Tsunamigleich ist die Flut an Schwachsinnigkeiten, die beflissen immer wieder vom Ozean des Lifestyle-Journalismus auf uns hernieder rollt. Eine der am hartnäckigsten rollenden Wellen in diesem Zusammenhang scheint in letzter Zeit die Absurdität zu sein, mit der in dreistester Selbstverständlichkeit behauptet wird, dass irgendetwas Altes irgendetwas Neues sei: So titelt die „BILD der Frau“: Grau ist das neue Schwarz, während sich die „Petra“ sicher ist: Schlaf ist der neue Sex. Und das Magazin des „Zürcher Tagesanzeigers“ weiß sogar: Männer sind die neuen Frauen.
Am häufigsten aber wird man mit der wahnwitzigen Behauptung konfrontiert, dass Vierzig das neue Dreißig sei. Vierzig ist das neue Dreißig!? Hieße das nicht auch, dass Siebzehn das neue Sieben wäre? Dann erkläre ich im Nachhinein meine Mutter zu einer Trendsetterin, die dies schon vor langer Zeit gewusst zu haben schien und entsprechend nachts hinter der Gardine lauerte, wenn ihre Siebenjährige von zweifelhaften Subjekten nach Hause geleitet wurde. Ich leiste Abbitte.
Dennoch ist vehement zu bezweifeln, dass Vierzig das neue Dreißig ist. Diese These steht auf den wackeligen Stelzen des Wunschdenkens und wird von der Realität sehr bald hinterrücks überfallen werden. Behaupten Sie doch mal keck in einer Verkehrskontrolle: Ja, ich weiß, dass Tempo 30 empfohlen war, aber Vierzig ist das neue Dreißig! Wussten Sie das denn nicht?
Warum betreibt man also mit dem Alter solch peinliche Augenwischerei? Nicht zu erkennen, dass man nicht mehr im bunten Schwarm des süßen Vogels Jugend mitflattern kann, lässt einen sicher nicht jünger, in jedem Falle jedoch um einiges törichter erscheinen.
Keine Frage – nur ungern entdeckt wohl ein jeder von uns die ersten Anzeichen von Cellulite am Zeigefinger, Altersflecken am Jungfernhäutchen und Tränensäcke am Skrotum. Auch ist es unerquicklich festzustellen, dass das Fleisch des eigenen Oberarms weitaus länger winkt, als das zu verabschiedende Objekt noch in Sichtweite weilte. Trotzdem hilft es in solchen Fällen kaum, jahrtausendealte mathematische Wissenschaft einfach beiseite zu schieben und gebetsmühlenartig zu wiederholen, dass Vierzig das neue Dreißig sei.
Vierzig bleibt vierzig und dreißig bleibt dreißig. Was soll’s?
Wer es in 40 Jahren nicht auf die Reihe gekriegt hat, mal ordentlich zu koksen, einer anständigen Schlägerei beizuwohnen oder aus Versehen mit ein paar Leuten zu viel im Bett gewesen zu sein, der kriegt das nicht mehr hin. Wenn doch, wird er dabei zunehmend von den Beteiligten als eher tragische Figur wahrgenommen werden. So ähnlich wie der geckenhafte Greis in Thomas Manns Der Tod in Venedig, der sich immer so erbärmlich unters Jungvolk zu mischen pflegte. Warum sich aber ausgerechnet eine der erbärmlichsten Figuren der Weltliteratur als persönliches Vorbild auswählen?
Drängender noch ist die Frage, weshalb in uns eine derartige Furcht vorm Altern schlummert. Warum diese übertriebene Angst ätherischer Louis-Vuitton-Taschen-Tussis, mit 30 langsam als Rollator-Fahrschülerin zu vergreisen? Warum diese sprachlichen Verrenkungen wie 50 plus, Unsere Senioren, Best Ager und Generation Silver Sex?
Warum tun wir den Alten so etwas an? Vor allem in der stetigen Gewissheit, dass dieser Kelch an keinem von uns vorübergehen wird – ganz gleich, ob Ossi oder Wessi, schwarz oder weiß, belesen oder schlicht, ob Mann oder Memme? Die ausgleichende Gerechtigkeit im Leben besteht letztlich auch darin, dass irgendwann einmal selbst Lady Gaga zur Tena Lady Gaga hinüberwelken wird. Die einzige Alternative zum Nicht-Altwerden bleibt doch das vorherige Ableben, doch erstens ist mir das zu melodramatisch und zweitens zu fade. Besonders hinterher.
Außerdem gibt es Trost: Wenn das Äußere langsam einer Synthese aus dem späten Lenin und einer überlagerten Kiwi entgegenzusteuern beginnt, hat der Herbst doch bekanntlich auch recht schöne Tage, wo noch mal richtig die Post abgehen kann. Hey Männer, auch Stützstrümpfe sind halterlos!
Das Zauberwort heißt Würde, Würde, Würde
Frauen müssen nur ein wenig aufpassen, bei den ersten Krähenfüßen nicht ins Stadium der Komplett-Verzickung mit Hang zum Übersinnlichen zu verfallen.
Für Männer wiederum kann es befreiend wirken, wenn nicht mehr ständig zur Komparatistik seiner Kronjuwelen gepfiffen wird oder wenn er sich nicht mehr durch irgendwelche Pillen offerierenden, radebrechenden Emails gestört fühlen muss, die ihn mit dem mahnenden Wortlaut begrüßen: Haben Sie keine Chance, die Frau zum Orgasmus zu schaffen? Charmant allerdings erscheint mir die Vorstellung, die Frau zum Orgasmus zu schaffen. Das hieße nämlich in den meisten Fällen, dass man sie mindestens eine Etage höher zum wohlgewachsenen Nachbarn schaffen müsste. Ein Treppenlift kann dabei dienlich sein.
Wann nun ist man also tatsächlich alt?
Wenn sich zur Rechtschreib- auch noch Blasenschwäche gesellt? Wenn man keine rechte Freude mehr am Kirschkernweitspucken hat und stattdessen Kürbiskerne zu schätzen beginnt – der Prostata zuliebe? Wenn die einzige Dichtung, für die man sich noch interessiert, eine Haarverdichtung ist? Wenn die Freude über eine gewonnene Stehkarte für die Wagner-Festspiele nicht mehr ganz so groß ist? Wenn einem im Bus Platz gemacht wird?
Vielleicht geht es wirklich in Richtung Wurmgezücht, wenn man den angebotenen Platz nicht annimmt, aus purer Angst, nicht mehr aufstehen zu können. All das ist möglich.
Ganz sicher ist nur, dass man tatsächlich anfängt zu altern, wenn man in das Geschwafel einzufallen beginnt, dass Vierzig das neue Dreißig sei. Dann nämlich ist Adolf auch die neue Mutter Teresa und doof das neue schlau. Und das wäre ja nun wirklich geriatrisches Geschnatter.
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