Für FreikäuferAm Mittwoch, 26. Juli, haben wir uns mit der seltsamen Studie der Bertelsmann-Stiftung zum Populismus beschäftigt. „Die Stunde der Populisten? Populistische Einstellungen bei Wählern und Nichtwählern vor der Bundestagswahl 2017“. Und fühlten uns ein bisschen einsam, weil die meisten anderen Medien die Studie und ihr Ergebnis tatsächlich für ernst nahmen.
Geschrieben war der Text natürlich schon am Dienstag. Deswegen konnten wir noch nicht wissen, dass der Trost so weit nicht weg war. Auch wenn sich der Schriftsteller Norbert Niemann auf „Zeit Online“ am Mittwoch nicht unbedingt mit der Studie beschäftigt hat, die die Welt so seltsam auf den Kopf gestellt hatte, dass ich sogar geneigt war, die Sache ganz kurz zu machen:
Wer dem Volk vorwirft, populistisch zu sein, der hat ein Problem.
Wer, wenn nicht populus selbst sollte populistisch sein? Das ist sein Grundcharakter und sein Grundrecht. Oder mal Brecht, diesen schrecklich linken Dichter, zu zitieren: „Erst kommt das Fressen, …“ … dann alles Andere. Auch die Vernunft. Erst müssen die Primärbedürfnisse befriedigt sein, dann hat auch der Getriebene und Gejagte endlich Zeit und Muße, über die Dinge nachzudenken, die drüber hinausgehen.
Dafür gibt es eigentlich (schon bei Platon nachlesbar) die Arbeitsteilung. Politiker in unserem heutigen Sinne kannte der alte Grieche ja noch nicht. Deswegen überlegte er, ob man das Regieren vielleicht Leuten überantworten sollte, die das Denken professionell und in Vollzeit betreiben. Die hießen damals Philosophen. Sie gehörten ganz automatisch zur herrschenden Klasse, denn Freizeit zum Denken und Perepetieren hatten nur Söhne aus vermögenden Elternhäusern.
Das hat sich eigentlich bis heute nicht geändert.
Es könnte anders sein, wenn man vielen Leuten die existenziellen Sorgen nehmen würde und ihnen mehr Bildungschancen einräumen würde.
Aber wie wir aus lauter klugen Artikeln nun wissen – solche bedürftigen Menschen gibt es gar nicht. Alle sind reich und die Steuern müssen sinken.
So schnell ist man mittendrin in einem richtig populistischen Thema, das mit populus gar nichts zu tun hat. Denn dieses arbeitsame Volk zahlt entweder gar keine Steuern, weil es eh bis zu den Ohren in Hilfsbedürftigkeit steckt. Oder so wenig, dass es vom sogenannten „Mittelstandsbauch“ nicht mal berührt wird, auch wenn der Steuerzahlerbund noch so oft in nasse Taschentücher weint.
Aber der Fehler der Bertelsmann-Stiftung war ja schon der falsche Ansatz, der doppelt falsche Ansatz. Zum Ersten: Weil man gerade beim Volk nach Populismus suchen wollte. Und Zweitens: Weil man Populismus augenscheinlich nach zehn Jahren emsiger Gehirnwäsche mit Rechtsradikalismus verwechselt.
Wenn man rechtsradikale Phrasen als Populismus beschreibt, ist man schon längst im Weichspülmodus und den Wortverdrehern der rechtslastigen Think Tanks auf den Leim gegangen. Man spreche ja nur Volkes Sprache und mit Volkes Stimme. „Wir sind das Volk!“ usw. All das Gewäsch, das seit 20 Jahren auf NPD-Plakaten stand und seit drei Jahren auf AfD-Plakaten.
Da haben einige sehr hochkarätige Denker der Neuen Rechten eine Menge Arbeit aufgewandt, die rechtsradikalen Politik-Aussagen in harmloser aussehende Worthülsen und Phrasen zu verwandeln. Und sie langsam einsickern zu lassen – nicht nur in Internet-Medien, sondern auch in ganz offizielle Medien. Einige edle Federn des großdeutschen Kommentars haben eifrig in diesem schmutzigen Wasser gebadet und es für bunten Badeschaum erklärt.
