Natürlich mussten sich erst einmal Frauen dieses Themas annehmen. Irgendwie kommen Männer nicht darauf, sich einmal mit den Schicksalen von Frauen auf der Flucht zu beschäftigen. Jedenfalls nicht die Männer, die in Deutschland großmäulig „Flüchtlingspolitik“ betreiben. Was für ein patriarchisches Pantoffelland Deutschland noch immer ist, zeigt schon der Blick auf die von alten Männern dominierte Innenministerkonferenz.
Und man fragt sich zu Recht, warum es kein einziges Bundesland fertigkriegt, die Leitung des Innenministeriums mit einer Frau zu besetzen. Stattdessen prügeln sich sichtlich dickhäutige Männer um diesen Job. Und am liebsten wollen Männer aus der Union hier zeigen, was sie für Ordnung und Sicherheit halten. Und dementsprechend sind die Ergebnisse – die von massivem Staatsversagen bei der Verfolgung rechtsextremer Netzwerke bis hin zu einer letztlich sinnlosen Machtdemonstration wie beim G20 in Hamburg reichen.
Und augenscheinlich bekommt das niemand mit.
Innenminister sind in Deutschland seltsam sakrosankt. Selbst dann, wenn ihre Politik sich gegen die Schwächsten der Schwachen richtet – Frauen und Kinder.
Ein Thema, dessen sich – wie erwähnt – jetzt zwei Frauen angenommen haben: die Kultur- und Sozialanthropologin Frauke Binnemann und Dr. Sabine Mannitz, Leiterin einer Forschungsabteilung und Vorstandsmitglied im Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung in Frankfurt/M.. Sie haben sich für die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung des Themas „Geflüchtete Frauen in Deutschland“ angenommen. Ein Thema, das ja seit drei Jahren gerade von rechtsradikalen Politikern ausgeschlachtet wurde, weil eben die meisten Asylantragssteller jung und männlich waren.
Was Gründe hat. Und was auch die deutschen Innenminister eigentlich wissen. Und trotzdem haben gerade die konservativen Patriarchen alles dafür getan, dass der Familiennachzug für die erfolgreichen Antragsteller monatelang ausgesetzt war – die Männer, die es bis nach Deutschland geschafft haben, die ihre Frauen und Kinder also nicht nachholen durften. Nach der letzen Verlängerung ist dieser Unfug zwar inzwischen ausgelaufen.
Aber man kann davon ausgehen, dass ein Großteil der Gewalt, die sich auch in den Aufnahmeeinrichtungen entladen hat, genau damit zu tun hat. Denn natürlich entladen sich Emotionen in stark von Männern dominierten Gemeinschaftsunterkünften ganz anders, wenn nur wenige Frauen und Kinder da sind, auf die selbst vom Krieg traumatisierte Männer Rücksicht nehmen. Frauen und Kinder sorgen allein schon durch ihre Anwesenheit dafür, dass friedlichere Konfliktlösungen dominieren.
Und die Frage war natürlich nach dem ganzen rechtsradikalen Gelärme: Warum nehmen dann die Männer ihre Familien nicht mit auf die Flucht?
Die Antwort ist simpel: „Etwa die Hälfte aller weltweit Geflüchteten ist weiblich. Gleichzeitig sind nur 35 bis 40 Prozent der in Deutschland zwischen 2015 bis heute Asylsuchenden Frauen und Mädchen. Ein Grund: Männer wagen oft als erste die Flucht und holen ihre Familien nach. Sexualisierte Gewalt gegen Frauen auf der Flucht ist ein zentrales Motiv für dieses Vorgehen. Der im Koalitionsvertrag vereinbarte stark beschränkte Familiennachzug trifft daher vor allem Frauen und Kinder.“
Und das ist von den beiden Autorinnen der Studie noch rücksichtsvoll formuliert. Als würde auch nur ein einziger Politiker, der sich derart gegen Familiennachzug verwahrt, Schonung verdienen. Wofür denn? Es ist reine Symbolpolitik, unter der die Betroffenen doppelt leiden. Von den in Deutschland dadurch ausgelösten Konflikten ganz zu schweigen.
Und der ehemalige Thomaspfarrer Christian Wolff hat recht damit, dass er Politikern, die so eine Politik verfolgen, das „C“ im Parteinamen abspricht. Das ist nicht mehr christlich. Das ist nur noch rücksichtslos und dumm.
