Am Dienstag, 25. September, haben wir uns recht ausführlich mit einer sichtlich verunglückten Pressemeldung der Leipziger Polizei beschäftigt. Und Polizei-Pressesprecher Andreas Loepki ist dann auch noch einmal recht ausführlich darauf eingegangen. Denn egal, wie man es dreht und wendet: Auch die Meldungen der Polizei stehen im Spannungsfeld öffentlicher Wahrnehmung. Auf einen Punkt ist er freilich nicht eingegangen. Das ist die Sache mit den Frames.
Bis ich das kleine handliche Buch der Soziologin, Linguistin und Journalistin Elisabeth Wehling „Politisches Framing“ gelesen habe, wusste ich auch nicht, wie man das nennt, wenn politisch interessierte Leute auf wichtige Phänomene einen fetten Aufkleber patschen, der die Phänomene umdeutet, aus Bananen Äpfel macht oder aus renitenten Nationalisten „besorgte Bürger“.
Frames ist natürlich englisch, wie so Vieles, was heute in die Wissenschaftssprache als Terminus einsickert. Was auch damit zu tun hat, dass viele Spitzenforschungen an Universitäten der USA stattfinden. Frame bedeutet Rahmen und ist auch genau so gemeint.
Das wissen professionelle Kampagnenmacher, Werbeleute und Wahlkampfstrategen. Das Erstaunliche ist eher, dass es die etablierten deutschen Parteien nicht zu wissen scheinen. Oder ignorieren. Was einer der Gründe dafür ist, dass die AfD zur Bundestagswahl so gründlich abräumte.
Natürlich hat das mit Frames zu tun. Auch mit jenen, die ich mir aus der Polizeimeldung herausgepickt habe: „Begrüßungshandlung“ und „Flüchtlingszustrom“.
Ein Rahmen sind diese Worte, weil sie ein Phänomen in ein Bild packen, ein zumeist starkes und sofort wirksames Bild.
Elisabeth Wehling erklärt das sehr schön: Unsere Sprache funktioniert über Bilder. Sprache löst Bilder aus in unserem Kopf. Wir sehen keine Sätze, Worte oder Buchstaben vor uns, sondern ein starkes, bildhaftes Wort löst in unserem Gehirn ganze Kaskaden von Eindrücken aus, je stärker, umso mehr. Verbunden mit Gefühlen, Wertungen und Handlungsmustern. Denn wir haben nach wie vor das Gehirn eines Lebewesens, das deshalb überlebt hat, weil sein Hochleistungsgehirn in der Lage war (und ist), auf ein einziges Signal, einen Laut oder ein Wort hin sofort eine Kaskade von Bildern und Handlungsvarianten auszuspucken. Und zwar in Sekundenbruchteilen.
Denn in Sekundenbruchteilen entscheidet sich in freier Wildbahn, ob man noch rechtzeitig weglaufen kann oder sofort das Adrenalin ins Blut jagt, damit man bereit ist, mit voller Energie gegen ein Raubtier zu kämpfen.
Das funktioniert heute noch immer genauso. Und am schnellsten und stärksten bei Worten, die Angst auslösen.
Vielleicht werden wir das an der Stelle noch öfter erklären müssen: Rechtsradikale Parteien schwimmen immer auf der Welle der Angst. Alle ihre Frames sind darauf angelegt, Angst zu schüren, Angst am Kochen zu halten und die Bürger regelrecht einzufangen in ihren Frames aus Angst.
„Flüchtlingszustrom“ gehört in diese Frame-Galerie der Angst. Es erweckt ein Bild im Kopf, bei dem man Massen von Flüchtlingen ins Land strömen sieht und weit und bereit keine Rettung. Wehling weist auch darauf hin, dass es gar nichts nützt, solche Bilder zu dementieren, so nach dem Motto: Das ist gar kein Flüchtlingsstrom.
Denn auch so funktioniert der Frame weiter: Der Angesprochene sieht wieder einen gewaltigen Strom von Flüchtlingen vor dem inneren Auge.
Doch genau so haben maßgebliche Politiker reagiert: Sie haben die Frames der Rechtsradikalen aufgenommen und damit verstärkt.
Wer immer diese Worte benutzt, bestärkt die Botschaft der Rechtsradikalen.
