Am kommenden Samstag findet das Ostsicht Festival im Stadtteilpark Rabet statt. Der Bildungsverein Parcours, der das Festival veranstaltet, hat das Datum eine Woche vor der Bundestagswahl gezielt gewählt: Er will junge und unentschlossene Erstwähler ansprechen und sie zum kritischen Nachdenken nicht nur über diese Wahl bewegen. Alexander Böhm hat für die L-IZ mit Max vom Organisationskreis gesprochen; wo man gern die zukünftigen Wähler sehen würde, über das Wahlkampfthema innere Sicherheit und über das Festival selbst.
Hallo Max, erzähl einfach Mal – Was ist das Ostsicht-Festival?
Das Ostsicht-Festival findet dieses Jahr zum ersten Mal statt und ist wie der Name schon sagt ein eintägiges Festival im Leipziger Osten. Es findet dieses Jahr am 16. September im Rabet statt, nahe des Jugendclubs Rabet. Es geht von 14 bis 22 Uhr.
Wer steckt hinter dem Ostsicht-Festival?
Wir veranstalten das konkret als Bildungsverein Parcours e.V.. Das ist ein Verein, der sich Anfang 2017 hier in Leipzig gegründet hat und politische Bildungsarbeit macht, ähnlich zu dem Netzwerk für Demokratie und Courage, aber in freier Tätigkeit. Dazu kommt noch eine gute handvoll von Einzelpersonen, die die Idee einfach super toll finden und da mitmachen wollten.
Letztendlich sind das Ostsicht-Festival natürlich auch alle beteiligten Künstler_innen, Bands, Einzelpersonen, Acts und auf jeden Fall auch unsere Besucher_innen.
Wie habt ihr euch zusammengefunden bzw. wie muss ich mir das vorstellen? Hat sich da eine Gruppe von Freunden gesagt, wir machen da was?
Initiiert wurde das alles aus dem Bildungsverein heraus in Zusammenarbeit mit Einzelpersonen, die z. B. bereits Erfahrungen in der Ausrichtung von Veranstaltungen wie etwa dem Stay Rebel Festival in Chemnitz haben.
Was habt ihr auf dem Festival dann vor?
Wir haben ein umfangreiches musikalisches Programm. Wir starten um 14 Uhr durch alle Genres der musikalischen Geschichte durch. Mit Punkrock fangen wir an, danach wird die Leipziger Combo Rana Esculenta auftreten, die vor allem Hip-Hop machen. Danach kommt Waayaha Cusub, das sind Musiker_innen aus Somalia, die zusammen mit Rana auftreten werden. Wir haben aber auch Hardcore-Acts, wie Wrackspurts oder Eat My Fear dabei, und unser diesjähriger Headliner ist Björn Peng, der vor allem im elektronischen Genre beheimatet ist.
Das ist aber nicht unser eigentlicher Fokus, auch wenn wir hoffen, dass da jeder und jede viel Spaß damit haben wird. Wir haben auch politische Vorträge und Workshops dabei, die sich gezielt an unsere Teilnehmenden richten, an Leute die noch unentschlossen sind und nicht wissen, wie man sich kritisch mit bestimmten Prozessen auseinandersetzt.
Darüber hinaus gibt es zahlreiche Infostände, u. a. von Rassismus tötet, den Drugscouts – zwei lokale Leipziger Initiativen – aber auch von Amnesty International, der Jugend gegen Rechts oder dem RAA – der Opferberatung von Opfern rechter Gewalt in Sachsen. Es wird auch eine Ausstellung gezeigt, die sich „Die verschwiegenen Toten“ nennt, die die Opfer der rechten Gewalt seit 1990 in Leipzig thematisiert. Und wir zeigen erstmalig den Film „Ungarn vor dem Sturm“. Das ist ein Filmprojekt zweier Menschen, die sich mit dem Ungarn unter Viktor Orban kritisch auseinandersetzen.
Das ist ein reichhaltiges Programm. Was soll das bei euren Besuchern bewirken, gerade unter dem vorher genannten Fokus auf Bildung eures Vereins?
Wir haben ja in Leipzig das Privileg, dass es nicht so schlimm ist, wie im Rest von Sachsen. Womit wir auch bei dem Punkt angekommen sind, dass unsere Bemühungen hoffentlich dahingehend fruchten, mehr aus dem politischen Potential in Leipzig herauszuholen bzw. es weiter auszubauen. In ganz Deutschland oder speziell in Sachsen stellt rechte Gewalt ein Problem dar, ob in Übergriffen auf vermeintliche Nichtdeutsche, ob antisemitische Attacken auf Juden und Jüdinnen oder die vermehrt auftretende Stimmungsmache gegen Orte gesellschaftlicher Vielfalt, wie anlässlich der Bundestagswahl vermehrt auch in Leipzig von rechten Parteien zu spüren ist.
