Wenn man am tรคglichen Leben halbwegs bei Bewusstsein teilnimmt, kann man die Augen kaum davor verschlieรŸen: Wir sind eine risiko-aversive Truppe geworden, wir Bewohner dieses Jahrhunderts. Fahren behelmt mit dem Fahrrad zum Konsum um die Ecke, entfernen prรคventiv unseren Ehepartner aus Angst vorm Verlassenwerden und Frauen lassen sich zuhauf Permanent-Airbags gegen die StรถรŸe des rauen Alltags implantieren. Wir wollen eine Welt mit Kindersicherung. Verstรคndlich ist das allemal. โ€žWer mรถchte nicht im Leben bleiben?โ€œ heiรŸt es in einem wunderschรถnen Volkslied nicht zu Unrecht. Ich mรถchte das auch.

Es gibt aber Menschen unter uns, die mรถchten das in manch dunkler Phase ihres Lebens nicht. Die sind unten. Ganz weit unten. Die sehen keinen Sinn mehr. Die kรถnnen nicht mehr. Manchmal nicht mal mehr aufstehen am Morgen. Oder sich entscheiden vor zweihundert Marmeladensorten im Konsum. Die stehen eine Stunde unschlรผssig rum. Die lรคhmt etwas. Irgendetwas, das schlecht zu benennen ist. Etwas, was andere Gott sei dank nicht fรผhlen. Vielleicht, weil wir sogar Gefรผhlskrรผppel sind in vielerlei Hinsicht. Es ist klar: Wir reden hier รผber Menschen mit Depression. Mit depressiven Phasen. Manche sogar mit manisch-depressiven Phasen.

Ich habe viele davon in meinem Leben kennengelernt. Mehr als mir lieb gewesen wรคre, ehrlich gesagt. Und das lag am allerwenigsten an diesen Menschen selbst.

Denn feststeht: Wer jemals รผber lรคngere Zeit mit depressiven Patienten zu tun gehabt hat, der weiรŸ, dass es sich in den allermeisten Fรคllen um auรŸerordentlich feinfรผhlige, hรคufig sehr kunstsinnige und Verantwortung sehr ernst nehmende Menschen handelt. Menschen, die sich nicht selten aufopfern fรผr Familienmitglieder oder andere Hilfsbedรผrftige. Menschen, denen vielleicht schlichtweg der trรถstlich-lindernde Schleier der Selbsttรคuschung, des sich Selbstรผberschรคtzens fehlt.

Das machte in fast jedem Falle diese Menschen fรผr mich auf besondere Weise liebenswert. Interessant. Beschรผtzenswert auch.

Und im Beschรผtzen liegt vermutlich auch das wesentliche Defizit, das wir im Umgang mit ihnen fรผhlen. Wir kรถnnen sie nur bis zu einem gewissen Punkt beschรผtzen. Wir kรถnnen sie nicht รผberwachen, wollen es auch gar nicht, wir kรถnnen das Schlimmste manchmal nicht verhindern. Trotz Liebe. Trotz Freundschaft. Trotz der Verbundenheit vergnรผgter Stunden.

Was wir aber vermรถgen: Wir kรถnnen einzig aufpassen, dass die Welt nicht ein weiteres Kleid รผbermรครŸiger Hรคrte anzieht. Wieder und wieder.

Dostojewski hat es bereits auf den Punkt gebracht: โ€žDie Welt soll durch Zรคrtlichkeit gerettet werden.โ€œ

Recht hatte er wieder mal.

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