Übrigens auch mit dem Wort Flüchtling. Auch das ist ein Frame – und zwar ein abwertender. Wer bei dem Wort nicht an hilflos auf Bahnsteigen oder an Grenzzäunen wartende, zumeist von der Flucht gezeichnete Menschen gedacht hat, der muss schon ein besonderes Gehirn haben. Die meisten Menschen haben beim Wort Flüchtling solche Bilder vor Augen. Kaum einer denkt dann an Menschen wie Albert Einstein oder Thomas Mann. Auch die mussten vor einem finsteren Regime fliehen.
Aber jedes sachliche Buch zur Geschichte spricht in ihrem Fall von Emigranten. Sie emigrierten, verließen ganz bewusst ein Land, in dem sie nicht mehr leben konnten. Sie sind mit diesem Wort nicht mehr Opfer der Geschichte (so wie Flüchtlinge) sondern aktiv handelnde Menschen, die – freiwillig oder notgedrungen – in die Emigration gingen.
Was übrigens auf all die Menschen, die in den letzten Jahren die Kriegs- und Bürgerkriegsländer des Nahen Ostens verließen, auch zutrifft. Und sie sind allesamt ein hohes Risiko dafür eingegangen – bis hin zu der Möglichkeit, im Mittelmeer zu ertrinken, in Lastwagen zu ersticken oder in Ungarn zu landen.
Wer also von Flüchtlingspolitik redet, der redet den deutschen Rechtsradikalen das Wort. Oft ohne es zu spüren. Denn eine Wahrheit der Zeit ist: Sprachlich sind die meisten Menschen blind. Sie merken nicht einmal mehr, was sie sagen und was ihre Wortwahl an Botschaften enthält.
Typisches Beispiel am Mittwoch, 27. September, aus der FAZ, die Erik Bertram, Mitglied des CDU-Landesvorstandes von Baden-Württemberg, mit den Worten zitiert: „Im Adenauer-Haus war man der Meinung, man könnte die Wahl mit einem Wohlfühlwahlkampf wie 2013 gewinnen, das war aber nicht der Fall. Die CDU hätte von sich aus über das Thema Flüchtlinge sprechen müssen, so haben wir der gut organisierten AfD die Deutungshoheit überlassen.“
Bertram ist, wie man hier sieht, ganz und gar auf den rechtsradikalen Frame Flüchtlinge hereingefallen. Was leider auf fast alle CDU-Politiker zutrifft, die sich seit drei Jahren zum Thema geäußert haben. Sie haben mit ihrem Versuch, sich in der „Flüchtlingsfrage“ von der AfD abzusetzen, die Botschaft der AfD immer weiter verstärkt und damit auch zum Wahlergebnis am 24. September beigetragen.
Nein, Herr Bertram, die CDU hätte nicht mal über das „Thema Flüchtlinge“ reden dürfen.
Aber es hätte – was die CDU bundesweit völlig verweigert hat – über die Themen Emigration und Migration sprechen müssen. Da wären wir nämlich auf sachlichen Boden gekommen und hätten über die Ursachen der Emigration sprechen können, über mögliche menschliche und politische Lösungen und über die Frage, die der Obersepp aus Bayern mit seiner „Obergrenze“ völlig verkleistert hat: Was kann ein Zuwanderungsland Deutschland eigentlich leisten und welche Strukturen braucht es dafür?
Ich bin jetzt weit abgekommen von der Polizeimeldung.
Aber Frames haben Wirkungen. Bis hin zu der ebenfalls im FAZ-Artikel zu lesenden Einschätzung: „Die Ursachen sehen fast alle eindeutig in der Flüchtlingspolitik und der Euro-Rettungspolitik der Kanzlerin …“ Mit alle sind in diesem Fall wieder die CDU-Abgeordneten aus Baden-Württemberg gemeint. Aber indem sie Angela Merkel schon attestieren, sie habe „Flüchtlingspolitik“ gemacht, attestieren sie ihr, dass sie eindeutig einen falschen Frame benutzt hat – und wohl auch falsche Politik gemacht hat: „Flüchtlingspolitik“ nämlich, was immer das heißen soll. Eine kluge Zuwanderungs- und Integrationspolitik wäre besser gewesen.
Aber gerade dieses Beispiel zeigt, wie rechtsradikale Frames funktionieren und dafür sorgen, dass eigentlich kluge Politiker des demokratischen Spektrums dazu gedrängt werden, die falschen Botschaften zu übernehmen und falsche Politik zu machen. Nämlich die, die die Angreifer von rechts wollen.
