Eigentlich war alles vorher klar. Dann lief einfach das Drehbuch ab, was einige bereits vor dem G20-Gipfel für die „Welcome to hell“-Demonstration geschrieben hatten. Da hätten wahrscheinlich die 10.000 Demonstranten der Antikapitalismus-Demo am 6. Juli in Hamburg im Kriechgang die Straße herunterkommen können – die Polizei wäre beim Ablaufplan geblieben. Ob dieser jedoch rechtsstaatlich in Ordnung war, wird derzeit gern debattiert – nur leider mit einigen falschen Zungenschlägen und Schuldzuschreibungen, die pauschal nicht funktionieren. Fest steht: die Polizei ist zu einer Art Generalangriff übergegangen, der mehr als fragwürdig ist.
Zuerst einmal eine wichtige Feststellung, ganz gleich welcher politischen Motivation eine Demonstration folgt: Eine Vermummung auf einer Demonstration ist verboten und eine Ordnungswidrigkeit. Leicht hinkend vergleichbar demnach mit einem falsch parkenden Auto an einer Straßenecke – es kann zu Unfällen führen, muss es aber nicht. Also im Sinne der Gefahrenabwehr Abschleppen im schlimmen Fall oder Knöllchen dran wegen der Möglichkeit, dass andere Verkehrsteilnehmer am oder wegen des ruhenden Pkw Schaden nehmen könnten. Fertig, der Vermummte, äh, falsch Parkende zahlt die Zeche. Er. Nicht die anderen Halter weiterer Fahrzeuge die drei Ecken weiter unentdeckt ähnlich falsch parken.
Und wenn die Politesse oder der Politeur (?) gerade Dienstschluss hat, noch nicht einmal der ebenfalls falsch parkende Nachbar an der gegenüberliegenden Straßenkante. Im Recht gilt: jedem seine eigene Ordnungswidrigkeit.
Es handelt es sich um keine Straftat, wie einige Unwissende – auch aus den Reihen der Polizei – gern immer wieder mal behaupten, wenn es um Vermummungen auf Demonstrationen geht. So wie nun auch in Hamburg, wo sich ein leitender Beamter exakt so gegenüber der Presse äußerte. Es ist und bleibt jedoch falsch, ganz gleich wer dies behauptet. Ebenfalls gilt natürlich, dass der Vermummte die Ordnungswidrigkeit begeht und nicht der nebenstehende Mitdemonstrant mit blankem Gesicht. Ob er dabei nur verhindern möchte, dass die längst auf Demonstrationen dauerfilmende Polizei sein Gesicht einfängt oder er tatsächlich Straftaten plant, ist dafür unerheblich – es bleibt eine Ordnungswidrigkeit.
Die Bilder aus mindestens 5 verschiedenen Livestreams der Szenen im Netz
Der Veranstaltungszug „Welcome to hell“ mit medial verbreitet 10.000 bis 12.000 Teilnehmern wurde also am Hamburger Fischmarkt angehalten, um das Thema Vermummung zu klären. Wie dies „geklärt“ wurde, kann man sich nun in unzähligen Livestreams, Netzvideos und auf Fotos ansehen. Der Zug steht, minutenlang, nichts geschieht.
Was dann geschieht, beschreibt Thomas Wüppesahl vom Bund kritischer Polizisten in einem aktuellen Zeit-Online-Interview so: „Der Polizeieinsatz war außerhalb jeder Rechtsstaatlichkeit. Die Autonomen sollten von dem Rest der Demonstration getrennt werden, und dafür hat die Polizei in Kauf genommen, dass friedliche Demonstranten verletzt wurden. Der Einsatz gegen die Autonomen erfolgte, nachdem viele der Vermummten die Sonnenbrillen abnahmen und die Tücher vom Gesicht zogen.“ Überschrieben ist das Interview übrigens mit “Wie in der Türkei”.
Während sich die eine „Seite“ also bereits friedlich „entwaffnete“, muss man im Nachgang angesichts des weiteren Verlaufs des Geschehens attestieren, dass die Einsatzkräfte eher auf ihre Chance zum Losschlagen warteten. Und sie bekamen sie. Die Schlüsselszene soll ein Flaschenwurf eines einzelnen, laut NDR betrunkenen Mannes aus dem hinteren Teil der Demonstration gewesen sein. Ob dieser wegen seiner damit begangenen Straftat festgesetzt wurde, ist unbekannt. Eine nicht unwichtige Frage, die jedoch längst überlagert ist von der tatsächlichen Reaktion der Beamten, welche daraufhin gegen den gesamten Demonstrationszug vorgingen.
Was Hardliner nun “ein Zeichen setzen” nennen könnten, sind äußerst unschöne Szene von hochgerüsteten Polizisten, die anrennend, stoßend und sprayend auf unvermummte Menschen einschlagen. Menschen, die versuchen einer Kesselsituation zu entkommen, indem sie über eine Mauer fliehen müssen. Keine Schlacht, eher eine Panik, eine ähnliche der, welche beim Unglück anlässlich der letzten Loveparade in Duisburg eintrat. Hier noch verstärkt durch einen Einsatz von Pfefferspray, Wasserwerfern und Schlagstöcken.