Um dem etwas entgegenzusetzen erhoffen wir uns, den politisch unerfahrenen Menschen, die wir gezielt ansprechen, ein Angebot zu eröffnen, sich selbst mit den Prozessen, die ja anlässlich der Bundestagswahl thematisiert werden und meist schon populistisch aufgeladen sind, kritisch auseinanderzusetzen.
Wir sind ganz klar antifaschistisch und hoffen auch, Bildung und antifaschistische Subkultur zusammenzubringen, um damit auch die Lebensbereiche junger Menschen zu berühren und sie dort abzuholen.
Habt ihr auch Parteien eingeladen?
Nein. Wir sind parteiunabhängig und verzichten dezidiert auf die Parteien und Jugendorganisationen.
So ein Festival braucht doch recht viele Leute. Wer sind eure Partner hier im Osten und wie könnt ihr das überhaupt finanzieren?
Wir sind hier im Osten ganz gut vernetzt sowohl mit Stadtteilinitiativen als auch -organisationen. Das Ostsicht-Festival findet bspw. in diesem Jahr im Rahmen des Ostlichter Stadtteilfestes statt. Wir sind aber auch in Kooperation mit dem Offenen Freizeittreff (OFT) Rabet sowie wie mit dem 4rooms, wo unser Festival im Schlechtwetterfall stattfinden wird.
Wir unterstützen auch lokale Initiativen überregional, wie z. B. die Initiative Alternatives Merseburg, die sich hauptsächlich für Geflüchtete in Sachsen-Anhalt einsetzt und sich gegen Rassismus und Antisemitismus engagiert.
Du hast vollkommen Recht. Das Festival kostet jede Menge Geld. Wir haben trotzdem den Anspruch, das Festival kostenfrei zu veranstalten, d. h. alle Leute können dort kostenlos hinkommen und brauchen keinen Eintritt zu bezahlen. Momentan sieht es mit unserer Finanzierung noch nicht so astrein aus. Wir decken uns größtenteils über Förderanträge von öffentlichen Töpfen ab, aber auch von Stiftungen, wie der Robert-Bosch-Stiftung, dem StuRa der HTWK und der Universität Leipzig sowie seinen Referaten. Die Stadt Leipzig hat uns auch etwas gespendet. Das sind so unsere größten Einnahmequellen.
Euer Fokus liegt auf der kommenden Bundestagswahl. Eure Veranstaltungsform eines Festivals richtet sich an ein sehr junges Publikum. Was würdet ihr unentschlossenen und Neuwählern raten? Wo würdet ihr gern die Wähler sehen?
Als Erstes, was ich den Leuten raten würde, fernab meiner eigenen Meinung dazu: Schaut euch an, was euch begegnet; mit den Werbeslogans, mit den Parteiversprechungen, die euch die Partei XY macht. Setzt euch damit kritisch auseinander. Hinterfragt die Welt, in der wir leben. Schaut vielleicht dorthin, wo es unbequem ist. Das wäre mein wichtigster Anspruch. Daraus resultiert nicht zwangsläufig, sein Kreuzchen zu setzen bei dieser Wahl oder irgendwo ganz spezifisch zu setzen.
Die gesellschaftlichen Themen, die jetzt gerade wieder auf den Wahlplakaten zu lesen sind, sind omnipräsent. Die sind immer da, nicht nur im September 2017 sondern ganzjährig und sie sind nicht nur für ein Jahr präsent. Deswegen setzt auf jeden Fall euer Kreuz nicht bei der AfD oder der CDU – darf ich das überhaupt so sagen?
Warum nicht?
Kritik kann und sollte man an jeder Partei äußern. Bei jeder Partei gibt es mindestens problematische Tendenzen, deswegen setzt euch mit den Themen selbstkritisch auseinander und trefft eure eigene Wahl, was zu tun ist. Die kann euch keiner abnehmen.
In der diesjährigen Debatte um die Bundestagswahl geht es auch viel um innere Sicherheit, gerade im Fokus des islamistischen Terrors. Euer Festival gestaltet sich thematisch sehr offen, aber Aussagen zu diesem Thema trefft ihr nicht. Was ist eure Meinung zum Sicherheitsdiskurs?
Der Diskurs ist die eine Sache und die Sicherheitslage eine andere. Ich würde sagen, dass es nicht nur in Deutschland, sondern auch weltweit ein Problem mit Islamismus gibt und auch islamistischen Terror. Er darf nicht kleingeredet werden. Gleichzeitig muss man bei dem Diskurs in Deutschland darauf achten, dass er sehr stark verzerrt ist und meistens sehr stark von bestimmter politischer Klientel überlagert wird. Dadurch wird eine sehr wichtige Debatte verfälscht. Es wird dazu ein Problemkomplex, nehmen wir z. B. Rassismus, ausgespielt gegen ein konkret bestehendes Problemfeld, z. B. Islamismus.
