Für FreikäuferDie Proteste gegen den G20-Gipfel dauerten nur einige Tage, die massiven Ausschreitungen sogar nur wenige Stunden. Welche Konsequenzen sich daraus ergeben werden, ist noch unklar, aber sie könnten Auswirkungen für viele Jahre haben. Aktuell dominieren vor allem die Stimmen jener, die das Geschehen nur aus der Ferne beobachtet haben. Unser Autor René Loch war vor Ort und schildert im ersten Teil des G20-Tagebuchs seine Eindrücke von der autonomen Demo am Donnerstagabend.
Vielleicht hätte das Wochenende in Hamburg einen deutlich anderen Verlauf genommen, wenn von der Polizei in den Tagen zuvor keine Eskalation ausgegangen wäre. Vermutlich wäre es trotzdem zu Ausschreitungen gekommen mit brennenden Barrikaden, Plünderungen, Pfefferspray, Schlagstöcken und fliegenden Gegenständen. Aber die Intensität wäre womöglich eine andere gewesen.
Bereits Wochen vor dem G20-Gipfel hatten die Behörden in weiten Teilen der Stadt das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit außer Kraft gesetzt. Es erschien wichtiger, einigen Damen und Herren eine angenehme Fahrt zwischen Hotel und Messehallen zu gewährleisten, als zehntausenden Demonstranten einen gewaltfreien Protest gegen diese Zusammenkunft zu ermöglichen. Diverse Camps, in denen die Protestierenden übernachten wollten, wurden von der Polizei als Rückzugsort für Gewalttäter diffamiert.
Selbst über einen Gerichtsentscheid, der die Schlafplätze für zulässig erklärte, setzte sich die Polizei hinweg. Später gingen die Beamten mit Wasserwerfern und Räumfahrzeugen gegen Menschen vor, die einfach nur Bier getrunken und gefeiert hatten.
Das alles war jedoch nur das Vorspiel für die antikapitalistische Demonstration am Donnerstagabend. Mehrere tausend Teilnehmer hatten sich am Fischmarkt nahe der Elbe eingefunden, um unter dem Motto „Welcome to Hell“ radikale Kritik am G20-Gipfel zu formulieren. Die Spannungen waren auch hier zu spüren, etwa als mehrere Hundertschaften der Polizei die Menge durchquerten und dabei von einer Person mit Mehl beworfen oder von einer in die Gesichter gehängten Fahne provoziert wurden. Überwiegend ignorierten die Beamten dies jedoch.
Die Mehrzahl der Anwesenden widmete sich nicht den Polizisten, sondern den Infoangeboten, der Livemusik auf einer Bühne oder dem riesigen schwarzen Luftkissen mit der Aufschrift „Nur ein schwarzer Block ist ein guter Block“. Ein menschlicher „schwarzer Block“ formierte sich ebenfalls. Zahlreiche Personen vermummten sich.
Bereits nach wenigen Metern stoppte die Polizei den Aufzug und die ganz vorne laufenden Schwarzgekleideten. Mehrere Wasserwerfer und hunderte Beamte standen der Demospitze gegenüber und warteten darauf, dass die Teilnehmenden ihre Gesichtsbedeckungen entfernen – so lautete zumindest die offizielle Erklärung. Doch selbst als in einem Großteil des „schwarzen Blocks“ keine Vermummungen mehr zu erkennen waren, durfte die Demonstration nicht fortgesetzt werden. Im Nachhinein wurde an dieser Entscheidung sogar polizeiinterne Kritik laut.
Eine Eskalation hätte demnach womöglich vermieden werden können, wenn die Polizei vereinzelte Gesetzesverstöße ignoriert hätte – auf vielen linksradikalen, aber auch Neonazidemonstrationen ist das gängige Praxis.
Stattdessen gingen die Beamten zum Angriff über. Was vor Ort kaum zu erkennen war, geht aus zahlreichen Videos klar hervor: Ohne nennenswerten Anlass stürmten die Polizisten mit Pfefferspray und Schlagstock in den „schwarzen Block“, angeblich um diesen vom hinteren Teil der Demonstration abzutrennen. Dieses Ziel wurde zwar erreicht, hatte jedoch einen hohen Preis. Viele der von drei Seiten von der Polizei eingekesselten Menschen flüchteten in Panik auf eine Mauer. Andere warfen Flaschen und Böller auf die Beamten.
Der Rest blieb stehen und wartete ab. Eine genauere Schilderung der Ereignisse aus direkter Perspektive vor Ort ist nicht möglich, da die Polizei auch den Pulk an Journalisten abdrängte. Einige landeten letztlich in einer Garage und verließen diese über ein Treppenhaus in eine Nebenstraße.
Neben aggressiven, wütenden und verängstigten Demonstranten waren hier auch Polizisten zu sehen, denen „egal“ war, ob man sich als Journalist ausweisen konnte. In den folgenden Stunden beruhigte sich die Situation wieder. Tausende Demonstranten zogen dann doch noch durch die Stadt – begleitet und immer wieder gestoppt von einem massiven Polizeiaufgebot. Abgesehen von einigen Böllern waren zunächst keine nennenswerten Vorkommnisse zu beobachten.
Gegen Mitternacht eskalierte es jedoch ein weiteres Mal. Immer wieder kam es zu Auseinandersetzungen zwischen Autonomen und Polizisten. Die konkreten Anlässe waren meist nicht ersichtlich. Als sich die Lage eigentlich schon wieder beruhigt hatte, räumte die Polizei ohne Ankündigung eine Kreuzung mit einem Wasserwerfer. In welche Richtung die Menschen fliehen sollten, wurde ihnen nicht mitgeteilt. Wie so häufig an diesem Wochenende wäre etwas mehr Kommunikation wohl hilfreich gewesen.
Mit Blick auf die folgenden Nächte blieb es dennoch vergleichsweise ruhig.
Ein Video von der Räumung der Demonstration “Welcome to Hell”
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