hat, bis hin zur Erschaffung der Religionen zur Legitimation der Macht.
Das ist ein eigener Gedankengang. Auch den findet man im Buch der beiden Autoren.
Keine Kommentare bisher