„Insofern ist es für uns Jusos mehr als enttäuschend, dass eine etwaige unreflektierte Haltung auch vermehrt aus der SPD zu vernehmen ist“, erklärte Alexej Stephan, der stellvertretende Juso-Vorsitzende in Leipzig, in seinem Statement zur Extremismus-Debatte, die nach den Hamburger Krawallen wieder hochschäumt. Auch weil verantwortliche Unionspolitiker jede Diskussion über ihre falsche Sicherheitsstrategie vermeiden wollen. Immer sind die Anderen schuld.
Und die SPD nimmt den Quatsch in Teilen auf, übt regelrecht den Kotau, weil man in der nächsten Wahl nicht ganz abschmieren will. „Distanziert euch!“, heißt die blödsinnige Aufforderung im politischen Suppenkessel an alle irgendwie Linken. Oder sollte man gleich schreiben: „Zu Kreuze!“?
Denn etwas Anderes ist es nicht. Eine Arroganz des Nicht-Dabei-Gewesen-Seins, die gleich mal alles, was links von der CDU noch irgendwie den aufrechten Gang übt, auffordert zum Canossa-Gang: „Auf die Knie!“
Dass da selbst gestandene Linke aller Chargen auf einmal selbst den wissenschaftlich unsinnigen Extremismus-Begriff benutzen, als würden sie damit irgendetwas Substanzielles über die Ursachen und Inhalte der Hamburger Randale sagen, verblüfft die Leipziger Jusos. Soviel Unfug verbitten sie sich: „Die Jusos Leipzig lehnen die unbedarfte Benutzung des Extremismusbegriffs genauso ab, wie die Gleichsetzung kritischen, linken Engagements mit militanten Nazistrukturen.“
Denn genau das macht die gerade von Sachsens regierender Union geliebte Extremismen-Theorie: Sie schmeißt rechts und links in einen Topf, bügelt die Unterschiede glatt und diffamiert gleich noch jeden friedlichen Protest – man lese nur die sächsischen Verfassungsschutzberichte. Um überhaupt irgendwie eine „Gleichheit“ zwischen den hohen Zahlen rechtsradikaler Gewalt und „Linksextremismus“ (den es nicht mal im Polizeideutsch gibt) herzustellen, werden konsequent alle Vorfälle aus irgendwie „linken“ Demonstrationen als Straftat gezählt und aufsummiert. Das suggeriert dem braven Sachsen: Die einen sind so schlimm wie die anderen.
Und weil sich dann diese ganzen anderen „Linken“ von all diesen Demonstrationen und Protesten (meist gegen rechte Demonstranten von OfD bis AfD) nicht distanzieren, weil man sich von so einem demokratischen Gegenprotest aus guten Gründen nicht distanziert, werden sie mit „linken“ Randalierern einfach in einen Topf geschmissen. So kann man natürlich jeden demokratischen Protest delegitimieren. Denn wenn jeder Protest auf der Straße schon in den Geruch von Extremismus und Staatsgefährdung kommt, muss man sich ja mit den Inhalten nicht mehr beschäftigen.
Natürlich haben wir „links“ in Anführungszeichen gesetzt.
Denn das Fatale an der Extremismusthese ist ja nicht nur das aufgeblasene Wort Extremismus, das suggeriert, da würden Leute über ein erwünschtes Maß hinaus – ja, was eigentlich? – sein. Zum Extrem neigend? Extremes fordernd? Extrem doof sein?
Die These ist hohl. Ein Luftballon.
Selbst die Polizei ist nüchterner und nennt die Straftaten, die einem bestimmten politischen Spektrum zuzuordnen sind, „politisch motiviert“. Nicht mehr und nicht weniger. Und vor Gericht wird nicht die politische Motivation bewertet – das ist im deutschen Strafrecht gar nicht möglich – sondern die Straftat. Deswegen haben wir es in Hamburg zuallererst und ganz allein mit Straftätern zu tun. Ihre politische Motivation spielt keine Rolle. Sie ist bestenfalls Camouflage. Denn die Jusos haben natürlich Recht: Gewalt hat in der politischen Auseinandersetzung nichts zu suchen. Wer Gewalt anwendet, verlässt den Boden der Demokratie und wird – ganz einfach: kriminell.
Da braucht es keine aufgeblasenen Extremismus-Thesen, sondern nur gute Polizeiarbeit.
Und wie ist das mit Rechts und Links? Sind das wenigstens belastbare Kategorien?
Nicht mal das. Der Blick in jedes Lexikon zeigt dem einigermaßen Neugierigen, dass man hier nur ein Bild für eine Sitzordnung übernimmt, wie sie sich seit der Französischen Revolution eingebürgert hat. Ganz rechts saßen damals die Königstreuen (die Royalisten) und ganz links die Liberalen, Republikaner und Demokraten. 1848/1849 in der Frankfurter Nationalversammlung war es genauso. Wenn von Linken und Rechten geredet wird, meint man eigentlich nur eine Zuordnung, wie sie in den Sitzreihen des Parlaments versucht wird: die Parteien nach ihrem Grad an Konservatismus zu sortieren. Ganz rechts die ganz Konservativen, ganz links die Progressiven. Progress bedeutet aber eben nicht nur Fortschritt, sondern auch Veränderung: Dort sitzen die Politiker, die sich immer wieder eine Veränderung der Gesellschaft wünschen und dafür Stimmen sammeln.