Szenen, die ein wenig an das Treiben einer Herde in einem bewusst gewählten Canyon erinnert – und genau das tut die Polizei auch, Verletzungen und Schlimmeres billigend in Kauf nehmend. Sie trennt prügelnderweise eine Demonstration, welche nicht ausweichen kann, in zwei Teile. Und unterscheidet nicht mehr zwischen „schwarzem Block“, Demonstranten, Parlamentariern und Presseleuten, während die Wasserwerfer auffahren.
Ein junger Mann liegt in einem Video (unvermummt) erst am Boden und ruft, sich aufbäumend, mit blutendem Gesicht, verbleibender Restluft und panischem Tremolo in der Stimme „Hilfe, helft mir“ in die Live-Kamera von RT Deutsch. Grund dazu hat er: auf ihm hocken vorher und nachher erneut mindestens drei vollgepanzerte, erwachsene Männer in Uniform herum. Einer schlägt ihm ununterbrochen in die Seite. In einer anderen Szene rennt ein Polizeibeamter einen sicher unglücklich positionierten Fotojournalisten um, andere schlagen auf Hinterköpfe – was klassischerweise eine Situation ist, wo einer, hier der Demonstrant, eher keine Aktie am Verlauf der Szene hat.
Wie hätte eine Lösung ausgesehen?
Kurz gesagt: Menschen, die nicht vermummt und – bis zum ausgebliebenen Beweis des Gegenteils friedlich – demonstrieren wollten, werden nachschaubar überall im Netz geschlagen, attackiert und mindestens gegen ihren Willen in der Gegend herumgeschubst. Das Ende ist bekannt und kann derzeit überall im Netz bewundert werden. Die Prophezeiung der „Randale in Hamburg“ erfüllte sich schon am gleichen Abend, wenn auch zum Glück nicht so, wie es manch Boulevardblatt gern gehabt hätte.
Denn immerhin sieht man genügend Fotografen, die versuchen, die zu der Zeit einzige brennende Barrikade möglichst spektakulär in die Linse zu bekommen und die eine oder andere flaschenwerfende Kleingruppen finden. Der Rest der Demonstranten scheint eher wütend, aber passiv.
Die richtige Lösung der Gesamtsituation wäre für die Demonstranten sicher auch unschön gewesen. Sie lautet dennoch: Vermummungen runter oder die Demo muss stehenbleiben, ja gegebenenfalls beendet werden. Also eine Art Patt, welches so lange besteht, bis die Verstöße gegen allgemein geltende Demonstrationsregeln in Deutschland beendet sind. Dabei werden sogar hier und da polizeilicherseits Vermummungen in geringer Anzahl durchaus auch mal “geduldet” – irritierenderweise zum Beispiel einst bei den ersten rechten Legida-Aufmärschen in Leipzig.
Während also die Beendigung der Vermummung eingefordert wird, muss die Polizei abwarten, ob Straftaten geschehen. Das kann sich im Laufe der Demo sogar mehrfach wiederholen, im Zweifel zieht man einzelne Unbelehrbare einzeln “heraus”. Wenn es also beim Flaschenwurf eines einzigen Teilnehmers bleibt, muss man angesichts der 10.000 Teilnehmer die Frage der Verhältnismäßigkeit dieses Einsatzes stellen. Ein klassischer „Abbruch des Spiels“ war es in jedem Fall. Seit heute nun brennen Autos in Hamburg und die Medien informieren darüber, dass “Vandalismus” von den meisten Versicherungen nicht abgedeckt ist.
Wenigstens haben damit alle die vorab geschürten Erwartungen der Zuschauer auf Gewalt und Remmidemmi erfüllt. Der “weiße Block” jedenfalls steht. Beim Rechtsstaat sollte man sich da nicht mehr so sicher sein.
Zum Kommentar vom 7./8. Juli auf L-IZ.de
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Es gibt 5 Kommentare
Nachtrag. Interessantes Interview, welches beschreibt, was ich mit Rechtspraxis beim Thema Vermummung meine. http://taz.de/Rechtsanwalt-ueber-Polizeieinsatz/!5427952/
Es war von Seiten der Polizei kein friedliches Demonstrieren geplant. Schon die Wahl des Einsatzleiters Dudde stellte unmissverständlich klar, was da passieren sollte.
Und ob der Flaschenwerfer nun betrunken war oder nicht, wenn er es nicht gewesen wäre, dann halt jemand anderes, notfalls einer der sicher mitagierenden VS-V-Männer. Damit dieses Exempel planmäßig statuiert werden konnte.
Ich möchte es präzisieren: gesetzlich ja, praktisch wird es nicht so verfolgt. So ist es korrekter.
Und mal wieder seid ihr eine der wenigen (einzigen?) Zeitungen, die das ganze unaufgeregt und logisch analysieren. Danke. Diese ganze Sensationsgier der anderen nervt.
In einem anderen Artikel las ich gerade: Vermummung ist (irrsinnigerweise) eine Straftat, keine Ordnungswidrigkeit