Auch die konservative F.A.Z. überrascht ab und zu mit Einsichten, die man diesem Lieblingsblatt der Patriarchen gar nicht zugetraut hatte. Was auch daran liegt, dass auch ein paar aufmüpfige Frauen dort schreiben dürfen, so wie Carolin Wiedemann im Feuilleton, die sich am 4. Januar einmal mit „Faschismus und Männlichkeit. Die weiße Scharia“ beschäftigte. Erstaunlich, aber es stimmt: Extremisten sind fast ausschließlich Männer. Männer sind es, die in Gewaltorgien schwelgen, nicht Frauen.
Wobei Wiedemann etwas macht, was beinah so wirkt, als wäre das Jahr 1968 jetzt auch endlich in der F.A.Z. angekommen. Man kann ja nicht gut darüber schreiben, was da 1968 gerade auf Frankfurts Straßen abging, wenn man sich nicht mit dem beschäftigt, was die aufgebrachten jungen Leute damals auf der Straße, in den Hörsälen und in wilden Sit-Ins eigentlich wollten. Heute funktioniert es nicht mehr, diese bunte Bewegung auf lange Haare, Kiffen, freien Sex und Straßengewalt zu reduzieren.
Diese jungen Leute haben die Republik verändert.
Was ja aus östlicher Sicht tröstlich ist. Dann werden die etwas ernsthafteren Gedanken von 1989 auch 2039 endlich so weit sein, dass sie die Köpfe der Meinungsmacher erreichen. Vielleicht erleben wir das noch. Denn – dummerweise – wird auch Sicht auf Geschichte von Männern gemacht. Deswegen ist Geschichte so eine scheinbar konsequente Story aus Sieg und Niederlage, aus „The winner takes it all“ und einem Verschwinden all derer, die halt nicht gewonnen haben.
Aber wer gewinnt eigentlich? Was ist das für ein Triumphgefühl?
Es ist dasselbe Triumphgefühl, das unzählige dümmliche Hollywood-Filme verbreiten – wo eiskalte harte Jungs am Ende das Wüstenkaff, die Riesenstadt oder gleich die ganze Welt retten. Allmachtsphantasien, verquirlt zu bunter Scheiße, produziert von Typen, die vor Filmbeginn erst einmal die mitspielenden Schauspielerinnen sieben, ob sie willig sind … Die #MeToo-Bewegung gehört dazu, um zu erkennen, was da die ganze Zeit passiert. Und warum die sich machtlos fühlenden Männer solche Großmäuler wie Trump, Erdogan oder Orban wählen. Warum sie es mutig finden, rechtsradikale Parteien zu wählen und dann glauben, sie hätten es „denen da“ irgendwie gezeigt. Obwohl sie eigentlich wieder nur zerstören, was unsere Welt seit 70 Jahren relativ friedlich gemacht hat.
Natürlich geht es um das Weibliche, wie es so freilich in Wiedemanns Artikel noch nicht vorkommt. Denn 1968 hat zwei Weiblichkeits-Bilder gezeichnet.
Das eine ist das finstere: Die radikale Beschreibung der patriarchalischen Männerphantasien, die in jeder männerdominierten Diktatur wieder aufgerufen werden.
Wiedemann: „Diese patriarchale Argumentation schafft es, zwei Gruppen zu vereinen, deren Interessen eigentlich entgegengesetzt sind: Neoliberale wie Trump, die auf die Freiheit und Verantwortung der Einzelnen setzen, die keine Steuern zahlen wollen, weil sie sich ihren Reichtum in ihren Augen selbst erkämpft haben, und Neokonservative, von denen einige einst links waren, die unter dem zunehmenden Abbau des Sozialstaats leiden, die Verantwortung aber nicht in einer neoliberalen Politik suchen, sondern in ‚Multi-Kulti‘ und Feminismus.“
Sie geht dann auf die klugen Analysen ein, die das meist mystifizierte Bild schwafelnder Männer vom Weib auseinandergenommen haben – die Frauen über Jahrtausende entweder zur „reinen Jungfrau“ stilisiert, zur Hure oder – als bedrohliches Schattenbild ihrer verunsicherten Männlichkeit – zur Zauberin und Hexe gemacht haben.
