Da war โMathiasโ mit seinem Kommentar zum letzten โNachdenkenโ-Beitrag ganz flott. Recht hat er ja. Die Herren und Damen Koalitionรคre wirken immer fremder, je lรคnger man sich das Papier anschaut, das sie in durchhandelten Nรคchten da zusammengeschustert haben. Was Grรผnde hat. Ich hab es ja zumindest angedeutet: Da sitzt immer noch eine vierte Partei mit am Tisch, die niemand gewรคhlt hat. Und entschรคrft natรผrlich alles, was wirklich gute Politik hรคtte werden kรถnnen.
Und dann denkt man รผber Demokratie nach. Nicht nur รผber ihre Verzerrungen durch die seltsamen Mitregierer aus der Lobby. Was ja viele Leute derzeit tun. Und dann stolpert man รผber die รผblichen รbersetzungen. Volksherrschaft heiรe das. Also die Herrschaft des Volkes.
Wirklich?
Nein. Falsch.
Dummheit kommt vor dem Fall. Um das Volk geht es in der Demokratie nicht, ging es auch den Griechen nie. Das Volk hieร bei ihnen ethnos. Das war im Grunde die sprachlich sich als zusammengehรถrend empfindende Menschengruppe: Sprache, Abstammung, Wirtschaftsweise, Geschichte, Kultur, Religion, Gebietszugehรถrigkeit. Wer da lebte, gehรถrte zur gleichen Ethnie.
Das, was die modernen Deppen dann eben โDas Volkโ nennen. Auch wenn das germanische Wort folc/fulka eigentlich wieder etwas vรถllig anderes meint (was man aber bei unseren neurechten Schnelldenkern immer heraushรถrt): Kriegsvolk, Gefolge, ein Haufen Leute, die sich hinter einem Oberhรคuptling versammeln und dann losrennen, um andere Kriegsvรถlker niederzuwalzen. Was รผbrigens im slawischen Wort Pulk noch anklingt. Ein Wort, das wir uns ja auch wieder eingemeindet haben: ein Menschenpulk.
Mit dem griechischen ethnos hat das sichtlich nicht viel zu tun.
Aber wie gesagt: Damit hat Demokratie ja auch nichts zu tun. Mit Herrschaft รผbrigens auch nur bedingt. Denn kratos changiert, bedeutet Macht / Gewalt / Herrschaft.
Es meint also viel direkter die Ausรผbung von Macht durch den Demos selbst.
Aber: das ist keine Volks-Herrschaft.
Demos bezeichnete im alten Athen ganz konkret das Staatsvolk. Also jenen klar abgegrenzten Teil der Bevรถlkerung, der als vollwertige Staatsbรผrger galt und berechtigt war, an der รถffentlich ausgetragenen Herrschaft der Bรผrger auf der Agora teilzunehmen. Richtig teilzunehmen. Sie delegierten ihre Macht nicht an irgendwelche Kabinette oder Parteien. Sie entschieden selbst. Jeder konnte in รmter gewรคhlt werden. Und da die Amtszeiten begrenzt waren, war fast jeder Staatsbรผrger auch mal dran. Und das Schรถnste: Sie waren fรผr den Umgang mit den Steuern der Bรผrger รถffentlich verantwortlich. Vor dem kompletten versammelten Staatsvolk. Wer sich nicht hinter einer Partei oder einem Amt verstecken kann, der geht anders mit Geld um.
Aber was mir dabei wichtig ist: demos bezeichnet eben kein Volk im Sinn, wie es Nationalisten meist verwenden. Sondern die Gemeinschaft aller Staatsbรผrger. Das verbindende Element sind nicht Hautfarbe, Religion und Kleidungsstil (Leitkultur โฆ ), sondern die Zugehรถrigkeit zum selben Staatskรถrper und damit das Teilen derselben Gesetze und Grundwerte.
Dazu braucht es weder den gemeinsamen Geburtsort noch die gemeinsame Sprache noch die gleiche Hautfarbe. Dazu braucht es nur das Bekenntnis zu den gemeinsamen Werten. Der Staatsbรผrger ist also nicht qua Geburt bevorteilt, einem โauserwรคhltenโ Staatsvolk anzugehรถren, sondern die Angehรถrigkeit ist auch ein Akt der Wahlfreiheit. Wem ein Staatsgebilde gefรคllt, der kann Staatsbรผrger werden. Kann man in Deutschland nicht unbedingt. Weiร ich. Da steckt noch das alte โVolksโ-Denken drin. Dieser alte Irrglaube, gemeinsames Tรถpfenchensitzen qualifiziere Menschen dazu, ein Volk zu sein. Gar ein โeinzig Volk von Brรผdernโ. Ist Schiller. Liest ja kein Schwein mehr heutzutage.
