Albrecht Pallas hat in der Diskussion um den urlaubenden LKA-Mitarbeiter mit dem Deutschlandhütchen, der am 16. August in Dresden ein Kamerateam des ZDF durch die Polizei an der Arbeit hindern ließ, ein wichtiges Wort gesagt, das so ganz beiläufig zeigt, warum und wie in der sächsischen Fehlerdiskussion seit Jahren alles so richtig schiefgelaufen ist. Das Wort heißt: Generalverdacht.
Bei General denkt jeder an einen älteren Herrn mit roten Streifen an der Hose, lauter goldenem Lametta auf der Jacke und einem Bierbauch, den kein Koppel mehr bändigen kann. Aber Militärs waren ja schon immer witzig, wenn es um die Findung von Titeln ging. Der Hauptmann ist ja nur das Haupt einer Truppe, der Oberst genau das: der Oberste in der Truppe, auch wenn er noch ein paar obendrüber hatte. Der Major ist auch nur der Größere in der Truppe, der mehr zu sagen hat. Im Deutschen in dem schönen Nachnamen Meier wiederzufinden.
Und der General ist eigentlich auch nichts anderes. Er muss sich um die Allgemeinheit kümmern, ganz generell. Obwohl er trotzdem nicht der Höchste ist, denn spätestens im Krieg gibt es über ihm noch lauter Pferdeknechte, althochdeutsch: Marschälle.
Aber bleiben wir beim General, der mit dem Wort Generalverdacht meist nichts zu tun hat, es sei denn, er ist Generalsekretär einer regierenden Partei. Dann taucht das Wort erstaunlicherweise sehr oft auf.
Und in der Sitzung des Innenausschusses des Sächsischen Landtags am Donnerstag, 23. August, muss es sehr schnell aufgetaucht sein. Denn der Verdacht steht ja im Raum, dass sich bei einer PEGIDA-Demonstration am 16. August in Dresden nicht nur ein schwarz-rot-gold-bemützer LKA-Mitarbeiter danebenbenommen hat, sondern auch die anwesende Polizei alles andere als seriös aufgetreten ist. Obwohl Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) meinte, gerade diesen seltsam agierenden Polizisten hinterher attestieren zu müssen, lediglich sie hätten sich bei diesem Vorfall seriös benommen.
Genau das aber war auch Thema im Innenausschuss. Und zumindest Innenminister Roland Wöller (CDU) gestand zu, dass der Vorfall unbedingt zu untersuchen sei. Er teilte also ganz und gar nicht die Position seines Ministerpräsidenten.
Trotzdem muss jemand aus der Runde der CDU-Angehörigen in dieser Sitzung sehr schnell das Wort „Generalverdacht“ aus der Tasche gezaubert haben. Hinterher verwendete es vor allem Christian Hartmann, innenpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion und ehemaliger Polizist. Da fällt einem sehr schnell das Wort Korpsgeist ein. Denn wer vorprescht und sich gleich mal wieder einen Generalverdacht gegen die sächsische Polizei verbittet, der bestätigt, dass es mit der Fehlerkultur (auch das Wort fiel) bei Sachsens Polizei nicht wirklich weit her ist.
Man mauert sich ein in die Behauptung, Staat und Recht zu schützen und in der Öffentlichkeit ja seriös aufzutreten. Aber wenn es dann doch zu Vorfällen kommt – wie hier beim Vorgehen gegen das Drehteam von „Frontal 21“ oder bei einigen gewalttätigen Übergriffen etwa am Rand von Legida-Demonstrationen in Leipzig – wird die Kritik abgebügelt und den Kritikern vorgeworfen, sie würden die Polizei unter Generalverdacht stellen.
Der konkrete Vorfall, der eigentlich aufgeklärt werden soll, wird zugekleistert mit der Behauptung, die Kritik würde alle Polizisten betreffen. Und damit auch den Dienstherrn aller Polizisten, die Regierung.
Erst durch diese seltsame Verhaltensweise wird aus einem Spezialverdacht ein Generalverdacht.
Und das Seltsame ist: Die Leute, die so reden, merken nicht einmal mehr, was für einen Unfug sie da verzapfen.
Diesmal bekam Christian Hartmann zumindest klare Gegenrede von Albrecht Pallas, innenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion und ebenfalls Polizist: Wer einen konkreten Fall aufklären will, stellt nicht die Polizei unter Generalverdacht.
Aber wer jede Kritik mit der Keule „Generalverdacht“ plattbügelt, sorgt natürlich dafür, dass Schwarze Schafe sich in der anonymen Uniform einfach weiter benehmen können, als gälten für sie nicht die üblichen Regeln und wäre ein Fernsehteam ein Störgeräusch im sächsisch-populären Kuschelkurs.
