Die gute Nachricht zuerst: Nächste Woche um diese Zeit haben wir es hinter uns – all die Plakate mit dem aufgesetzten Grinsen oder der aufgesetzten Ernsthaftigkeit, all die markigen Sprüche. Auf offener Straße werden wir vermutlich seltener und aus anderen Gründen mit Kugelschreibern und Rosen beschenkt werden. Hüpfburgen werden wieder zahlungspflichtig sein und im Fernsehen kann man sich wieder auf die Love-Island zurückziehen. Eine Insel. Eine Insel, auf der uns kein Hurrican stört.
Vorher aber müssen wir noch mal durch: Da steht uns in der Stadt noch ein Donnerstag bevor, an dem sich abermals besorgte Bürger, die sich das LEGIDA-Label ins Gehirn gebrannt haben, aufschwingen werden, um ihre Sorgen und Nöte kundzutun.
Die Stimmung wird wie immer skurril sein. Man kennt es mittlerweile: Der Septemberabend, unter Aufbietung aller Kräfte der Sonne vielleicht noch mal von Licht erfüllt, wird dieses sehr verheißungsvoll in die wunderschöne Bahnhofshalle zu werfen wissen.
Die üppigen, langstieligen Sonnenblumen bei Blumen-Hanisch, die nichts anderes als Lebensfreude und Schönheit ausstrahlen, die man nur genau dort auffinden muss, das wird ein von vielen unbemerkter perfekter Moment dieses Tages sein. Polizisten werden dazwischen patrouillieren in ihren aufgepumpten Uniformen und all ihrem Equipment. Hübsche, junge Männer, ebensolche Frauen, alle ganz bei der Sache. Nicht wissend, was der Abend für sie bringen wird. Welcher Aggression zu begegnen sein, welchem Handgemenge man ausgeliefert sein wird.
Die Schönheit und Unschuld des Lebens, der Natur, der Jahreszeit wird erneut ungebremst und ohne Airbag auf den Hass prallen, den die Menschen zu generieren vermögen.
Viel Lärm um, ja, was eigentlich?
Auch vieles andere lässt sich zurzeit mehr oder weniger in der Pfeife rauchen. Erste Erkältungs-Epidemien wabern bereits über der Stadt, der olle Gauland wurde überführt, mal wieder am Kyffhäuser freigedreht zu haben und wehrmachts in Thüringen? Na klar – Höcke übernimmt. Meanwhile in Übersee ist der Typ mit dem rhetorischen Habitus eines großköpfigen Toddlers aus der Bärchengruppe des Kindergartens „Mausezahn“ immer noch am Drücker. Und wir sehen, wie viel „ü“-Strichelchen bewirken in dieser Welt. Wäre er nur am Drucker, nun gut. Man könnte etwas ruhiger schlafen.
Manch abgeklärter Zeitgenosse allerdings fühlt sich vom AfD- oder Trump-Bashing längst gelangweilt, man hat gefälligst die nächste Sau durchs mediale Dorf zu treiben. Dieser Circulus langweilt mich wiederum immens. Die letzten zwei Jahre haben so viel durcheinandergerüttelt. Was vor einem Jahrzehnt noch absolut undenkbar war, ist plötzlich Realität. Völkisches Denken offen dargeboten, kein Problem mehr in Deutschland 2017. Hanebüchene Sprichwort-Egoismen a la „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst“, no problem with that, Mr President.
All das bündelt sich immer wieder zu einer drängenden Frage: Was macht uns Menschen nur so dürftig, dass wir ohne die Erfahrung der Hölle am eigenen Leibe nicht demütig werden? Warum sind wir so dämlich, dass wir es nicht im Gehirn verankern können, welch Glück es ist, den grausamen Druck eines Tages überlebt zu haben?
Wenn wir den Hunger jenseits jeder Diät im Magen haben wüten spüren müssen? Warum sind wir so darauf versessen, dass uns jemand Nahes blutig aus dem Herzen gerissen wird, damit wir sehen, was Elend, was Leiden, was Einsamkeit, was existentieller Schmerz ist? Es ist, als ob die Menschen nach etwas lechzen, dass sie ein eigenes Schicksal erfahren – nah an der Haut.
Im Moment haben dieses Gefühl andere auf der Welt. Sehr viele andere. Es gäbe viel zu tun. Die haben mehr Schicksal zu verbuchen, als dass First-World-Schriftsteller je arbeitslos werden würden.
Stattdessen arbeiten wir uns ab an Schwachsinn. Melania mit den falschen Schuhen am richtigen Ort, Merkel ohnehin immer nicht ordnungsgemäß stylish, und Gina-Lisa im Dschungel-Camp, dem einzigen Ort, an dem sie nicht heimlich vergewaltigt werden kann.
Reicht es denn nicht, für eine etwas mehr nach den Leitlinien der Vernunft agierende Gesellschaft zu plädieren? Spazieren zu gehen, meinetwegen auch zu demonstrieren, wenn man das mag – für eine Gesellschaft, die sich nicht wie seltsam paralysiert (oder einfach zu ermattet von all den Handytarifen, Schnäppchenangeboten, Zielvereinbarungen, Ganztagsschulen, Midnightshopping-Events, Coaching-Trainings und AB-Trainern) von Irren, Egoisten, Narzissten und im Inneren ganz kleines Tennis Spielenden um ihre Lebensqualität und vor allem um ihre nachfolgenden Generationen bringen lässt.
Niemand braucht jenseits von „Vier gewinnt“ einen Gegner, nirgendwo braucht man Hass. Jene Leute, die einem immer wieder in letzter Zeit selbstbewusst ans Herz legen, „endlich mal die Augen zu öffnen“ oder gar „selber zu denken“, möchte man aber auch gerne einmal fragen, warum sie nicht schon lange so skeptisch allem und allen gegenüber sind, was bei drei den rechten Arm noch nicht oben hat?
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