Dann wird bspw. gesagt, dass alle Araber terrorverdächtig seien oder Ähnliches. Dass das natürlich menschenverachtend ist, brauchen wir nicht weiter auszuführen. Gleichzeitig sollte man dann nicht in den Fehlschluss verfallen, wir stellen uns uneingeschränkt und bedingungslos auf irgendeine Seite, ohne zu schauen, wer auf dieser Seite ist und was deren Anliegen sind.
Was würdet ihr euch als Resultat für die kommende Bundestagswahl wünschen? Was wäre für euch ein Traumresultat?
Wir alle aus dem Organisationskreis des Ostsicht-Festivals sind so realistisch, dass wir bei einer parlamentarischen Wahl nicht mehr träumen. Dennoch wäre das Eintreten des „weniger schlimmen“ der beste Fall, der eintreten kann. Was das konkret bedeutet, kann ich nicht für alle Beteiligten hier sagen. Ich kann da nur für mich sprechen.
Was für mich zwar ein Ausdruck der Realität wäre, aber was mich sehr wütend stimmen würde ist, wenn die rechtspopulistischen Parteien mit wehenden Fahnen in die Parlamente einziehen. Gleichzeitig aber auch, wenn die größeren etablierten Parteien einen Zulauf hätten und sich dadurch absichern, dass sie sich gegen marginalere Parteien abgrenzen.
Wir haben z. B. hier in Sachsen den Fall – was dann eher Thema für eine Landtagswahl wäre, was man aber in Bezug auf die Bundestagswahl verallgemeinern könnte: Hier hält sich die CDU seit 25 Jahren im Sattel und sichert sich regelmäßig dadurch ab, dass sie einerseits Annäherungsversuche an die AfD unternimmt, gleichzeitig aber auch versucht, sich zu distanzieren, um auch als demokratische Partei zu gelten. Das sehe ich als ein Horrorszenario.
Wir sind jetzt schon von der Bundes- auf die Landesebene gekommen. Wie sieht es mit der kommunalen Perspektive aus? Habt ihr auch Pläne für Leipzig?
Wir haben noch eine relativ geringe kommunale Perspektive. Das muss ich zugeben, weil wir das dieses Jahr auch zum ersten Mal veranstalten. Wir sind sehr stark stadtteilbezogen auf den Leipziger Osten. Wir wollen damit versuchen, aus den sogenannten Szenevierteln herauszukommen.
Unser Bildungsangebot richtet sich auch nicht unbedingt an Personen, die bereits eine Ahnung haben von der Welt, sondern wir richten unser Angebot an die Leute, die sagen: Wir stören uns daran, was Pegida macht. Wir stören uns daran, was die AFD macht. Wir haben ein Problem mit Sexismus, auch wenn wir noch nicht einmal so richtigen wissen, was es ist. Aber wir wollen mehr dazu erfahren. Deshalb haben wir einen Leipzig-Bezug für den Stadtteil des Ostens, der auch einen sehr starken Zulauf bekommt.
Es ist ein sehr attraktiver Stadtteil, der sich auch in den nächsten Jahren weiterentwickeln wird. Sollten wir es da schaffen, unser Vorhaben zu verstetigen, wäre das auf jeden Fall etwas, was wir nächstes Jahr stärker mit ausbauen wollen – vor allem stadtteilbezogene Themen.
Das wäre hier im Osten das Thema der Gentrifizierung oder Stadtteilverdrängung. Dass wir eine stärkere Vernetzung mit einer migrantischen Community auch hinbekommen, wo viele Personen kein Wahlrecht haben und sie in Entscheidungsprozesse einzubeziehen. Also danach zu fragen, wie eine Partizipation in der politischen Sphäre aussehen kann. Die Menschen, die kein Wahlrecht haben, leben genauso hier, wie Menschen, die eines haben.
Wo seht ihr bei den außerparlamentarischen Prozessen in Leipzig noch Entwicklungsbedarf?
Leipzig hat ein sehr großes politisches Potential. Man kann das allein daran sehen, dass hier Naziaufmärsche verhindert werden können, die in Dresden oder Chemnitz, in Limbach-Oberfrohna oder wo auch immer mit tausenden Teilnehmenden stattfinden. Dahingehend einerseits das Potential weiter auszubauen, Menschen niederschwellige Bildungsangebote zu geben und ihnen eine Möglichkeit zu eröffnen, sich selbst damit zu beschäftigen.
