Das eine ist, das politisch eigentlich Notwendige und Erforderliche als Erwartung für eine neue Regierung zu formulieren. Das andere ist jetzt zu bewerten, worauf sich CDU/CSU und SPD heute verständigt haben. Auf 28 Seiten ist es festgehalten. Jeder kann es lesen. Das Ergebnis meiner Lektüre: Das, was in den Sondierungsgesprächen ausgehandelt wurde, ist weit mehr, als zu erwarten war; vor allem sehr viel mehr, als die SPD unter anderen Konstellationen jemals hätte erreichen können.
Mit Dobrindt‘s verquaster „konservativer Revolution der Bürger“ haben die Ergebnisse nichts, mit sozialdemokratischer Politik eine ganze Menge zu tun. Das lässt sich an ein paar Punkten belegen:
- Die drei ersten Ziele aus der Präambel geben an, was der politische Schwerpunkt, das Leitbild der neuen Koalition sein wird: Europa stärken, die sozialen Spannungen überwinden, Demokratie beleben. An diesen Zielen wird sich die Arbeit der schwarz-roten Koalition messen lassen müssen.
- Es ist ein Erfolg der SPD, dass an erster Stelle der neuen Regierungsarbeit stehen wird: der Aufbruch für Europa. Damit wird allem nationalistischen Gerede, aller Deutschtümelei, allem Europa-Bashing Einhalt geboten: Die neue Bundesregierung betreibt europäische Politik.
- Wie ein roter Faden zieht sich durch die Vereinbarung: Wir wollen das Zurückfahren staatlicher Verantwortung des vergangenen Jahrzehnts beenden. Öffentliche Investitionen in Familie, Bildung, Infrastruktur, Sicherheit sollen entstandene Spaltungen ebnen und den gesellschaftlichen Zusammenhalt fördern.
- Ganz wichtig: Das Absinken des Rentenniveaus soll gestoppt werden; eine Grundrente wird eingeführt; man kehrt zur paritätischen Finanzierung der Krankenversicherung zurück.
- Die Vereinbarungen zur Migration lassen sich nicht reduzieren auf „Familiennachzug“. Denn nicht eine Abwehrhaltung bestimmt die Vereinbarungen, sondern die Absicht, Integration so zu gestalten, dass sie gelingt.
Insgesamt gesehen: Als Sozialdemokrat kann ich mit dem Ergebnis der Sondierungsgespräche gut leben. Mehr noch: Ich kann nur hoffen, dass diese Vereinbarung rasch zum Koalitionsvertrag erklärt wird. Alles Weitere sollte man der konkreten politischen Regierungsarbeit, d.h. der regierungsinternen Diskussion, dem parlamentarischen Diskurs und der öffentlichen Debatte überlassen.
Wir brauchen diese streitige Auseinandersetzung, wenn das Ziel, die Demokratie zu beleben, erreicht werden soll. Darum hoffe ich, dass der Parteitag der SPD dem Ergebnis der Sondierungsgespräche nicht nur zustimmt, sondern gleichzeitig beschließt, die Koalitionsverhandlungen auf Regelungen für das Regierungshandeln zu beschränken.
Kein zusätzlicher Satz wird dieses Ergebnis verbessern, jedes Infragestellen wird es verwässern. Darum: Macht dieses Ergebnis zum Koalitionsvertrag, über den dann die Mitglieder der SPD bald abstimmen können. Danach heißt es: Die Regierungsarbeit als Aufbruch zur Erneuerung europäischer, sozialer, demokratischer Politik zu gestalten. Das wird aber nur gelingen, wenn die Regierungsarbeit nicht als Abhaken von vereinbarten Zielen verstanden wird, sondern als lebendiger Prozess in der Demokratie – Scheitern eingeschlossen. Wir sind gefragt.
Nachtrag: Heute vor drei Jahren versammelten sich in Leipzig 35.000 Menschen, um für eine menschenwürdige Aufnahme von Geflüchteten, für Vielfalt und Demokratie zu demonstrieren und damit den Hassparolen von Pegida/Legida entgegenzutreten. Das war ein ganz wichtiges Signal. Wir haben erreicht, dass Legida seit Januar 2017 nicht mehr aufmarschiert ist.
Nicht verhindern konnten wir, dass die rechtsradikale AfD bei der Bundestagswahl in Sachsen stärkste Partei wurde und dass der organisierte Rechtsextremismus weiter sein Unwesen treibt. Auch deswegen ist es ganz wichtig, dass Europa, sozialer Zusammenhalt und Demokratie als Leitmotive zukünftiger Politik verstärkt werden.
Das Ergebnis der Sondierungen zwischen CDU/CSU und SPD vom 12.01.2018
Es gibt 2 Kommentare
Vielleicht ist ja auch der Fortbestand der SPD wenig hilfreich?
Die SPD hat zur Entsolidarisierung der Gesellschaft wesentlich beigetragen. Die Sondierungsergebnisse lassen nicht erkennen, daß dieser Weg verlassen wird.
Mit dieser neoliberalen Politik hat die SPD nicht unwesentlich zu einer gesellschaftlichen Situation beigetragen, die den Aufstieg der AfD begünstigt hat.
Diesen Weg weiter zu gehen dürfte für den Fortbestand der SPD nicht hilfreich sein.