Was übrigens nicht nur in Deutschland so passierte.
Je mehr die klassischen Medien unter Druck gerieten, umso mehr öffneten sie sich diesem dunklen Gemunkel.
„Anstatt vermehrt darüber nachzudenken, wie es so weit kommen konnte, dass weltweit derart viele Menschen wieder empfänglich geworden sind für nationalistische, rassistische, antidemokratische Ressentiments rechtsreaktionärer Demagogen, erklären wir sie schlicht für Dummköpfe, zu denen wir aufgeklärten Durchblicker jedenfalls ganz bestimmt nicht gehören“, meint Niemann.
Aber da ist sein Text zum Glück nicht zu Ende. Da fängt er erst an.
Denn dass so viele Worte missbrauchbar sind, liegt an der Gewöhnung an den Missbrauch. Und die hat mit einer anderen politischen Richtung begonnen: dem Neoliberalismus und seiner Verdrehung aller Worte und der schleichenden Aushöhlung demokratischer Entscheidungsstrukturen. Was ja bekanntlich derzeit den ganzen Ärger in Europa ausmacht.
Eine ganze Menge Europäer haben das dumme Gefühl, dass sie nicht mehr mitzureden haben, wenn es um sie selbst geht.
Niemann: „Denn in der Postdemokratie arbeiten auch die vermeintlichen Verfechter der offenen Gesellschaft ständig mit unterschwelligen, persuasiven Wertungen, um ihre Absichten unter einer Oberfläche sachlicher Information zu verstecken. Sie sprechen zum Beispiel von Freiheit, wenn sie die Flexibilisierung von Arbeitsverhältnissen meinen, es also vor allem um die Freiheit der Unternehmen gegenüber den Ansprüchen ihrer Beschäftigten geht. Oder sie fordern individuelle Freiheiten ein, geben sie als Abbau staatlicher Kontrolle oder verbraucherfreundliche Wahlfreiheit aus, um gleichfalls in erster Linie die Macht der Konzerne zu stärken. Die positive Aufladung des Begriffs wird beibehalten, seine Bedeutung verdreht. Gleichzeitig wird die rhetorische Umwertung demokratischer Werte flankiert von einer Rhetorik der Alternativlosigkeit, nach der die ökonomische Globalisierung und die Logik des Marktes als gleichsam naturgegeben hinzunehmen sind.“
Es gibt also mächtig viele Gründe, den aktuellen Zustand der Demokratie zu kritisieren und etlichen politischen Vertretern zu misstrauen.
Das ist kein Populismus, sondern Lebenselexier der Demokratie.
Populismus ist nämlich und nach wie vor, ein Politikstil. Was Niemann dann bei Bernd Stegemann bestätigt sieht. „Populismus, sagt Stegemann, ist keine Ideologie, sondern ein politischer Stil. Eine bestimmte Methode der Überredung und Überwältigung, um sich im öffentlichen Raum gegen dort herrschende Umgangsformen Gehör zu verschaffen“, schreibt er.
Ein Thema, über das wir an dieser Stelle ja schon oft geschrieben haben. Denn das hat Folgen. Deftige und fatale.
Niemann: „Politische Meinungsbildung braucht öffentliche Auseinandersetzung über die Konflikte gesellschaftlichen Zusammenlebens, die für die Menschen tägliche Erfahrung sind. Werden die Konflikte im Diskurs ausgeklammert, verschleiert, umgedeutet, überzeichnet, wird die öffentliche Sprache zu einem Ort des Falschsprechens bzw. der Nichtkommunikation. An ihre Stelle tritt das Bauchgefühl, das Ressentiment, das durch die Simplifizierung und Emotionalisierung politischer Inhalte immer weiter verschärft wird. Ein Teufelskreis, an dessen Ende die offene Gesellschaft in offene Feindschaft zu münden droht.“
Das Unbehagen an der Rhetorik des aktuellen politischen Establishments (die so oft eben nicht passt zu dem, was es wirklich tut) ist real. Sie ist keine Erfindung. Sie findet nur keinen Ansatz, weil man selbst auf konkrete Nachfrage weichgespülte Ausreden bekommt. Auch als Abgeordneter oder Journalist. Alles ist bestens in der besten aller Welten. So ungefähr.
