Die Teilnehmerzahlen von Kรถln und Berlin liegen fรผr den Leipziger โChristopher Street Dayโ mit je รผber 30.000 und rund 80.000 Teilnehmenden an den Paraden sicher noch in weiter Zahlenferne. Doch in diesem Jahr meldeten alle Stรคdte neue Rekorde โ so auch am 21. Juli in Leipzig. Laut der Forschungsgruppe โDurchgezรคhltโ beteiligten sich etwa 3.500 bis 4.500 Menschen an der heutigen Demonstration zum CSD in der Messestadt. Wenn man zudem in der Geschichte der bunten Umzรผge kramt, stรถรt man darauf, dass im kommenden Jahr ein Jubilรคum ansteht. Denn 1969 wehrten sich erstmals Menschen in New York beim โStonewallโ-Aufstand gegen Polizeigewalt und Diskriminierung.
Das wird ja gern vergessen angesichts quitschbunter und zum Glรผck friedlicher Feierbilder aus Leipzig, Berlin und Kรถln โ der CSD erinnert an einen Aufstand von Minderheiten mit tagelangen Straรenschlachten und robuster Gewalt. Etwas, was sogar der erste Bericht รผberhaupt, welcher je in Deutschland in den 70ern in der โFrankfurter Allgemeinenโ dazu erschien, prompt unterschlug. Menschen, die zuvor jahrelang von Polizisten drangsaliert, verhaftet, verprรผgelt und gedemรผtigt wurden, hatten begonnen, sich zu wehren. Erst in den frรผhen Morgenstunden des 28. Juni 1969 gegen eine erneute gewalttรคtige Razzia der New Yorker Polizei in der bekannten Schwulen- und Transvestiten-Bar โStonewall Innโ, anschlieรend auf der Straรe und letztlich im gesamten Viertel Greenwich.
Die bunten Paraden sind eine Erinnerung an Erreichtes, Nichterreichtes und einen Akt der Emanzipation vor nunmehr 49 Jahren in den USA.
Gegen Gesetze, die es Menschen untersagten, gleichgeschlechtlich zu verkehren, gegen das Unrecht, nicht der sein zu dรผrfen, der sie waren und sind, an ein bis heute umstrittenes Adoptionsrecht war damals nicht einmal entfernt zu denken. Hinzu kam: โBesonders betroffen von Misshandlungen und Willkรผr waren Afroamerikaner und solche mit lateinamerikanischer Herkunft.โ, kann man auf Wikipedia dazu lesen. Und so nimmt es nicht Wunder, dass insbesondere Dragqueens sowie transsexuelle Latinas und Schwarze erstmals zurรผckschlugen, das Maร war in mehr als nur einer Hinsicht voll. Ebensowenig verwunderlich, dass heute in Leipzig erneut Solidaritรคt mit Flรผchtlingen eingefordert wurde, die Bewegung war immer mehr, als simpler Eigennutz.
Die Parade in Leipzig in Impressionen. Video: L-IZ.de
Denn das Irritierende ist ja: viele sogenannte Minderheiten ergeben letztlich die Mehrheit einer globalen Gesellschaft, aber auch in regionalen Gebieten wie Deutschland. Bekommt man schnell mit, wenn man nur in einem Faktor von den angeblich โnormalen Menschenโ abweicht. So ist beispielsweise der Durchschnitts-IQ auf der Welt immer 100, wer drunter liegt, sollte hier ebenso ins Grรผbeln kommen, wie der mit 125.
Heute ist ja alles geklรคrt, oder?
Die steigenden CSD-Zahlen auch in Leipzig zeigen sicher, dass die Angst vor dem รถffentlichen Zeigen dessen, wer und was man ist, sein will oder wird, generell zurรผckgegangen sein dรผrfte. Eine Studie rings um den CSD Berlin aus dem Jahr 2016 zeigt zudem: 42 % der Teilnehmer identifizieren sich als heterosexuell, sind also Unterstรผtzerinnen, Freunde, รผberzeugte Verteidiger einer Minderheit, die so keine mehr ist.
