Die letzten Tage des Jahres wirken immer ein wenig, als stehe man an einem Bahnsteig und winke dem davonziehenden Jahr durch die Zugfensterscheibe zu. Der Zug ist noch nicht abgefahren, man steht ein bisschen verlegen herum und weiß nicht recht, was man noch machen soll. Richtig anzufangen kann man miteinander nichts mehr, macht seltsame Gesten, eigentlich will man gehen, kann aber noch nicht ...
Vielleicht wurden deshalb Silvesterparties, Feuerwerk und Alkohol erfunden. Das macht den Abschied leichter. Abschiede sind nun mal irgendwie schwierig. Abschiede für immer großer Mist. Auch im vergehenden Jahr gab es davon auch in der öffentlichen Wahrnehmung nicht ganz wenige.
Ich will auf einen besonders eingehen. Auf den Abschied des Journalisten Udo Ulfkotte. Ich weiß noch, wie ich im Januar von einem wundervollen Nachmittag gerade in die warme Hütte zurückgekehrt war, als ich die Nachricht vom Tod des 56-Jährigen und zuletzt durchaus als fragwürdig zu bezeichnenden Publizisten Udo Ulfkotte las. Jenes Ulfkottes, der nach langen Jahren bei der FAZ in jüngerer Vergangenheit bekanntlich anders aufzufallen wusste: als Pegida-Redner, als Islam-gegnerischer Buchautor oder als Sprachrohr von 60 % der Frauen, die aufgrund der zunehmenden Migrantendichte nur noch verängstigt das Haus verlassen würden. All dies jedoch soll hier nicht mehr im Fokus stehen. Im Angesicht eines Ablebens verbietet sich dies. Es ist tragisch genug, wenn jemand nur 56-jährig gehen muss.
Ich will das gern erklären: Wie man allein an Ulfkottes Biographie und seiner sich wandelnden Haltung dem Mitmenschen gegenüber sehen kann, ist der Mensch zur Veränderung fähig. Veränderungen zum Besseren, Veränderungen zur Verbitterung, Veränderungen auch, die vielleicht nur einer verwirrten Phase geschuldet sind. Und hier kommt die Tragik ins Spiel: Wenn ein im Kern vielleicht guter, mitfühlender, aber verletzlicher Mensch in der Phase seiner höchsten Verblendung aus dem Leben gerissen wird, was bleibt der Welt, die nicht zu dessen privatestem Kreis gehörte, dann von diesem in Erinnerung?
Eine nicht ganz uninteressante Frage, oder?
Albert Schweitzer soll einmal in etwa gesagt haben, dass das worauf es im Leben ankommt, das sei, was man in den Herzen seiner Mitmenschen hinterließe. Da ist möglicherweise viel dran. Was aber, wenn man in den Herzen seiner Mitmenschen nur Angst, Unsicherheit, Abneigung gegen ein diffuses Feindbild hinterlassen hat? Und das mit einer, der publizistischen Zunft geschuldeten, ziemlichen Reichweite? Ist das nicht die eigentliche Tragödie? Keine Chance mehr, Dinge zurückzunehmen, zu relativieren, sich zu entschuldigen?
Das ist das Traurigste: Anfang 2017 ging einer ab, der für eine weitere Veränderung seiner Ansichten nicht mehr zur Verfügung steht. Für niemanden. Was kann man daraus lernen? Wenn man überhaupt aus zu frühen Toden etwas zu lernen trachtet?
Ich für meinen Teil wieder mal nur das Simpelste: Es bestärkt mich in meiner Haltung, dass es das Schönste ist im Leben, andere nicht kleinzumachen, solange diese nicht an den Hebeln irgendeiner Macht sitzen und genau das mit anderen tun.
Dass es das Schönste ist, jemanden zu wissen, den man im Sommer einfach nur in die Gänseblümchen drücken und auf den Mund küssen möchte. Den man nicht nur verführen, sondern unterwandern will. Und dass man ein oder zwei oder drei oder sonst wie viele Kinder hat, die einem sagen, die einem auf ihre unvergleichliche Weise sagen: „Mach mal Pause, Mami, koch dir ein Mittagessen und trink einen Smoothie, dass du es dir genießt“.
Vor allem aber, dass man andere mit bestem Wissen und Gewissen mit der Gewissheit ausstattet, dass das Leben ein Geschenk ist, das allen gemacht wurde.
Und wie wir auch heute wieder erkennen: ein Geschenk mit Verfallsdatum.
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