Es ist kein Zufall, dass die Hexenverbrennungen in Deutschland erst so richtig in Gang kamen, als die Reformation nicht nur die Glaubenswelt erschütterte, sondern auch die hochpriesterlichen Positionen und Selbstbilder der Männer. Männer, die vor jeder Emanzipation und Veränderung Angst haben.
Die meisten Männer sind feige.
Deswegen gibt es gewalttätige Knallchargen meist nur im Sixpack. Allein fürchten sie sich. Auch weil sie sich ihrer Rolle nie sicher sind. Noch nie waren. Denn das Männlichkeitsbild war immer nur ein Konstrukt, genauso wie das Weiblichkeitsbild.
Damit wurden Menschen für die Rollen konditioniert, für die sie in der modernen Zivilisation gebraucht wurden (aber das führe ich hier jetzt nicht weiter aus, sonst wird’s zu lang).
Und deswegen gibt es auch die andere Sicht auf Weiblichkeit, die vor 50 Jahren Eingang fand – unter anderem in die Psychologie. Als sich zumindest die nachdenklicheren unter den Männern mit der Frage beschäftigten: Wie viel Weiblichkeit steckt eigentlich im Mann?
Und damit war nicht der so gern beschriene Genderismus gemeint, diese Totalverunsicherung der geschlechtlichen Identität, die Hosenträger wahrscheinlich zur Verzweiflung bringt, wenn wieder ein bunter Christopher Street Day durch die Stadt zieht.
Das Weibliche, das eigentlich das „Weibliche“ ist, beschreibt die Psychologie gern als das Behütende, Bewahrende, Sorgende, Liebende und Beschützende.
Kluge junge Männer wissen, dass das auch alles zur (modernen) Vaterrolle gehört. Und dass man als junger Vater genau dann glücklich und heilfroh ist, wenn man seinen Kindern und seiner Familie genau das geben kann.
Nur hat das mit dem Männlichkeitsbild der Marktradikalen und Rechtsradikalen nichts zu tun. Die sind sich noch viel ähnlicher, als Carolin Wiedemann glauben mag. Denn sie haben alle das Bild zur Grundlage, das den triumphierenden, rücksichtslos „nach oben“ strebenden, trampelnden und wütenden Mann zeigt. Der keine Gefühle zeigt, der Maske trägt und rücksichtslos zuschlägt, wenn er seine Chance sieht, den Gegner aus dem Feld zu schlagen. Oder die Gegnerin. Es geht immer gegen Schwächere. Es ist dasselbe Denken, das alle Macht nur dem „Macher“ zugesteht, dem, der bereit ist, rücksichtslos „aufzuräumen“ und seine Umwelt in Angst und Schrecken zu versetzen.
Denn davon leben diese Männer: Dass Jeder und Jede in ihrem Umfeld das Gefühl hat, dass sie beim kleinsten Fehler oder Widerspruch zerstampft werden. Oder – frei nach Trump: „You are fired!“
Diese Menschen lieben nicht nur die Macht an sich. Sie lieben das Gefühl, schrecklich zu sein und Menschen rings um sich einzuschüchtern, zu willfährigen Dienern und Opportunisten zu machen. Sie prahlen auch noch damit. Und sie gießen gern all ihre Verachtung über alle aus, von denen sie glauben, dass sie schwächer sind – Linke, Ausländer, Bürgermeisterinnen, Grüne, Homosexuelle …
Und das Schlimmste dabei ist nicht nur ihr eitles Gerangel und Geschubse um die Macht. Das Schlimmste ist ihre völlige Unfähigkeit zur Kooperation.
Die Welt sieht nicht so aus, weil die Menschen unfähig wären zur Kooperation, sondern weil Männchen mit dem alten, tief verinnerlichten Denken der radikalisierten Macht auf allem herumtrampeln, was auch nur wie Solidarität und Kooperation aussieht. Da sind die Marktradikalen genau dieselbe Soße wie die Rechtsradikalen.
Deswegen sind unter ihren Spitzenleuten keine Bewahrer, keine Sorger und Friedensstifter. Deswegen sind sie als Umweltminister genauso fehl am Platz wie als Innenminister (augenscheinlich in Deutschland eine Ansammlung verunsicherter Kraftmeier, die ihre eigene Verunsicherung als Überwachungszwang in die Gesellschaft hineinprojizieren).