Die Teilnehmenden in Leipzig waren im Durchschnitt jung, die Regenbogenfahne, mal um die Hรผfte gebunden, mal in die Hรถhe gehalten, das gemeinsame Zeichen. Schon frรผh sammelten sich ab 14 Uhr auch die etwa 500 bis 1.000 รlteren und Lauffaulen zudem auf dem Leipziger Marktplatz, Stรคnde und Gesprรคchspartner gab es jedenfalls auch wรคhrend der Demo da mehr als genug.
Dass Parteien von Linken, Grรผnen, Piraten, SPD und FDP bis hin zur CDU unter dem logischen Fehlen der AfD ebenso vertreten waren, wie ein sogenannter Jugendblock, der Rainbow-Bulls-Fanclub von RB Leipzig und andere Organisationen, zeigt die klare Verankerung der Belange der Demonstranten und ihrer Unterstรผtzerinnen in der Gesellschaft.
Die Reihenfolge wurde gelost, jede Partei konnte etwas sagen. Es beginnt mit den Grรผnen โฆ Video: L-IZ.de
Und doch bleibt dieses Aber, die Fragen, ob es wirklich besser geworden ist und so bleiben wird ebenso, wie die Fragen auf der Bรผhne nach denen, die in anderen Lรคndern dieser Welt fรผr ihre Sexualitรคt noch immer geschlagen, ausgepeitscht und umgebracht werden. Allein die Sprache der โneuenโ Partei AfD zeigt, dass die Gleichstellung auch in Ehefragen, Gendergerechtigkeit und auch das offene Auftreten mit sich und anderen immer wieder und teils offen auch in Deutschland bedroht werden.
Vor allem fรผr das Engagement des CSD gegen Transgenderfeindlichkeit hatte es kรผrzlich einen aktuellen Anlass in Leipzig gegeben. Eine Studentin der Universitรคt Leipzig war an der Moritzbastei von einem Unbekannten ins Gesicht geschlagen und spรคter bis ins Krankenhaus verfolgt worden. Der Mann hatte nach Angaben des Studierendenrates der Uni gefordert, dass sie ihr Geschlecht zeigt (die aktuelle LEIPZIGER ZEITUNG berichtet ausfรผhrlich รผber diesen Fall).
In der vergangenen Woche solidarisierten sich die Universitรคt, weitere Hochschulen, zwei Ministerien und andere Organisationen mit der Studentin und sprachen sich gegen Gewalt und Intoleranz aus.
Auf dem Leipziger Marktplatz. Video: L-IZ.de
Wer auch immer letztlich das arme Wรผrstchen war โ ja, es sind leider รผberwiegend mรคnnliche Aggressionen, die sich gegen Frauen, Kinder und alles, was ihnen fremd ist, richten โ der einen anderen Menschen zwingen wollte, seine Genitalien auf offener Straรe zu entblรถรen. Er hat zumindest damit leider brandaktuell erneut bewiesen, dass es den CSD, die Revolte 1969 und auch ein Engagement in den kommenden Monaten und Jahren vor allem aber zum Jubilรคum 2019 hin braucht. Alle Vertreter der heute anwesenden Parteien versuchten mehr oder minder klar darauf hinzuweisen.
Denn dann schicken sich zwei Parteien an, in Sachsen nach der Landtagswahl eventuell sogar gemeinsam zu regieren. Die eine heiรt CDU, deren Vertreter sich heute in Leipzig an ihrem Stand eher weniger besucht zeigten und auf der Bรผhne parteiinterne รberzeugungsarbeit gelobten. Die andere nennt sich eine โAlternativeโ.
Bilder des Tages (1) โ Die CSD-Parade
Bilder des Tages (2) โ Auf dem Marktplatz Leipzig
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NSU-Prozess, Halberg Guss, Flohmarkt, Weltkrieg und der lange Schatten der Treuhand
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