Sonntags fahre ich in Leipzig sehr ungern mit der Straßenbahn. Denn sonntags fahren lauter Leute mit, die man unter der Woche nie trifft, die aber glauben, in der Straßenbahn laut verkünden zu müssen, was sie denken. Als müssten sie den ansonsten zumeist friedlich dösenden Fahrgästen klarmachen, dass sie sich in Leipzigs Straßenbahn genauso zu Hause fühlen wie in Dachau oder Schwabing.

Diesmal also ein Münchner, der einer Leidensgefährtin aus Erfurt („Ich wohne da derzeit.“) erklären musste, wie er mit den Links-Autonomen von Connewitz umgehen würde: „Wenn ich die Macht hätte.“

Wissen Sie, wie froh ich bin, dass die meisten Mitbürger keine Macht haben?

„Wenn ich die Macht hätte, würde ich dafür sorgen, dass die alle sofort schnurstracks in den Knast wandern. Türen auf und rein damit. Ordentliche Eisenkugeln an die Füße und dann würde ich die erst mal arbeiten lassen.“

Dabei war kein Links-Autonomer in der Bahn, auch niemand, der sich irgendwie unzivilisiert verhielt. Der vielbelesene Mann hatte nur davon gehört und gelesen, dass es da in Leipzig auch ein paar Links-Autonome gibt. „Man soll ja eine Stadt nicht nach ihren Extremen beurteilen. Wenn auch nur ein Nazi auftaucht, sagen immer gleich alle: Alles Nazis.“

Und dann nach Leipzig kommen, und die Stadt unvergleichlich toll finden?

Wie gesagt: Ich bin froh, dass die meisten Menschen und Münchner keine Macht haben.

Und dann läuft ja gerade diese durchaus bedenkenswerte Diskussion zu unserem Beitrag „Harmoniesucht, fehlende politische Bildung und Scheu vor Konflikten haben dem Rechtsextremismus in Sachsen Raum verschafft“, in dem wir im Grunde nur die Stellungnahmen der eher linken Parteien zur Studie des Göttinger Instituts für Demokratieforschung zum Rechtsextremismus in Ostdeutschland referiert haben.

Immerhin ging es um die Frage, was vor allem die sächsische Regierungspartei CDU falsch gemacht hat und was nun – mit dem Wissen aus der Studie – anders gemacht werden müsste. Die Diskussion geht dabei etwas weiter als die Studie, die vor allem der CDU in Sachsen attestiert, dass sie sich vor dem Phänomen Rechtsextremismus immer wieder nur weggeduckt hat, es ignoriert und damit erst die Freiräume zugelassen hat, in denen sich die rechtsradikalen Netze ausbreiten konnten.

Denn Rechtsextremismus zeichnet sich nun einmal dadurch aus, dass er nichts und niemanden respektiert – die Demokratie schon gar nicht, Andersdenkende auch nicht. Und wo er Raum findet, sich auszubreiten, beginnt er sein Umfeld zu tyrannisieren, einzuschüchtern, jenen dumpfen Mulch zu erzeugen, in dem sich kaum noch ein friedlicher Bürger traut zu widersprechen.

Wenn man sich dieser gewollten Entwicklung bewusst ist, dann lässt man das nicht einfach zu und wundert sich dann in gestellter Naivität, dass die jungen klugen Leute in Scharen aus den sächsischen Provinzen fliehen. Dann muss man auch als Regierungspartei mal Courage zeigen.

Das ist meine ganz persönliche Meinung. Dazu stehe ich.

Und ich erinnere an der Stelle an ein Online-Tagebuch, auf das wir hier im Januar hinwiesen. Da wurde Donald Trump als neuer amerikanischer Präsident inauguriert. Und der Leipziger Autor Francis Nenik entschloss sich beim Anblick dieses sichtlich unerhörten Vorgangs, ein Tagebuch zu schreiben, online und so lange, wie Donald Trump Präsident ist. Wobei Nenik  viel zu belesen ist, um tatsächlich ein Tagebuch aus lauter Rat- und Hilflosigkeit zu schreiben.

Im Grunde sind seine Tagebucheinträge schon eher Aphorismen. Wenn Trump fertig ist mit seiner Maloche, kann Nenik sein Tagebuch einfach so, wie es ist, auch als Buch drucken lassen. Und die Leser werden eben nicht nur die nachdenkliche Begleitung einer katastrophalen Präsidentschaft bekommen, sondern auch viel nachdenklich Machendes, denn in einem hat Nenik Recht: Donald Trump ist kein Betriebsunfall. Er ist das logische Resultat einer politischen Entwicklung, die Leuten, die demokratische Werte nicht mehr respektieren, den Weg an die Macht eröffnen.