Aber Schiller schreibt nicht vom ethnos, vom Hineingeborensein in einen groรen miefigen Klumpatsch, der sich dann als was Besseres geriert. Sondern von der Entscheidung von Menschen, sich zu einem โVolkโ zusammenzutun. Zu einem einzigen: โWir wollen sein ein einzig Volk von Brรผdern, / in keiner Not uns trennen und Gefahr.โ
Aus verschiedenen Stรคmmen und Talvรถlkern mit teilweise unterschiedlichen Sprachen, Religionen und Gebrรคuchen findet sich โ durch den Rรผtli-Schwur โ ein Staatsvolk zusammen, das fortan seine Geschicke selbst bestimmen will und โ hoppla โ gemeinsame Ziele verfolgt.
Wir lassen uns also auch bei diesem Thema von den neurechten Dummdeutern in die Ecke treiben und reden รผber etwas, was nie so gemeint war. Und das, worum es geht โ die Teilhabe aller Staatsbรผrger an den Staatsgeschรคften, das geht unter. Existiert praktisch nicht. Nicht das Volk ist aus der demokratischen Teilhabe entfernt worden, sondern der Staatsbรผrger.
Was man nicht nur beim Kommentare-Lesen merkt, sondern selbst bei Gesprรคchen im Freundes- und Bekanntenkreis. Immer mehr Menschen haben das dumme Gefรผhl, dass sie auf nichts, was in unserem Land entschieden wird, einen Einfluss haben. Dass jede Mรผhe vergeblich ist. Ganz so daneben liegen ja die Herren von rechtsauรen nicht, wenn sie von Eliten reden. Das Gefรผhl ist richtig. Nur ist ihre Sichtweise falsch. Denn das, was sie anstelle der Demokratie setzen wรผrden, klingt dann zwar wie Volksherrschaft, ist aber eher wieder das Altbekannte: eine uniformierte Diktatur, bei der sich eine neue Elite volkstรผmlich gibt, Minderheiten jagt und vor allem eines eliminiert: den mitregierenden Staatsbรผrger.
Aber den Weg gehen wir jetzt nicht. Denn eigentlich geht es darum, herauszufinden, warum unsere Demokratie so demoliert ist. Und wie man das รคndern kรถnnte.
Oder mรผsste.
Wozu eben auch eine Mindestklarheit gehรถrt, um was es eigentlich geht. Und es geht nun einmal nicht um Volksherrschaft. Schรถn und falsch รผbersetzt ist das, aber nicht hilfreich.
Es geht um nichts anderes als die Teilhabe des Staatsbรผrgers an allen Entscheidungen, die ihn betreffen. Wie ist sie herzustellen? Und warum ist sie derzeit so im Argen, dass immer mehr Menschen das Gefรผhl haben, sich ausgegrenzt und nicht mehr beteiligt zu fรผhlen?
Aufmerksame Leser haben den Beitrag โBรผrgernรคhe in der Politik: Warum die Probleme Althens die Probleme aller Sachsen sindโ ganz bestimmt nicht รผberlesen.
Diese kleine Wortmeldung aus dem Diskussionsgeschehen der SPD hat ja etwas bestรคtigt, was die demografischen Analysen der L-IZ immer wieder gezeigt haben: Wenn sich die faktischen Entfernungen der Bรผrger zu ihrem Staat und seinen Einrichtungen immer mehr vergrรถรern, vergrรถรert sich auch die Distanz zur โPolitikโ, zum Teilnehmenkรถnnen.
Das reiรe ich hier nur an, weil hinter den gefรผhlten Distanzen eben auch echte Distanzierungen stecken. Und echte Prozesse, in denen sich die Staatsgewalt von den Staatsbรผrgern entfernt und abgekoppelt hat. Vom demos. Der im Grundgesetz ganz oben steht โ und in der Wirklichkeit oft zu Recht das Gefรผhl hat, ganz unten zu sein und vergeblich zu den Regierenden da oben hinaufzurufen. Sie kennen die Bilder alle.
Und das Schรถne ist: Wir denken hier nicht allein รผber das Dilemma nach.
Ein kleines grรผnes Buch zeigt jetzt, dass ganz viele รผberall genauso intensiv รผber das Dilemma nachdenken.
Dazu kommen wir gleich noch.
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