Es ist gespenstisch. Da debattiert und agiert die SPD landauf landab so, als gebe es derzeit keine rechte Mehrheit im Bundestag. Da werden die Mitglieder der SPD zu Foren eingeladen, um über den Koalitionsvertrag zu debattieren. Als hätten Sozialdemokrat/innen eine komfortable Wahl: entweder einer sozialdemokratischen Regierungsbeteiligung zuzustimmen oder aber die SPD im Bundestag als „stärkste“ Oppositionspartei lupenreine Positionen vertreten zu lassen und dafür eventuell auch Mehrheiten bilden zu können.
Die Tatsache ist leider eine andere: Seit dem 24. September 2017 haben die rechten Parteien eine satte Mehrheit im Bundestag, die wesentlich größer ist als die einer schwarz-roten Koalition. Eine Minderheitsregierung von CDU/CSU würde vor allem bedeuten, dass es wahrscheinlich schneller, als jedem lieb sein kann, zu einem Annäherungsprozess zwischen CSU/CDU und AfD kommen wird. Schon jetzt ist mehr als beunruhigend, wie sich die AfD im Windschatten der komplizierten Regierungsbildung und der unsäglichen Auseinandersetzungen in der SPD in aller Ruhe radikalisiert, ohne dass dies noch zu größeren Debatten führt.
Dafür ist nicht nur der Landesparteitag der sächsischen AfD ein mehr als dramatisches Beispiel. Auch die Kundgebung der vier ostdeutschen AfD-Landesverbände Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Brandenburg am Aschermittwoch (14.02.2018) in einer Betriebshalle in Nenntmannsdorf bei Pirna muss bei jedem Demokraten alle Alarmglocken klingeln lassen.
Da wurde die Allianz zwischen AfD, Pegida und dem rechts-nationalistischen Magazin „Compact“ besiegelt – genau das rechtradikale Bündnis, an dem Jürgen Elsässer und Götz Kubitscheck seit Jahren arbeiten.
Man kann nur jedem empfehlen, sich auf Youtube die Reden von Jürgen Elsässer, André Poggenburg und Björn Höcke anzuhören. Niemand soll später sagen können, er oder sie habe da etwas nicht mitbekommen.
Was sich in der AfD-Hochburg Osterzgebirge abgespielt hat, ist Demokratieverachtung und rassistische Volksverhetzung in Reinkultur. Reden, Gesten, Verhalten der AfD-Granden wie der über 1.000 AfD-Anhänger sehen und hören sich an wie Remake der Nazi-Kundgebungen der 20er Jahre des vorigen Jahrhunderts.
Poggenburg begrüßt schon mal alle mit „Kameraden“ und „Genossen“ und beendet seine Rede mit einem Hitler-Gruß – allerding mit dem linken Arm. Dazwischen ein Kniefall vor Orbán und Putin, Politiker, die noch auf’s Volk hören – bejubelt von den Zuhörer/innen, die immer wieder das Gleiche skandieren: „Abschieben“, „Volksverräter“, „Merkel muss weg,“ „Widerstand“ und natürlich „Wir sind das Volk“.
Der Saal kocht, als André Poggenburg gegen türkische Bürgerinnen und Bürger hetzt, aber alle Ausländer/innen, Flüchtlinge meint: „Diese Kümmelhändler haben selbst einen Völkermord an 1,5 Millionen Armeniern am Arsch… und die wollen uns irgendetwas über Geschichte und Heimat erzählen? … Diese Kameltreiber sollen sich dahin scheren, wo sie hingehören: weit, weit hinter den Bosporus zu ihren Lehmhütten und Vielweibern. Hier haben die nichts zu suchen und nichts zu melden. Punkt!“ Dann legt er noch nach, „dass diese unsägliche doppelte Staatsbürgerschaft logischerweise nichts anderes hervorbringen kann, als heimat- und vaterlandsloses Gesindel, das wir hier nicht länger haben wollen.“ Antwort des Publikums: frenetischer Beifall, unterstützt von Trommelwirbel, dann Sprechchöre „Abschieben“, darauf Originalton Poggenburg: „Das wäre ein Rezept.“
Da war nichts im Affekt gesprochen. Poggenburg hatte seine Hetztiraden sorgfältig vorbereitet und las sie ab. Jeder Satz ist geplant. Das war keine Provokation, sondern AfD-Programm pur!