Oder Nenik mit dem Eintrag vom 17. Mai zitiert: „Man könnte Donald Trump aufgrund dessen, was er sagt und tut, als Witzfigur betrachten, als ein irres Maskottchen der amerikanischen Demokratie, aber das ist er nicht, im Gegenteil, er ist ihr ureigenstes Abbild, ihr reinstes Produkt – der auf die Washingtoner Erde gekommene Sohn der Gründerväter.“

Wir müssen uns – mit Jason Brennan – wirklich Gedanken darüber machen, wie wir künftig verhindern wollen, dass derart rücksichtslose Männer derart viel Macht bekommen.

Brennan hat die vorherrschende Unwissenheit der meisten Wähler als durchaus ernst zu nehmendes Problem ausgemacht.

Das eigentlich kein Problem ist, wenn die Korrektive noch wirksam sind – zum Beispiel große, wirklich demokratisch gesinnte Parteien, die sich bei der Kandidatenkür richtig Mühe geben, kompetente und kooperative SpitzenkandidatInnen aufzustellen und dann, wenn es zum Wahlkampf kommt, auch machbare, kluge und zukunftsfähige Pläne haben, die sie bei einem Wahlsieg umsetzen wollen.

„Wenn eigentlich politisch eher links eingestellte Bürger, sich mehr und mehr zum konservativen Lager hingezogen fühlen, dann hat das wohl nicht nur im Versagen der konservativen Regierungspartei seine Gründe sondern mindestens ebenso im Versagen der Opposition“, schreibt Leserin „Bovary“ in ihrem Kommentar.

Was bestimmt einige linke Politiker wieder zutiefst beleidigt. Aber wer genau hinschaut, sieht, dass es an den machbaren, klugen und zukunftsfähigen Programmen der Linken fehlt. Auch beim Heiligen Martin, der jetzt seit einem halben Jahr an kleinen Reförmchen herumschustert und den Leuten einreden will, das habe was mit Gerechtigkeit zu tun.

Armer Martin.

Aber wer dem Volke und dem Volker keine wirklich greifbaren großen Projekte anbieten kann, der hat keine Chance. Eine Kandidatin, die das Kleinklein liebt, haben wir ja schon.

Gefährlicher wird’s, wenn wir an den Tag denken, an dem die eine und einzige Bundeskanzlerin nicht mehr antritt. Was dann?

Dann wird nämlich der desolate Zustand der Linken erst richtig sichtbar. Dann fehlt dort das konsistente und verständliche Programm, wie sie die Veränderungen der Gesellschaft und der Wirtschaft und der Welt auffangen wollen, so, dass es alle Wähler verstehen, alle sich gemeint fühlen und das Ganze auch ein bisschen für Euphorie sorgt. Aber das Problem ist – Albrecht von Lucke hat das ja schön analysiert – dass es auch in den großen linken Parteien fast nur noch um Pöstchen und Karrieren geht oder gleich mal die Planung für den Sprung auf einen Aufsichtsratssessel. Da fehlt die Seele. Und es geht – wie bei allen Anderen – vor allem um Macht.

Und da stolpert man dann natürlich wieder über das Zitat, das Francis Nenik seinem Tagebuch vorangestellt hat: „Und nun ist die Macht an sich böse, gleichviel wer sie ausübe. Sie ist kein Beharren, sondern eine Gier und eo ipso unerfüllbar, daher in sich unglücklich und muss also andere unglücklich machen.“ Was er so in den „Weltgeschichtlichen Betrachtungen“ von Jacob Burckhardt gefunden hat.

Donald Trump macht nur vor aller Welt sichtbar, was das ist. Und wie leicht es einem Mann fällt, der auf Andere keine Rücksicht nimmt und nur seinen Drang zur Macht auslebt. Dagegen war Bill Clinton ein Waisenknabe, auch wenn ihm Joe Klein mit dem Enthüllungsroman „Mit aller Macht“ so richtig Feuer machte. Im Original hieß der Roman „Primary Colours“. Der amerikanische Wahlkampf honoriert Kandidaten, die wirklich „mit aller Macht“ ins Amt wollen. Und wie wir in einigen europäischen Ländern sehen, werden auch hier Personen von einer Wählermehrheit honoriert, die „keine Rücksicht auf Verluste“ nehmen.

Jason Brennan hat die Wähler-Seite beleuchtet.

Aber wer beleuchtet die Kandidatenseite? Und die Ergebnisse einer politischen Welt, die rücksichtslose Streber nach Macht begünstigt und vor allem auch noch den Platz im Scheinwerferlicht verschafft, wo sie ihre Eitelkeit ausleben können? Und nicht einmal in Zweifel geraten, weil sie so von sich überzeugt sind, dass jede Kritik an ihnen abprallt. Was passiert mit den Parteien, wenn die Spitzenpositionen nur noch mit solchen Typen besetzt sind?