Sie sind nicht „links“, weil sie links sind, sondern weil ihnen die Veränderung der Gesellschaft wichtiger ist als der Besitzerhalt. Für den bekanntlich die rechts Sitzenden plädieren, die, die in der Regel etwas besitzen und gern behalten wollen und deshalb jede Veränderung mit Misstrauen beäugen. Und lieber nichts ändern. Das kann ganz schön arrogant machen, denn in der Regel wollen die auf dem linken Flügel ja auch Veränderung, weil sie selber nichts haben oder aus benachteiligten Verhältnissen kommen und wissen, dass es da draußen noch Leute gibt, die wirklich arm sind und sozial ausgegrenzt.
Und manchmal gewinnen sie Mehrheiten und können ein paar Veränderungen und Umverteilungen erreichen, die Gesellschaft also ein bisschen gerechter machen. Wenn es aber vielen Leuten ganz gutgeht und viele Leute etwas zu verlieren haben, haben die links Hingesetzten in der Regel schlechte Karten. Denn dann gibt es auch mehr Verlustängste und die auf dem rechten Flügel bekommen Oberwasser.
Wer ein Bild malen will, sieht also den ganzen Landtag oder Bundestag schwanken – mal ein bisschen nach links, mal ein bisschen nach rechts.
Aber was passiert mit Menschen, die dieses Hin und Her für zu beschaulich halten? Zu wenig zielführend? Werden die dann alle gewalttätig und kriminell?
Die Zahlen der Polizei sagen: Nein. Auch in Sachsen hat man es bei beiden „Extremen“ nur mit einigen hundert wirklich gewaltbereiten Menschen zu tun. Und der Blick auf die Ergebnisse ihres Handelns zeigt: Politisch bewirken sie nichts. Außer ein gewaltiges politisches Gezeter und jede Menge Kraftmeierei und Rufe nach noch härterem Durchgreifen. Der Lärm um ihre Taten steht in keinem Verhältnis zum Ergebnis ihres Tuns.
Tatsächlich desavouieren sie nur all die parlamentarischen Bemühungen derer, die mit knochentrockener politischer Arbeit versuchen, die Dinge zu verändern.
Man hätte also von SPD bis Linkspartei eher so einen Ausruf erwartet wie: „Ihr Arschlöcher! Ihr macht alles kaputt!“
Haben sie ja auch gemacht.
Umso peinlicher dann also die ganzen Aufforderungen vom rechten Flügel, die vom linken Flügel sollten sich auch noch öffentlich für den Müll entschuldigen. Obwohl es ihre Arbeit war, die da auf der Straße öffentlich zerdeppert wurde. Sie können jetzt wieder von ganz vorn anfangen und werden über Jahre Mühe haben, ihre Themen mehrheitsfähig zu machen.
Was wirklich eine Knochenarbeit ist und selten bis nie diese Titelgeschichten bringt, die die Hamburger Randalierer frei Haus bekommen haben, wohl wissend, dass brennende Mülltonnen und Autos mehr mediales Echo erzeugen als jede Landtagsdebatte über Schulen, Kitas oder Alleinerziehende. Ist ja nicht so, dass progressive Politik keine Themen hätte. Die eignen sich nur meist nicht zum Skandal.
Was uns auf einen anderen und vielleicht entscheidenden Aspekt an der Extremismusthese bringt, denn – abgesehen von den kriminellen Straftaten – vereint Radikalismus immer Aktionsformen, die aufgrund ihrer Bildwirkung und ihrer Aggressivität möglichst hohe Aufmerksamkeit bekommen. Die Provokation ist gewollt und das eigentlich Radikalisierte. Und der kleine Schlenker zu Hamburg: Die ach so überraschten Innenminister und Polizeipräsidenten wissen das auch. In dem Moment, indem sie die Provokation annehmen und selbst provokativ auftreten, schaffen sie genau den Effekt, den die Provokation bezweckt hat.
Ob das gesellschaftlich irgendetwas ändert, steht auf einem anderen Blatt. Denn radikalisierte Gruppen schwimmen oft im eigenen Saft. Ihnen reicht meist der mediale Erfolg, der größtmögliche Effekt. Und das wissen die Ersteller von Sicherheitskonzepten. Wenn sie solche Bilder verhindern wollen, setzen sie auf Deeskalation, Beruhigung und vor allem Schonung ihrer Polizisten.
Aber da kommen wir schon auf ein anderes Thema. Das aber mit dem angerissenen schlichtweg unlösbar zusammenhängt. Denn wie gelingt es einer Gesellschaft, Veränderung als Bedürfnis zu begreifen und zu gestalten? Und was passiert mit einer Gesellschaft, die jede Veränderung zunehmend als „links“ verdammt? Mein Gefühl sagt mir: Sie verliert ihre Fähigkeiten zur Problemlösung. Alles wird eine Suppe. Und immer mehr Menschen haben das Gefühl, auf einen Herrn namens Godot zu warten.
Aber das ist nur so ein Gefühl.
Offiziell sind ja die „Linken“ an allem schuld.
Kommentar: Endlich populistisch – Die CDU Leipzig versuchts als Spaßpartei
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