Kommentar"Religion ist das Opium des Volks" sagte Marx. „Schön wär's!“ möchte man fast sagen, angesichts der massenhaften Menschenrechtsverletzungen, die weltweit im Namen der Religionen begangen werden. Während Opium betäubt, haben die Religionen auf Fundamentalisten eher Kokain-gleiche Wirkung: stark aufputschend, euphorische Allmachtsgedanken, Selbstüberschätzung, Hemmungslosigkeit, Aggressionsneigung und Halluzinationen. Die Folgen: Enthauptungen durch den IS, Steinigungen im Iran, Auspeitschungen in Saudi-Arabien, in Menschenmengen gelenkte LKWs, brutale Verfolgung der muslimischen Minderheit in Birma durch die buddhistische Mehrheit, Hexenverfolgungen in Afrika, von Papst Franziskus abgesegnete Exorzismen, christliche Umerziehungsprogramme für Homosexuelle, etc.
Die Beispiele stehen natürlich nicht alle gleich weit oben auf der Unrechtsskala. Und – das darf man auch als Atheist ruhig mal anerkennen – auf viele Gläubige wirkt die Religion ja auch im positiven Sinne aktivierend (statt betäubend) und ist für sie der Antrieb, sich im Dienste der Menschheit zu engagieren. Kritisch wird es jedoch dann, wenn Christen den Atheisten mehr oder weniger offen herablassend unterstellen, sich nicht ebenso humanistisch zu engagieren; wenn „Diakonie“ oder „Caritas“ am Eingang steht, obwohl die Einrichtung zu 98-100 % aus öffentlichen Mitteln finanziert wird; und wenn die Missionierung doch zu sehr im Vordergrund steht.
Das eigentlich Interessante an dem berühmten Marx-Bonmot ist aber gar nicht das gewählte Rauschgift (Opium war damals eben gerade in Mode), sondern die Formulierung: Anders als später Lenin hat Marx bewusst nicht geschrieben, Religion sei Opium „für das Volk“, sondern vielmehr „das Opium des Volks“. Damit lehnt Marx im Anschluss an Ludwig Feuerbach die sogenannte Betrugstheorie der französischen Materialisten ab: Gottesglaube ist eben nicht nur das Ergebnis einer von Priestern verabreichten Betrugsdroge „für das Volk“.
Denn zum Betrug gehört auch immer jemand, der sich betrügen lässt – und die Bereitschaft hierzu hängt auch von den gesellschaftlichen Verhältnissen ab: „Der Mensch macht die Religion, die Religion macht nicht den Menschen.“ [Anmerkung: Dass die Religion eine Erfindung des Menschen sei, hört man auch von Theologen des Öfteren – aber leider nur, wenn sie über andere Religionen statt der eigenen sprechen.]
„Dieser Staat, diese Sozietät produzieren die Religion, ein verkehrtes Weltbewußtsein, weil sie eine verkehrte Welt sind. […] Der Kampf gegen die Religion ist also mittelbar der Kampf gegen jene Welt, deren geistiges Aroma die Religion ist. Das religiöse Elend ist in einem der Ausdruck des wirklichen Elendes und in einem die Protestation gegen das wirkliche Elend. Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüt einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist. Sie ist das Opium des Volks.“
Anders als Feuerbach, der das individuelle Ohnmachtsgefühl des Menschen betonte, hob Marx die Bedeutung der gesellschaftlichen Verhältnisse für die Entstehung und Aufrechterhaltung von Religionen hervor – und damit sollte er recht behalten und deswegen sollte man zu seinem 200. Geburtstag am 5. Mai auch an ihn erinnern. Je weniger „tröstende Pflaster“ eine Gesellschaft benötigt, je leichter der Zugang zu Wissen ist, je geringer die religiöse Indoktrination der Kinder ausfällt (z.B. durch einen staatlich verordneten Religionsunterricht), umso geringer ist auch das Bedürfnis der Gesellschaft nach Religion.
Deshalb konstatierte Marx: „Die Kritik der Religion endet mit der Lehre, daß der Mensch das höchste Wesen für den Menschen sei, also mit dem kategorischen Imperativ, alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist.“
Nach Marx machte ein Kampf gegen die Religion also keinen Sinn, wohl aber ein Kampf gegen das Elend der Welt. Falsch ist es daher, wenn Theologen immer wieder behaupten, Marx hätte den Atheismus „verordnet“. Im Gegenteil: In einem Interview erklärte Marx deutlich „violent measures against Religion are nonsense“ und an anderer Stelle „Verfolgungen seien ohnehin das geeignetste Mittel, mißliebige Überzeugungen zu fördern.“ – Doch bevor sich die Religiösen zu früh freuen: Die klare Trennung von Staat und Kirche, das Streichen kirchlicher Privilegien und die Abschaffung des Religionsunterrichts an staatlichen Schulen, all das ist noch keine Gewalt oder gar Verfolgung und daher weiterhin legitim.
Sie ist auch notwendig, denn wie Marx es sagt: „Die Kritik der Religion enttäuscht den Menschen, damit er denke, handle, seine Wirklichkeit gestalte wie ein enttäuschter, zu Verstand gekommener Mensch.“ Marx ging sogar soweit zu behaupten, „für Deutschland ist die Kritik der Religion im wesentlichen beendigt.“ Das haben einige Linke leider zu wörtlich genommen und lehnen jede Kritik am Islam als „rechts“ ab. Damit haben sie die dringend notwendige öffentliche Auseinandersetzung mit dem Islam den Rechten überlassen.
Nachdem „der Pulverdampf des Kalten Krieges verraucht ist“ (so der Kulturdezernent von Trier), gibt es noch viel zu diskutieren über Marx. Wie ein Treppenwitz wirkt es, dass nicht nur das Land Rheinland-Pfalz und die Stadt Trier zu den Mitorganisatoren des Jubiläums zählen, sondern auch das katholische Bistum Trier.
„Wenn Du Deinen Gegner nicht besiegen kannst, dann vereinnahme ihn.“ – wird sich sein Namensvetter Kardinal Marx gedacht haben. Doch selbst wenn der echte Marx sich im Grabe umdrehen könnte, er müsste sich gleich erneut umdrehen, denn auch die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung beteiligt sich. Nach Bankenrettung, Rentenkürzung, Hartz-Reformen, Entfesselung des Kapitalmarkts, etc. wirkt daneben selbst Martin Schulz glaubwürdiger als die SPD selbst.
Über 300 Veranstaltungen im Zusammenhang von Marxs 200. Geburtstag wird es allein in Trier geben und natürlich gibt es auch schon das touristisch-obligatorische Marx-Brot und eine Marx-Gummiente. Das erinnert leider viel zu sehr an den Luther-Hype des letzten Jahres, aber keine Sorge: Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien beteiligt sich zwar an den Ausstellungen in Trier, aber die Höhe der Förderung wurde nicht mit Stolz hinausposaunt, daher wird sie wohl auch nicht so hoch ausfallen wie die über 250 Millionen Euro, die die öffentliche Hand bundesweit und 10 Jahre lang für den Reformator ausgab.
Man will ja schließlich keinen Personenkult betreiben.
Was Karl Marx mit der sächsischen Landwirtschaft von heute zu tun hat
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