Aber es lenkt auch den Blick auf die Politik einer nach 28 Jahren sichtlich ausgebrannten Regierungspartei. Auch wenn die Argumentation jetzt schon älter ist. Aber die Geschwindigkeit, mit der Michael Kretschmer zur Stelle war, um „seine Polizisten“ für reineweg seriös zu erklären, bestätigt es nur: So mauert sich eine Partei ein, der die souveränen Spitzenleute fehlen: Fachleute, die ihr Expertentum nicht dadurch aufblasen müssen, dass sie sich jede Kritik aus Medien und Opposition verbitten und die eigene Arbeit für regelrecht sakrosankt erklären (Wer wird denn einen General kritisieren?!), sondern fähig sind, als falsch erkannte Entwicklungen zu korrigieren.
Ich weiß: Das ist in der heutigen Medienwelt schwer, weil sich ein gewisser Teil der Medienmeute gerade dann erst auf einen Politiker stürzt und so lange verbeißt, bis der Mann oder die Frau das Amt verlässt und nie wieder wagt, den Kopf zu erheben.
Ein gut Teil der fehlenden Fehlerkultur in unserer Politik hat nun auch einmal mit der Übermacht von Medien zu tun, die Fehlereingeständnisse und Korrekturen bestrafen – und zwar gnadenlos. Dort herrscht das Bild des fehlerlosen Politikers, der nie und nimmer zugibt, dass er sich irren kann und Fehler macht.
Was übrigens einer der wichtigsten Gründe dafür ist, dass sich immer weniger wirklich begabte Menschen in die Politik begeben. Sie fürchten – zu Recht – die gnadenlose Jagd und die Unfähigkeit auch der Parteiapparate, Fehler zu verzeihen. Oder – was noch wichtiger ist: selbst einzusehen.
Aber wo kein Mensch mehr auftaucht, der fähig ist, politisches Handeln als ein immer wieder auch korrekturbedürftiges zu kommunizieren, entsteht mit der Zeit eine Atmosphäre, wie sie zuletzt im ZK der SED geherrscht haben muss: Niemand traut sich mehr zu widersprechen, niemand vertritt mehr eine eigene Position und riskiert die Rüge des Vorsitzenden oder gar die schnellstmögliche Entmachtung.
Man mauert sich ein, entwickelt eine Burgmentalität und beginnt die Kritiker zu verdächtigen, sie würden alles unter Generalverdacht stellen.
Was dann so eine Art Denk- und Kritikverbot ergibt.
Statt darüber zu streiten, wie man die Probleme lösen kann, verbittet man sich ganz hoheitlich alle Kritik, redet den Leuten ein, dass man ganz allein die Verkörperung seriöser Politik sei. Was ja so nebenbei auch dazu führt, dass die Opposition immer wirkt, als wäre sie ein kleiner bissiger Hund, der dem ehrwürdigen General fortwährend in die Stiefel beißen möchte … Was auch eine erstaunliche Arroganz offenbart: Die Herren der Burg sind sakrosankt. Jede Kritik kann ja da nur ein Ausdruck der Verzweiflung der Erfolglosen sein, die eben nicht seit 28 Jahren den Staat in Sachsen verkörpern. Denn auch das schwingt ja mit bei diesem „Generalverdacht“ (Denken sie an den Bauch!): die Verwandlung einer befristeten Beauftragung mit dem Regieren in das königliche Staatsverständnis einer „Regierungspartei“. „Der Staat sind wir! Niemand sonst!“
Das hat mit einem nüchternen Demokratieverständnis nichts mehr zu tun.
Aber viel mit dem schwingenden Gang eines reich verzierten Generals, der sehr wohl weiß, wie seine schicken roten Streifen auf die Untergebenen Unterste und Oberste wirken. Und natürlich auf jenen Teil der Medien, die sich nie und nimmer ins Getümmel einer Demonstration stürzen würden, aber zum Häppchenbankett und zur Ordensverleihung stramm bei Fuß stehen.
Und die auch immer den kleinen Jungen aus Andersens Märchen vergessen, der mit hellwachen Augen am Rand der Menge steht und sich fragt, was der dicke General eigentlich unter seiner bunten Uniform trägt …
Die Serie „Nachdenken über …“
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Interessanter Gedanke: “Atmosphäre, wie sie zuletzt im ZK der SED geherrscht haben muss”. Kommt mir auch immer öfter in den Sinn.
Damals haben sich immer mehr Leute verweigert, einfach nichtmehr mitgemacht, statt dessen auf die Straße gegangen. Ob das heute wieder so werden könnte?
Und was käme danach?