Vor über 10 Jahren habe ich in der Thomaskirche im Rahmen eines Abendgottesdienstes ein schwules Paar gesegnet. Sie hatten zuvor in Kalifornien geheiratet. Beide kannte ich gut: den einen hatte ich als Erwachsenen konfirmiert, der andere war Amerikaner und lebte jedes Jahr für einige Wochen in Leipzig. In dieser Zeit besuchte er die Gottesdienste in der Thomaskirche. Kein Gottesdienstbesucher hat an diesem Abend die Kirche unter Protest verlassen. Niemand sah sich in seinem Glauben erschüttert. Im Gegenteil: Viele waren beeindruckt darüber, wie wichtig diesem Paar der Zuspruch durch den Segen Gottes war und gratulierten nach dem Gottesdienst herzlich.
In den folgenden Jahren führte ich mehrere Segnungsgottesdienste für schwule Paare durch. Was mir dabei auffiel: Liturgie, Gebete, der Inhalt der Ansprache unterschieden sich in nichts von einer „normalen“ kirchlichen Trauung. Das ist wenig überraschend. Denn die Ehe ist eben kein Sakrament und eine kirchliche Trauung ist nichts anderes als ein Gottesdienst anlässlich einer Eheschließung. Das Entscheidende ist die Bitte um den Segen Gottes, damit das Eheversprechen, ein Leben lang in Freude und Leid zusammenzubleiben, gelingen kann.
Mir wurde durch die Segnungsgottesdienste, vor allem aber auch durch die Gespräche mit den schwulen Paaren deutlich, dass die Unterscheidung vom Segnungsgottesdienst zur „normalen“ Trauung künstlich und letztlich nicht aufrechtzuerhalten ist. Insofern freue ich mich, dass am kommenden Freitag endlich rechtlich fixiert wird, was moralisch-ethisch längst überfällig ist: Die Ehe für alle, auch für schwule und lesbische Paare. Damit ist es möglich, dass diese – mit allen Rechten und Pflichten – eine Familie gründen können.
So weit, so gut
Es bleibt aber mehr als bedauerlich, ja beschämend, dass sich Teile der Kirchen immer noch schwer damit tun, die Ehe für alle anzuerkennen und entsprechend die kirchliche Trauung auch für gleichgeschlechtliche Paare zu öffnen und solche Vollzüge auch in die Kirchenbücher einzutragen. Das gilt insbesondere für die katholische Kirche, aber auch für die sächsische Landeskirche und ihren derzeitigen Landesbischof. Bei der Kritik an der Homo-Ehe werden immer noch die Stellen der Bibel herangezogen, in denen gleichgeschlechtliche Sexualität verurteilt wird.
Doch was nicht beachtet wird: Da geht es weniger um das gleichgeschlechtliche Zusammenleben als solches, sondern um sexuelle Nötigung bis hin zur Prostitution. Auch ist zu bedenken, dass in der Bibel relativ wenig über die Institution Ehe zu finden ist. Im Mittelpunkt der biblischen Botschaft steht, wie Menschen in einer Partnerschaft zusammenleben sollen. Danach gelten für heterosexuelle Paare die gleichen Maßstäbe wie für homosexuelle Partnerschaften – übrigens unabhängig von der rechtlichen Form des Zusammenlebens. Leider wird dieser Aspekt in den Diskussionen immer wieder überlagert von einer dogmatischen Sakralisierung des Institutionellen. Eigentlich sollte diese Sakralisierung seit der Reformation der Vergangenheit angehören.
Doch leider haben es die Kirchen bis heute versäumt, sich ihrer Versagensgeschichte gegenüber homosexuell lebenden Menschen zu stellen. Denn indem sie über Jahrhunderte Homosexualität zur Sünde erklärt haben, haben sie wesentlich zur Diskriminierung, unnachsichtigen Verfolgung und unmenschlichen Behandlung dieser Menschen beigetragen.
Widerstand gegen die Ehe für alle regt sich aber nicht nur in den Kirchen
Auch die CDU/CSU und insbesondere Bundeskanzlerin Angela Merkel hätten niemals von sich aus die Ehe für alle auf die Tagesordnung des Bundestages gesetzt. Seit Jahren haben sie dafür gesorgt, dass der vorliegende Gesetzentwurf im Bundestag nicht behandelt wurde. Seit Merkels Bemerkung, die Entscheidung über die Ehe für alle sei eine Gewissensfrage und darum sei der Fraktionszwang aufgehoben, sind sie nun Getriebene. Denn Merkels Äußerung basiert nicht auf einer Überzeugung. Sie ist allein taktisch bestimmt. So ist seit Montag eine ziemlich absurde Situation entstanden: Angela Merkel hat – ungewollt – den Weg für eine Entscheidung frei gemacht, die die Partei, deren Vorsitzende sie ist, inhaltlich ablehnt.
Damit wird kurz vor der Bundestagswahl noch einmal überdeutlich, wie Angela Merkel nunmehr seit 12 Jahren regiert: Zum einen weiß sie sehr genau, dass sie ohne den Koalitionspartner SPD kaum Erfolge vorzuweisen hat. Während sie sich auf die solide Arbeit der sozialdemokratischen Minister verlassen kann, wird sie von ihren eigenen Leuten, insbesondere von der CSU, in die Enge getrieben.
Was allerdings Merkel meisterhaft versteht: Sie unterstützt Positionen der SPD (auch der Grünen und der FDP), um sie dann als CDU-Erfolg zu verkaufen. Doch diese Strategie scheint mit der von der SPD erzwungenen Entscheidung im Bundestag für die Ehe für alle an ihr Ende gekommen zu sein. Und das aus zwei Gründen: Zum einen hat sie bei ihrem opportunistischen Schachzug nicht damit gerechnet, dass die SPD noch in dieser Woche die Bundestagsentscheidung für die Ehe für alle durchzusetzen versucht. Zum andern wird diese Entscheidung innerhalb der CDU/CSU zu programmatischen Verwerfungen führen, deren Auswirkungen noch völlig offen sind. Oft sind es Entscheidungen über Symbolthemen, die eine schwelende Krise aufbrechen lassen.
Für die Kirchen, insbesondere für die Kirchen der Reformation, ist wichtig, dass sie in der Debatte um die Ehe für alle deutlich macht: Die Attribute christlich und kirchlich bedeuten nicht, dass man automatisch gegen die Ehe für alle sein muss. Im Gegenteil: Wer für sich in Anspruch nimmt, christlich zu leben und kirchlich gebunden zu sein, der sollte das in den Mittelpunkt stellen, worauf es im Zusammenleben ankommt: Das Doppelgebot der Liebe. Für den Glauben ist nicht die Institution das Entscheidende, sondern wie wir Menschen in den sich wandelnden Gesellschaften das praktizieren, was unaufgebbar ist: Respekt, Rücksichtnahme, Nächstenliebe, Ehrfurcht vor dem Leben.
Darum ist die Entscheidung für die Ehe für alle der rechtliche Vollzug dessen, was der christliche Glaube nahelegt und ermöglicht.
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