Deswegen ist Angela Merkel übrigens bis heute die unangefochtene Spitzenfrau der CDU – weil sie in diesem Haufen männlicher Kraftmeier die einzige ist, die noch fähig ist, kooperativ zu denken. Kommt zwar nicht viel dabei heraus, weil sie ständig ihre kläffenden Beißer an den Fersen hat. Aber augenscheinlich löst das nicht einmal einen Denkprozess in dieser Partei aus.
Könnte konservativ auch kooperativ heißen? Das ist jetzt was für die klügeren Köpfe in dieser Partei.
Denn die Tragik von 1989 ist, dass sie in einigen Aspekten eben leider eine friedliche Konterrevolution war.
Denn mit den Hartgesottenen Nix-mehr-Merkern aus dem Honneckerschen Politbüro wurde auch klammheimlich das „Gorbi! Gorbi!“ abgeräumt, das im Kern etwas war, was auch den Machtkoloss Helmut Kohl zutiefst verunsichert hat: ein kleines Stück weibliches, weil weltbewahrendes Denken. Spätestens wenn Männer wie Michail Gorbatschow den Friedensnobelpreis bekommen, kann man sich sicher sein, dass sie abserviert sind. Dass man ihnen ein Spaßbonbon ans Revers heftet – und dann tschüss. Mit lieben Grüßen aus der Pélerin Society.
Wer wird denn aus kooperativem Denken lernen, dass man Probleme gemeinsam lösen kann? Gar im Gespräch und so, dass der „Gegenspieler“ sein Gesicht nicht verliert?
Gar wirklich alles als unser aller Mutter Erde zu betrachten und alle Probleme mit der Gelassenheit erfahrener Mütter und Väter anzugehen, die wissen, dass man Kinder nicht mit Prügeln, Häme, Verachtung und Drill erziehen kann – dann werden sie leider genauso kaputt und gewalttätig wie der Hornochse von Vater.
Und dass man auch lernen kann – von jedem anderen Menschen, auch von dem, den man befremdlich findet, weil er lange weiße Nachthemden trägt, lange Bärte oder einen Sombrero. Oder gar Röcke.
Frauen – und da komme ich jetzt mal zum Schluss – werden in dieser Welt der in sich völlig haltlosen Machos nur akzeptiert, wenn sie sich genauso benehmen wie die schlimmsten Rüpel in der Mannschaft: bissig, herrschsüchtig, beratungsresistent, durch nichts zu rühren und vor allem rücksichtslos, wenn es um das Wegbeißen möglicher Konkurrenz geht.
Unser heutiges Bild von Macht und (was für ein patriarchalisches Kampfwort) Durchsetzungsvermögen sorgt dafür, dass wir genau solche Kampfrüpel und zu kooperativem Denken und Handeln völlig unfähigen Anzugträger in den Führungspositionen haben. Wir haben den kraftmeiernden Macho zum Idealbild des Spitzenmannes gemacht. Nur manchmal schimmert das Bild eines anderen, respektvolleren Politikmachens auf. Das nie lange gutgeht, weil hinter den Kraftmeiern immer die ganze finanziell voll aufmunitionierte Truppe der Gierigen und Durchsetzungswilligen steht, die alles tun, damit ein solidarisches Experiment schnellstmöglich von der Bildfläche verschwindet.
Egal, welches – ob eine fundierte Klima- oder Nachhaltigkeitspolitik (beides echte Bewahrerthemen), eine Grundsicherung für alle (beschützen und umsorgen) oder gar das, was wir mal eine soziale Marktwirtschaft genannt haben, deren sozialer Teil aber längst in großen Teilen privatisiert ist und verramscht.
Aber das Denken, dass immer nur der „Bessere“ gewinnen soll, das sitzt mittlerweile tief.
Und ist eng verkoppelt mit der tiefen Verunsicherung der Männer in ihren alten Männlichkeitsbildern. Daran halten sie krampfhaft fest. Oder gehen gleich auf die Straße und benehmen sich so, wie sie es gelernt haben – in Wut und Abwehr. Denn davor, ihr Rollenbild aufzulösen und ihr Selbstbild auf eigene Füße zu stellen, davor haben sie eine panische Angst.
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