KommentarSolche Umfragen finden regelmäßig statt, wie sie SINUS Markt- und Sozialforschung zusammen mit YouGov jetzt wieder durchgeführt hat: Die Deutschen seien grundsätzlich weltoffen, zeigen jedoch hinsichtlich Zuwanderern gespaltene Gefühle. So habe es die repräsentative Umfrage anlässlich des Internationalen Tags der Migranten am 18. Dezember ergeben. Gespaltene Gefühle? Oder vielleicht falsche Fragestellungen?

Die Ergebnisse sind erst einmal ganz nett:

– 80 % der Befragten lernen im Urlaub gerne fremde Länder und Kulturen kennen.
– 47 % empfinden Zuwanderer als Bereicherung für Deutschland.
– Die Hilfsbereitschaft für Flüchtlinge ist hoch – solange man selbst nichts tun muss.
– Allerdings sind 88 % der Ansicht, dass sich Zuwanderer besser integrieren sollen.
– 55 % macht die große Zahl fremder Menschen in Deutschland Angst – 91 % der AfD-Wähler sehen dies so, aber nur 25 % der Grünen-Wähler.

Die Umfrage wurde online gemacht – im November. Über 2.000 Leute haben teilgenommen.

Wie viele nicht teilgenommen haben, teilen die Institute ja nie mit.

Aber die Fragen teilen sie mit, die sie gestellt haben. Wie zum Beispiel die zu den 88 Prozent, die der Ansicht seien, dass sich Zuwanderer besser integrieren sollen.

Es ist wie so oft bei all den heutigen Umfragen, bei denen alle möglichen Institute so tun, als würden sie objektiv und ohne Einflussnahme fragen. Tun die meisten nicht.

Eine Frage dieser Art ist schon suggestiv formuliert: „Die Zuwanderer sollten sich besser in unsere Kultur integrieren.“

Wir haben uns nur daran gewöhnt, dass ständig so gefragt wird. Dass Moderatoren und Befrager wie selbstverständlich davon ausgehen, dass wir

a) eine besondere Kultur haben, in die sich andere Leute einfach einzuordnen haben, und dass
b) Integration nur eine Aufgabe für die Ankömmlinge ist. Eine, die sie bitteschön zu leisten haben, sonst gibt es keinen Nachtisch.

Eine egoistische, verbohrte und überhebliche Haltung ist das. Verlogen ist sie auch noch. Und sie beschreibt nicht einmal das, was unsere Gesellschaft ausmacht. Als hätten die Befrager (oder die Auftraggeber vom Londoner YouGov) nie auch nur darüber nachgedacht, was Migration eigentlich ist, was Menschen dazu treibt, ihre Heimat zu verlassen und anderswo völlig neu anzufangen. Was dann immer ganz selbstverständlich Integration ist: Die Leute tun nichts anderes. Sie machen Sprachkurse, suchen sich eine Wohnung, eine Arbeit, zahlen Steuern und versuchen, zu vollwertigen Mitgliedern der neuen Gesellschaft zu werden.

Augenscheinlich ist es konservativen Befragungsinstituten in England wie Deutschland ähnlich nicht peinlich, in solchen Umfragen zu suggerieren, die Zuwanderer täten das alles nicht. Dass eine Integration Arbeit und Mühe macht – keine Frage. Meist ist es ausgerechnet die Gastgesellschaft, die da Hürden, Mauern und Verbote hinstellt. Oder gleich mit frechem Ministergrinsen abschiebt. Wir also, wir mit unserer tollen Ausgrenzungskultur.

Das schreit ja geradezu aus den Fragen, ohne dass die steifnackigen Befrager auch nur auf die Idee kommen, ihr eigenes Bild von „unserer Kultur“ infrage zu stellen. Was mich persönlich oft genug zu der Aussage bringt: Eure Grenzwächterkultur könnt ihr euch an den Hut stecken. Sie ist nicht meine. Ihr sortiert die ganze Zeit aus, baut Zäune, Barrieren und Mauern und haltet euch für was Besseres.

Warum eigentlich?