Das gilt auch für die Rede von Björn Höcke, die einem sehr einfachen Strickmuster folgt: Deutschland steht am Abgrund. Daran schuld sind die „Altparteien“, die Deutschland abschaffen, verkaufen wollen. Sie müssen genauso beseitigt werden wie alle „illegalen Flüchtlinge“, „Invasoren“ – und natürlich auch die kulturelle Vielfalt. Da wird die Bürgerkriegsrhetorik schon kräftig bemüht.
Kein Zweifel: Höcke, Poggenburg, Elsässer sind keine Maulhelden. Sie wollen und werden das ausführen, was sie jetzt in verbale Vernichtungs-Rhetorik packen. Darüber soll sich niemand irgendeiner Illusion hingeben. Wir müssen nur in die Geschichte schauen. Sie lehrt auch, wie Menschen („Wir sind keine Nazis!“) sich zum johlenden Beifall für menschenverachtende Parolen hinreißen lassen – und es dann auch nicht bei Handbewegungen belassen.
Und sie lehrt, wie schnell zuerst kleine Unternehmer, Mittelständler diesen Totengräbern der Demokratie Hallen überlassen, sie finanzieren, ihnen zu Füßen liegen; dann die Bildungsbürger, die alles nicht so schlimm finden, und schließlich die Konzernherren, die ihre Schatullen öffnen, weil zumindest gute Geschäfte winken (Höcke will ja in der Autoproduktion nichts verändern!). Genauso hat es sich am Vorabend des Nationalsozialismus vor bald 90 Jahren abgespielt.
Heute muss man sich nur die sog. Wirtschaftsführer ansehen, wie sie katzbuckelig am Trump-Tisch in Davos saßen und diesem Neu-Diktator devot huldigten, um zu erahnen, wie sie funktionieren.
Das sind die Probleme, über die wir jetzt sprechen, debattieren müssen – anstatt uns an Spiegelstrichen des Koalitionsvertrages abzuarbeiten. Das steht jetzt auf der Tagesordnung: Wie können die Demokraten eine Regierung bilden und eine glaubwürdige, den Menschen zugewandte Politik gestalten – eine Politik, durch die Europa gestärkt, die Demokratie verteidigt und vor allem dem völkisch-rassistischen Nationalismus der AfD widerstanden wird.
Vielleicht müssen wir hier in Sachsen die Dinge etwas schärfer sehen. Denn hier schickt sich die rechtsradikale, demokratiefeindliche AfD an, stärkste Kraft im Land zu werden – nein: zu bleiben. Das muss verhindert werden. Wir müssen die Menschen überzeugen: Wer AfD wählt, der wählt den Abgrund, in den Deutschland sich schon einmal verirrt hat. Wann also wachen wir endlich auf? Wann hören wir auf mit Selbstberuhigung? Die Lage ist mehr als kritisch.
Keine Kommentare bisher
Nicht AfD zu wählen hat mit demokratischen Prozessen in einer anderen Partei was zu tun?
Soll mit dem Beitrag gesagt werden, daß die Diskussion innerhalb der SPD um den Koalitionsvertrag und den Eintritt in eine neue Groko zu Gunsten einer Positionierung gegen die AfD zu beenden sei?
Soll damit gesagt werden, daß ein Schlussstrich unter gemachte Fehler gezogen werden und “nach vorn geschaut” werden müsse?
Soll die Aufarbeitung beendet werden (die noch nicht ansatzweise begonnen hat)?
Die Glaubwürdigkeit einer Partei des Sozialabbaus versuchen herzustellen durch Protest gegen eine andere Partei?
Sollte das die Intention des Beitrages sein, dann viel “Spaß”!
Denn die verdammten Fehler, die die SPD seit der ersten Groko gemacht hat, haben erst zum Entstehen und dann Erstarken der AfD geführt. Das Nicht-Eingestehen dieser Fehler zementiert den Zustand. Die Verlogenheit von Schulz und seinen Vorstandskollegen waren nur noch der berühmte Tropfen. (Wobei die Metapher unsinnig ist, das Faß läuft schon lange über….)
Jetzt weitermachen, hieße eine Politik weiter zu führen, die erst zu einer AfD geführt hat. Dann haben die bei der nächsten Wahl erst recht “gute Karten”. Das scheint eine sehr erfolgversprechende Strategie zu sein.
Das Gegenstück zu “Kurz” wäre die nötige Alternative. Nach Lage der Dinge kann das nicht Nahles sein. Alt, verbraucht, verbogen, verbunden mit der Politik des Sozialabbaus.