Nur ist das eben nicht in Deckung zu bringen mit der Erfahrung eines großen Teils der Gesellschaft. Die Sprache stimmt nicht zum Erlebten.
Es gibt keine offene Diskussion der Missstände mehr. Im Gegenteil. Kaum wird mal einer angesprochen oder gar von Millionen Europäern auf die Wahrnehmungsebene gehoben (wie die berechtigte Kritik an den geplanten Freihandelsverträgen), schon wird ihr Problem als nichtexistent erklärt, muss gar erst das Gericht bemüht werden, damit sich die EU-Kommission bequemt, 3 Millionen Unterschriften ernst zu nehmen.
Wäre es nur ein Einzelphänomen, könnte man sich ja beruhigen. Aber es ist die Regel, nicht die Ausnahme. Womit natürlich die große Apathie derjenigen gepflegt wird, die sich marktkonform verhalten und sich den neoliberalen Wettbewerbsnormen ganz und gar unterordnen.
Die kritischen Bürger aber werden bewusst desavouiert. Ihre Kritik wird als ungehörig abgestempelt. Sie schafft es auch kaum noch in den Wahrnehmungshorizont der großen Medien. Außer, sie ufert so gewalttätig aus wie in Hamburg.
Wer politische Kritik nun seit Jahren derart massiv diskriminiert und auch kriminalisiert, der schafft logischerweise eine politische Debatte, die keine mehr ist. Man redet nicht mehr über Inhalte, sonder nur noch über Emotionen. Man behandelt Politik wie öffentliches Wrestling.
Oder noch einmal Niemann zitiert: „Um eine der Demokratie angemessene Politikkultur zurückzuerlangen, bestünde ein allererster Schritt vielleicht darin, jede Form rhetorischer Praxis zu ächten, die mit populistischen Mitteln den offenen Dialog sabotiert. Auch wäre so manchem journalistischen Format, das sich seriös und kritisch gebärdet, zu wünschen, es würde seine Berichterstattung nicht durch das Abtasten der Themen nach Like- und Dislike-Zonen verwässern.“
Es steht nur zu befürchten, dass das die großen, reichweitenstarken Medien nicht tun werden. Dazu sind sie längst selbst viel zu abhängig von der Aufmerksamkeitsökonomie. Von der richtigen Ökonomie sowieso – denn wer nicht mit den Wölfen heult, bekommt auch keine Werbeumsätze mehr.
Die Sache ist komplexer. Denn diese Art Aufmerksamkeitsökonomie befördert den Erfolg populistischer Rhetorik. Die modernen Medien sind Emotions-Medien. Sie spitzen Alles, wirklich Alles auf Like und Dislike zu. Facebook passt genauso wunderbar in diese Welt wie RTL und AfD. Texte, die länger als zwei Zeilen sind, liest kaum noch einer. Man ist an fernsehformatierte Showdowns gewöhnt, bei denen am Ende einer der Sieger und einer der Verlierer ist. Rein gefühlsmäßig. Denn um Lösungen und Inhalte geht es nicht mehr.
Das Volk liebt so etwas, weil es die Welt scheinbar so einfach macht. Man fühlt sich weder gemeint noch betroffenen. Selbst wenn einem der Sieger im Wrestling hinterher die Existenz unterm Hintern wegzieht.
Populismus ist auch eine Art, Politik darzustellen, die ohne das Nachdenken über Alternativen auskommt. Es gibt nur hopp oder top. Über die Folgen von Entscheidungen wird nicht nachgedacht. Die Zukunft löst sich in nichts auf. Alles ist jetzt. So wie die nächste Wunscherfüllung im Supermarkt.
Die rhetorische Praxis des Populismus sabotiert jeden offenen Dialog.
Was man daraus ableitet, ist eine andere Frage.
Aber das mindeste ist ein gesundes Misstrauen gegen all die Phrasen, die die verweigerte Problemanalyse nur zukleistern, nur auf Emotion setzen und den Bürgern ein Bild malen von lauter kommender Herrlichkeit – ohne zu erzählen, wie es gehen soll. Und was es kostet. Und wer dafür bezahlt.
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