Nach dem tรถdlichen Anschlag nahe der deutschen Botschaft in Afghanistan haben sich die Ereignisse in den vergangenen Tagen รผberschlagen. In Nรผrnberg sorgte am Mittwoch ein Polizeieinsatz zur Abschiebung eines Berufsschรผlers fรผr Empรถrung. Am Donnerstagabend gingen dann unter anderem in Leipzig mehrere hundert Menschen auf die Straรe. Die Bundesregierung hat mittlerweile reagiert und Abschiebungen nach Afghanistan teilweise ausgesetzt.
Fรผr einen kurzen Moment kam Jubel auf. รber den Lautsprecherwagen hatte Stadtrรคtin Juliane Nagel (Linke) gerade verkรผndet, was etwa eine Stunde zuvor von der Bundesregierung beschlossen worden war: ein vorรผbergehender Abschiebestopp nach Afghanistan. Um genau das zu fordern, waren am Donnerstagabend etwa 500 Menschen auf die Straรe gegangen.
Die Demonstration war kurzfristig von selbstorganisierten Geflรผchtetengruppen organisiert worden. Anlass war der Anschlag nahe der deutschen Botschaft in Kabul, der am Mittwoch mindestens 90 Menschen das Leben kostete. Die Bundesregierung hatte daraufhin erklรคrt, einen fรผr denselben Tag geplanten Abschiebungsflug nach Afghanistan auszusetzen โ und dies damit begrรผndet, dass sich die Mitarbeiter der Botschaft derzeit nicht um die Ankommenden kรผmmern kรถnnten. Viele Politiker und Menschenrechtsaktivisten bezeichneten diese Begrรผndung als zynisch.
Seit Monaten laufen sie Sturm gegen Abschiebungen nach Afghanistan. Die Bundesregierung vertritt die Auffassung, dass Teile des Landes sicher seien. Dem widersprechen zahlreiche Organisationen, darunter das UN-Flรผchtlingshilfswerk UNHCR, demzufolge es keine sicheren Gebiete in dem Land gebe. Die Zahl der zivilen Opfer durch Terroranschlรคge ist so hoch wie seit Jahren nicht mehr. Noch am Dienstag hatten mehrere Anwaltsverbรคnde sowie Hilfs- und Menschenrechtsorganisationen, darunter Amnesty International, Pro Asyl und die Diakonie, gemeinsam einen sofortigen Stopp aller Abschiebungen gefordert.
Dem ist die Bundesregierung nun zumindest teilweise nachgekommen. Straftรคter und sogenannte Gefรคhrder sollen weiterhin abgeschoben werden dรผrfen. Dies entspricht auch einer Forderung, die SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz am Donnerstag erhoben hatte. Der stellvertretende Ministerprรคsident in Sachsen, Martin Dulig (SPD), hingegen forderte auf Twitter einen generellen Abschiebestopp. Einen solchen hatte die sรคchsische Landesregierung bislang jedoch stets abgelehnt โ im Gegensatz zu einigen anderen Bundeslรคndern.
Die Demonstranten in Leipzig zogen mit Parolen wie โStoppt die Abschiebungen nach Afghanistanโ und โAfghanistan ist kein sicheres Herkunftslandโ durch die Innenstadt. Ganz vorne liefen geflรผchtete Frauen und Kinder, gefolgt von geflรผchteten Mรคnnern und anderen Teilnehmenden. Vor allem am Marktplatz erregte der Aufzug groรe Aufmerksamkeit. Die Reaktionen fielen gemischt aus. Am Ende gedachten die Teilnehmer mit einer Schweigeminute der Opfer des Anschlags in Kabul.
Die Demonstration stand auch unter dem Eindruck der Ereignisse in Nรผrnberg. Dort hatten am Mittwoch mehrere hundert Berufsschรผler versucht, die Abschiebung eines Mitschรผlers nach Afghanistan aus dem Unterricht heraus zu verhindern. Die Polizei lรถste Sitzblockaden mit Gewalt auf, es gab zahlreiche Verletzte. Bundesweit sorgten die Bilder der Auseinandersetzungen fรผr Empรถrung.
Den couragierten Schรผlern ist es womรถglich zu verdanken, dass sich die Bundesregierung zu einer Kursรคnderung gezwungen sah. Nicht nur ihr Mitschรผler befindet sich nun zumindest fรผr einige Wochen auรer Lebensgefahr. Voraussichtlich im Juli will die Bundesregierung die Lage in Afghanistan neu bewerten.
Video von der (nicht mehr ganz so gut besuchten) Abschlusskundgebung am Augustusplatz
In eigener Sache: Lokaler Journalismus in Leipzig sucht Unterstรผtzer
In eigener Sache (Stand Mai 2017): 450 Freikรคufer und weiter gehts
So kรถnnen Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstรผtzen:
Keine Kommentare bisher