„In Kriegs- und Krisengebieten ist der Einsatz sexualisierter Gewalt gegenüber Mädchen und Frauen zu einem Regelfall geworden. Weibliche Körper werden als Beute behandelt, Mädchen und Frauen vergewaltigt, um die gesamte Gemeinschaft zu erniedrigen. Diese Gewalt- und Verfolgungslagen können und müssen bereits als geschlechtsspezifische Fluchtursachen betrachtet werden. Doch auch während ihrer Flucht sind Frauen (und Kinder) einer erhöhten Gefahr ausgesetzt“, schreiben die beiden Autorinnen.
„Nach einem Bericht vom Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (UNICEF) vom Februar 2017 werden auf der Route aus dem Subsahararaum über Libyen nach Europa drei Viertel der Kinder Opfer von Gewalt, Bedrohungen oder Aggressionen durch Erwachsene und die Hälfte der Frauen Opfer von sexualisierter Gewalt. Die Dunkelziffer liegt noch höher. Die Erfahrung von Gewalt und Schutzlosigkeit prägt das Leben der Betroffenen auch in der Aufnahmegesellschaft: Traumata bleiben bestehen bzw. verstärken sich in der neuen Umgebung sogar noch. Daraus ergeben sich spezifische Anforderungen in der Aufnahmesituation und im Asylverfahren. Ein deutlich höherer Anteil geflüchteter Frauen als Männer hat (sexualisierte) Gewalt erfahren, und viele sind mit Kindern auf sich allein gestellt.“
Oder mal so formuliert: Politiker, die den „Familiennachzug aussetzen“, machen patriarchische Symbolpolitik auf Kosten der Frauen und Kinder, die oft unter beklemmenden Umständen noch „irgendwo da unten“ in Auffanglagern und unter gefährdeten Umständen ausharren – manche schon seit Jahren.
Vielleicht ist es das brisante Thema Guantanamo, das auch die westeuropäischen Innenpolitiker so hart und gefühllos gemacht hat. Oder fehlende Empathie ist schon die Voraussetzung dafür, dass man sich in Deutschland für den Posten eines Innenministers bewirbt.
Was im Ergebnis leider auch heißt, dass wir eine empathielose Innenpolitik haben mit überlasteten Polizisten, Justizbeamten und Gerichten und Innenministern, die sich auf jeder Konferenz neue Spielzeuge ausdenken, wie sie einen martialisch gedachten Staat immer weiter aufrüsten können.
Wobei die Gefahren für die Frauen und Kinder in den Gemeinschaftsunterkünften oft nicht aufhören. Auch dort sind sie ja oft in der Minderzahl und weiterer Gewalt ausgesetzt.
„Zu den dringlichsten Erfordernissen zählt ein bundesweit einheitliches und für alle Gemeinschaftsunterkünfte obligatorisches Gewaltschutzkonzept“, schreiben Binnemann und Mannitz.
„Es muss als Minimum verschließbare Schlafräume, wo nötig Einzelzimmer, Schutzräume und nach Geschlechtern getrennte Sanitäranlagen vorsehen; außerdem abgetrennte Bereiche für Familien und allein reisende Frauen sowie einen klaren Leitfaden samt Handlungsbefugnissen bei (nicht nur) häuslicher Gewalt in den Unterkünften; etwa erleichterte Verlegung von Gewalttätern oder Umschreibung der Aufenthaltsbestimmung der Gewaltopfer auf sichere Räume wie ein Frauenhaus. Zu thematisieren und strafrechtlich zu verfolgen sind auch Übergriffe oder Nötigungen, die Mitarbeiter_innen von Unterkünften sich zuschulden kommen lassen.“
Das kleine Plädoyer ist in der Reihe „WISO direkt“ der Friedrich-Ebert-Stiftung erschienen.
Und auch wenn es sich vor allem mit simplen Regularien und Ausstattungserfordernissen beschäftigt, ist es gerade dadurch eine sehr deutliche Kritik an der gefühllosen Ordnungspolitik, mit der deutsche Innenminister an einem Punkt „männliche Durchsetzungskraft“ beweisen, wo es eigentlich empathische Lösungen braucht. Nicht nur bei der Asylaufnahme, sondern in der gesamten (europäischen) Flüchtlingspolitik. Nicht die Flüchtlinge sind die Verursacher von Krieg und Tyrannei. Aber von den bärbeißigen alten Herren im Amt werden sie gern so behandelt. Dafür bekommen sie natürlich Beifall – aber von der falschen Seite.
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