Warum maßen sich diese kulturlosen Hansel an, „unsere Kultur“ bestimmen zu wollen? Wenn sie sie wenigstens definieren könnten. Aber das können sie nicht. Denn es gibt diese homogene „unsere Kultur“ nicht. Was einem spätestens beim nächsten Besuch im deutschen Fernsehen oder auf Youtube klar wird: alle Kanäle sind vollgepropft mit süßlichem Weihnachtsgejaule. Engelchen, Holy Night, lauter christlich angestaubter Schnickschnack, mit dem zugetüncht wird, dass wir ganz und gar keine friedliche, nette oder gar christliche Kultur sind.

Und bevor ich das jetzt auseinandernehme (was ganz bestimmt ein fettes 1.000-Seiten-Buch würde), drehe ich es einfach um. Nehme ich diesen steifen Befragungshanseln ihr falsch benutztes Wort Integration weg, das nämlich dummerweise voraussetzt, dass es eine starre, homogene Empfangskultur gibt.

Gibt es aber nicht.

Alle Gesellschaften und Kulturen sind migrierende Gesellschaften und Kulturen. Sie wandern und verändern sich – räumlich und zeitlich. Permanente Veränderung ist das Grundmerkmal unserer Gesellschaft. Grenzenlosigkeit übrigens auch. Stabile Zäune und Mauern sind nur kurzzeitig erfolgreiche Versuche, das Wandern von Menschen zu unterbinden. Erst die Bewegung und die Begegnung schaffen Herausforderung und – na holla, frisch aus dem Wortkübel der Neoliberalen: Konkurrenz. Oder, damit es nicht so böse klingt: Wettbewerb.

In einer kapitalgetriebenen Welt sind Menschen, Städte und Länder fortwährend im Wettbewerb miteinander – und zwar auch um Ideen, Innovationen, Bildung, bessere Lösungen. Übrigens auch um bessere Lösungen für Integration. Denn am erfolgreichsten sind Gesellschaften, denen die Integration in allen Bereichen am besten gelingt.

Wir sind bestenfalls mittelmäßig in Integration.

Was übrigens die meisten Ostdeutschen wissen: Die fühlen sich – obwohl sie sich redlich Mühe gegeben haben – nach 27 Jahren noch immer nicht integriert und akzeptiert. Sie kennen diesen blöden Spruch seit 1990: Passt euch erst mal an. Werdet erst mal wie wir.

Was ich für einen Hauptgrund dafür halte, dass die Ablehnung von Zuwanderung gerade im Osten so groß ist. Wer nach 27 Jahren immer noch das Gefühl hat, dass er bettelnd vor der Tür steht, der wird keinen zweiten Bettler neben sich haben wollen.

Die ganze Integrations-Diskussion läuft falsch

Es geht auch nicht darum, ob wir nun die Zuwanderer begrüßen oder uns vor ihnen fürchten. Auch das ist eine verlogene Fragestellung. Es geht darum, Integration als gesellschaftliche Grunderfahrung zu etablieren. Und als Angebot für alle.

Aber da sind wir bei „unserer Kultur“. Wir haben eine aussortierende und abwertende Gesellschaft. Was vielen Befragten augenscheinlich gar nicht bewusst ist. Denn die meisten würden gern helfen – die Österreicher sogar noch mehr als die Bundesdeutschen. Was schon verblüfft nach dem rechtslastigen Wahlergebnis in Österreich. Es geht also ein eklatanter Riss durch die Menschen: Sie halten Hilfe und Integration für wichtig – wählen aber mehrheitlich Parteien, die Mauern bauen und aussortieren wollen.

Also „unsere Kultur“, also deren Bierzeltkultur. Die all die Veränderungen versucht, auf eine primitive Handlungsanweisung für die Leute zu reduzieren, die da zu uns kommen. Aber hinter der Angst vor „zu vielen Zuwanderern“, die auch hier wieder beschworen wird, spürt man eine ganz andere Angst: Nämlich die vor anderen Menschen überhaupt. Das steckt nämlich in der Fügung „unsere Kultur“. Wer meint, er teile mit der homogenen Mehrheit eine Kultur, der lebt in der Illusion, dass es diese klar definierbare Einheits-Kultur tatsächlich gibt und seine blasse Haut und die zufällig gelernte deutsche Sprache davor beschützen, aus der Einheitskultur verstoßen zu werden.

Also aus der Schafherde.

Die „Schwarzen Schafe“ sind immer die anderen.

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