Aber die ersten, die von diesen Frames zu Getriebenen werden, sind die Wähler.
Das greifen wir gleich noch einmal in einem eigenen Beitrag auf.
Die LEIPZIGER ZEITUNG ist da: Seit 15. September überall zu kaufen, wo es gute Zeitungen gibt
Es gibt 5 Kommentare
Wie wäre es denn mit dem Wort “Vertriebene”. Die wenigsten Menschen werden freiwillig ihre Heimat verlassen.
Migration=Wanderungsbewegung. Diese unterliegt pull- und push-Faktoren. Erstere sind Aussicht auf bessere Bildung, Arbeit, höheres Einkommen etc. Letztere sind politische und religiöse Verfolgung im Ursprungsland, schlechte Lebensbedingungen etc. Beim “Flüchtling” überwiegen also die push-Faktoren für seine Migration.
Was die Behörden betrifft; da scheint es eher so zu sein, dass sie überfordert waren und sind, weil sie von der administrativen Vorgabe nicht auf viele Asylsuchende vorbereitet sein sollten.
Hm. Das einzige halbwegs anwendbare Gesetz ist das Asylgesetz. Deshalb beantragen natürlich alle Geflohenen, die hier ankommen Asyl, anstatt “nur” Schutz nach der Flüchtlngs(!)konvention in Anspruch zu nehmen, weil sie so ein Bleiberecht erwirken können. Das Asyl ist aber eigentlich für Leute gedacht, die aus Gründen, die in ihrer Person liegen (Rasse, Religion, sexuelle Orientierung etc.) in ihrer Heimat verfolgt werden, und nicht für die Aufnahme großer Zahlen von Menschen, die vor einer generellen Bedrohung fliehen. Aus diesem Grund ist übrigens auch die zuständige Behörde heillos überfordert, weil sie für so etwas nicht konstruiert ist.
Von mir aus soll jeder Mensch auf dieser Welt leben, wo er will. Aber eine Massenflucht vor Krieg und anderen Katastrophen zu einer (freiwilligen) Migration umzudeuten, ist m. E. trotzdem falsch.
#Uwe: Da sind sie genau auf den Frame der Rechtsextremen hereingefallen. Genau so funktioniert er: Das Wort sorgt dafür, dass die Menschen als etwas Anderes erscheinen, als sie im Monent ihrer Ankunft und Antragstellung in Deutschland sind. Genau das beabsichtigen unsere Rechtsextremen mit dieser Wortwahl. Das Gesetz dazu heißt aber ganz bewusst Asylgesetz. Denn diese Menschen nehmen ein durch das Grundgesetz gewährtes Asylrecht wahr. Viele werden natürlich Immigranten, wenn sich die Lage in ihrem Herkunftsland nicht bessert. Aber wenn sie hier bei uns Asyl suchen, sind sie auf keinen Fall mehr Flüchtlinge,sondern – im amtlichen Wortgebrauch – Asylbewerber. Mindestens.
Das mit den Frames ist absolut korrekt und war mir bis vor kurzem auch nicht so bewusst. Wir haben da wohl was gelesen oder im (Bildungs)Fernsehen gesehen…
Aber neben den Bildern, die Wörter (Frames) auslösen (also Flüchtling vs. Immigrant/Zuwanderer) haben die Wörter ja auch noch eine Bedeutung. Da ist es ja wohl so, dass ein Flüchtling (besser: Flüchtender) jemand ist, der vor etwas von einem bestimmten Ort flüchtet. Dabei ist es zunächst einmal egal, wohin, Hauptsache, weg. Ein Immigrant hingegen ist jemand, der an einen ganz bestimmten Ort will, um dort einzuwandern. Indem wir also die Menschen, die zu uns (nach Europa) gekommen sind, nicht als Flüchtlinge bezeichnen (mithin anerkennen) sondern ihnen Einwanderungsabsichten unterstellen, bestätigen wir die These der Rechten, dass diese Menschen ja gar keinen Anspruch auf Hilfe nach der Flüchtingskonvention oder Asyl nach dem Grundgesetz haben, sondern als Einwanderungsbewerber anzusehen sind, bei denen man sich aussuchen kann, wen man einwandern lässt und wen man – egal wohin – wieder zurückschicken kann…