Vor zwei bis drei Jahren gab es gefühlt kaum einen Menschen in Leipzig, der nicht in irgendeiner Form in der Hilfe für Geflüchtete engagiert war. Zahlreiche Personen beteiligten sich beispielsweise am Patenschaftsprogramm. Doch das Interesse hat deutlich nachgelassen. Aktuell warten etwa 200 bis 300 Geflüchtete auf einen Partner für gemeinsame Behördengänge und Freizeitaktivitäten.
Erinnert sich noch jemand an die sogenannte Willkommenskultur? Das war jene Zeit im Spätsommer beziehungsweise Herbst 2015, in der täglich tausende Flüchtende in Deutschland ankamen und einerseits auf überforderte Behörden und Kommunen trafen, aber andererseits von unzähligen Helfern aus nahezu allen Bevölkerungsschichten empfangen wurden.
Es gab die Begrüßungen am Bahnhof, die Unterstützung in den überfüllten Erstaufnahmelagern und die vielen Angebote von Vereinen und spontan gegründeten Initiativen. Fotos von freundlichen Polizisten mit geflüchteten Kindern an der Hand schafften es in die Medien.
Das war vor zweieinhalb Jahren. Heute schauen Polizisten nicht mehr so freundlich, wenn sie geflüchtete Kinder an der Hand halten – und zur brutalen Abschiebung bringen. Überhaupt hat sich Deutschland sehr schnell auch von seiner anderen Seite gezeigt: mit Anschlägen auf Asylunterkünfte und schärferen Gesetzen. In Sachsen beispielsweise müssen anerkannte Asylbewerber bald in jener Stadt bleiben, der sie im Rahmen ihres Verfahrens zugewiesen wurden. Diese Stadt kann Leipzig heißen, aber auch Bautzen, Freital oder Wurzen.
Erfolgreiches Patenschaftsprogramm
Zumindest eines hat sich kaum geändert: Viele der Angebote und Netzwerke, die im Jahr 2015 entstanden sind, gibt es auch heute noch. Eines davon ist das Patenschaftsprogramm, das ursprünglich beim Flüchtlingsrat Leipzig angesiedelt war. Nachdem dieser im vergangenen Juni Insolvenz angemeldet hatte, fand das Patenschaftsprogramm wenige Wochen später bei der Johanniter-Akademie eine neue Unterkunft.
Christin Jurgeit ist eine von vier sogenannten Integrationsmittlerinnen, die in dem Projekt arbeiten. Konkret geht es darum, interessierte Geflüchtete mit engagierten Paten zusammenzubringen. Dazu führen Jurgeit und die anderen Mitarbeiter zunächst Einzelgespräche und überlegen sich dann, wer zueinanderpassen könnte. In den Räumen der Johanniter-Akademie findet schließlich das erste gemeinsame Treffen statt.
Wie es danach weitergeht, ist den Teilnehmenden überlassen. Manchmal bleibt es beim ersten Treffen, weil die Chemie doch nicht stimmt, aber meistens sind die Patenschaften von gewisser Dauer; im Idealfall entstehen Freundschaften. Wie genau die Teilnehmenden die Patenschaften mit Leben füllen, entscheiden sie selbst.
Manche treffen sich mehrmals pro Woche, andere einmal im Monat. Bei manchen geht es um Wohnungs- und Jobsuche sowie Behördengänge, bei anderen um Sport und Kultur. Da hilft es, dass verschiedene Kultureinrichtungen und Sportvereine für die Patenschaften regelmäßig Tickets zur Verfügung stellen.
Viele Geflüchtete warten auf Paten
„Die Paten sind oft der erste Kontakt der Geflüchteten zur Zivilgesellschaft“, erklärt Jurgeit. „Häufig brauchen sie einfach jemanden zum Reden.“ Mittlerweile sind laut Jurgeit etwa 900 Patenschaften entstanden. Momentan stockt es jedoch – was nicht an den Geflüchteten liegt. Etwa 200 bis 300 von ihnen haben Interesse an einer Patenschaft bekundet, doch es fehlen mittlerweile die ehrenamtlichen Leipziger.
Die Hürden für eine Teilnahme sind nicht besonders hoch. Wer eine Patenschaft übernehmen möchte, sollte mindestens 18 Jahre alt sein und im erweiterten polizeilichen Führungszeugnis keine Einträge haben. Davon abgesehen sind Verlässlichkeit und ein Umgang auf Augenhöhe wichtig. Häufig bringt eine Patenschaft beiden Seiten neue Erkenntnisse.
Im Moment bekommen hunderte Geflüchtete, die auf einen Paten warten, einen fatalen Eindruck: Dass es in einer Großstadt wie Leipzig nicht ausreichend Menschen gibt, die ihnen beim Ankommen helfen wollen. Erinnert sich also noch jemand an die sogenannte Willkommenskultur?
Interessenten können eine Mail an integrationspaten.akademie@johanniter.de schreiben oder sich telefonisch unter 0341 30853510 melden.
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