Ermöglichen statt Fördern ist unser Leitsatz dabei. Ein breites gesellschaftliches Potential herauszuholen, aber gleichzeitig das kritische, das gesellschaftskritische Denken fördern. Wir haben eine Kritik an den gesellschaftlichen Missständen und wollen diese in Ansätzen bis in die Tiefen nachzeichnen. Das wäre natürlich mal etwas, wenn jemand in acht Jahren mal wieder kommt und sagt: Ach damals beim Ostsicht hat es angefangen und jetzt bin ich der Kapitalexperte. Das wäre irgendwie schön.
Du hast gerade ja sehr allgemein gesprochen, acht Jahre sind eine lange Zeit und das Ostsicht-Festival findet nicht jeden Tag statt. Wo gibt es dann konkrete Möglichkeiten, sich einzubringen oder sich kritisch zu reflektieren?
Wir machen das als Bildungsverein vor allem durch die Bildungsarbeit. Wir gehen in Schulklassen hinein, wir gehen in Berufsschulen hinein und führen dort letztendlich Antidiskriminierungsarbeit durch, vor allem zum Themenfeld Antisemitismus, wo wir zurzeit der einzige Träger sind, der dazu etwas macht. Gleichzeitig würde ich aber auch sagen, dass es sich darin nicht erschöpfen kann. Bildungsarbeit ist wichtig und unerlässlich, aber nicht allumfassend. Ich würde sagen, gerade im Leipziger Osten besteht ein sehr großes Potential, weil es ein sehr pluralistischer Stadtteil im Gegensatz zu anderen ist. Dort müssen wir viel mehr in eine Vernetzung hineingehen, viel mehr Kontakte herstellen, Netzwerke aufbauen, um dann zu verschiedenen Themenfeldern etwas zu machen.
Ich als Person stehe dem Konzept einer Demonstration eher kritisch gegenüber – da gibt es vielfältige andere Möglichkeiten, an politischen Prozessen zu partizipieren. Das verkommt dann doch häufig eher zum Selbstzweck, wenngleich es sinnvolle Momente gibt, dieses Mittel zu nutzen, wie etwa den 24.10.17 – dem Todestag des vor sieben Jahren von Neonazis ermordeten Kamal K..
Vor allem eine Vernetzung mit einer migrantischen Community ist wichtig, einfach um die verschiedenen Lebensrealitäten der Menschen in einer Positionierung irgendwo miteinzubeziehen, zumindest zu berücksichtigen oder sensibel dafür zu werden. Ich mache das alles ja nicht für mich. Als 26 Jahre alter weißer Student hat meine Lebensrealität wenig mit der eines gleichaltrigen Geflüchteten zu tun. Aber ich kann mich damit auseinandersetzen, was für Zustände in Gemeinschaftsunterkünften von Asylsuchenden herrschen, wie menschenunwürdig die Lebensbedingungen dort sind. Ich kann dann auch irgendetwas gegen den lokalen Naziaufmarsch organisieren, gleichzeitig ist das aber relativ wenig, was mit der konkreten Lebenssituation der Leute zu tun hat.
Die denken sich dann halt so: Die Nazis sind Kacke, aber unser Problem sind die Zustände hier. Wie kann ich mich orientieren, wo lerne ich die Sprache? Welche Möglichkeiten bestehen für mich zu arbeiten, wo kann ich weggehen? Was ist mit meinem Geld? Was ist mit dem Asylantrag überhaupt? Und was mit meiner Familie? Das sind alles Fragen oder Punkte, die aus einer Lebensrealität heraus folgen, mit der man sich befassen sollte.
Du hast es vorhin kurz angesprochen, was ich bzw. wir von der Sicherheitsdebatte halten. Das halte ich auch für einen unglaublich großen Bereich, der angegangen werden muss von politischer Arbeit. Islamismusprävention aus der Kalten heraus ist nicht super. Das funktioniert einfach nicht. Da muss man mit den Leuten zusammenarbeiten, die sich auch in den Communitys auskennen, die gegebenenfalls auch die Sprachen sprechen. Die muss man mit ins Boot holen und herausfinden, inwieweit das überhaupt Sinn macht.
Zum Abschluss dann noch eine andere Frage. Wie viele Leute erwartet ihr?
Wir rechnen mit einer Teilnehmendenzahl von 250 bis 500 Personen. Die 500 Personen sind aber schon hochgegriffen. Ich persönlich bin zufrieden, wenn 250 oder 300 Leute kommen.
Was macht ihr, wenn 1.000 Besucher kommen?
Dann wären wir überglücklich. Das Rabet würde aus allen Nähten platzen. Das wäre aber auch sehr gut, denn wir haben ein sehr vielfältiges Angebot von Vorträgen, über Workshops, Graffiti, zwei Bühnen und einer Aftershow-Party. Das wird super.
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