Nichts Gutes, fürchte ich.

Die „Nachdenken …“-Serie zu Nachlesen.

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Oh, ha. Einmal ein Beitrag auf der L-IZ, der zumindest einräumt, dass das von der Opposition auch nicht so das Wahre vom gelben Ei ist.

Die verlinkte Buchrezension von Albrecht von Lucke habe ich mit Interesse gelesen. Sie war mir bisher untergegangen. Dann kann das, was ich denke, doch nicht so falsch sein, wenn darüber dicke Bücher verfasst werden.

Und weil die Sprache auf Trump kommt: Wer sich vor der US-Wahl mit Amerikanern unterhalten hat, bekam immer wieder zu hören: Hillary sei möglicherweise das geringere Übel. Und genau das ist kein amerikanisches Problem: Die Entscheidung für das geringere Übel. Der Grat zwischen dem geringeren Übel zu “mal sehen, wie die anderen das machen” ist dabei wohl gefährlich klein.

Die eigentliche Mitte, die ja immer noch den größten Teil der Bevölkerung ausmachen sollte, findet sich nirgends mehr wieder.

Fangen wir mal mit Grün an: Ok, Autofahren ist ein Übel, der Bürger so doof wie er schon immer war, will das nicht einsehen. Ebensowenig will er akzeptieren, dass die Landschaft, in der er lebt, mit Wind- und Solarparks zuzupflastern ist oder das die Beschaffung seiner Nahrung (die überhaupt erst die evolutionäre Entwicklung zum heutigen Menschen ermöglicht hat) Tiermord ist. So fundamental konnte man ankommen, als Joschka noch Turnschuhe trug. Aber doch bitte nicht mehr, wenn man als ernsthafte politische Kraft wahrgenommen werden will. Natürlich kann man Winfried Kretschmann vorwerfen, er sei gar kein richtiger Grüner mehr. Und ja, auch ich bin der Meinung, Politik muss nicht beim Volk beliebt sein, sie muss für das Volk gut sein. Aber es sollte doch am Ende des Tages beurteilt werden, wie man grüne Inhalte mehrheitsfähig voranbringt? Also nicht nur bei den Idealisten und “Spinnern”, die man eh auf seiner Seite hat.

Die SPD. Was war doch gleich für eine Partei? Seit dem unseeligen Wirken Gerhard Schröders ist diese Partei für mich in der Wahrnehmung nicht mehr existent. Jetzt kommt der Martin Schulz, ohne höheren Bildungsabschluss und trockener Alkoholiker. (Ja, ich weiss, das ist jetzt furchtbar fies. Es gibt Leute, die sind so spießig und können so etwas nicht verzeihen. Zumindest nicht jemanden, der sich um das Amt eines Staatsoberhauptes bewirbt.) Herr Schulz ist (auch) ein Machtmensch. Er steht mit für alle Fehlentwicklungen einer an sich mal gut gedachten EU. Er will die EU “einen”. Aber wohl nach deutschem Gusto und nicht im Sinne einer echten Gleichberechtigung aller Interessen der 28 EU-Mitgliedsstaaten. Man muss kein Hellseher sein, um zu erahnen, wohin er Deutschland damit manövrieren wird. Für den deutschen Wahlkampf beherrscht er die populistische Klaviatur, wie andere auch. Er kann doch nicht wirklich glauben, dass ihm das jemand abnimmt?

Die FDP, Herr Lindner. Schwiegermuttis Liebling. Herr Lindner, auch wenn Sie das alles so schön verpacken. Es gibt trotzdem Leute, die lesen Ihr Wahlprogramm vollständig. Und die haben dann eine Vorstellung von dem, was Sie sich vorstellen. Aber, eines will ich Ihnen zugute halten: Sie fischen erfolgreich im Gewässer der AfD.

Das große Dilemma: CDU. Warum macht Angela Merkel den gleichen großen Fehler wie ihr politischer Ziehvater? Sie ist viel zu klug, um nicht zu wissen, dass sie eine 4. Amtszeit nicht überstehen wird. Und, in diesem Punkt ist den Kritikern des fehlenden Demokratieverständnisses zuzustimmen: Durch dieses Beharren, dieses Auslöffeln der Suppe, schafft sie den Freiraum nach rechts. Und nein, das ist kein alleinig sächsisches Phänomen. Wer Augen und Ohren auch mal außerhalb der eigenen Blase im Rest der Republik aufsperrt, der wird auch hören: Die Ossis, die sind noch nicht so fett gefressen, die trauen sich noch zu sagen, was längst gesagt werden musste. Gleichzeitig ist man natürlich froh, dass Sachsen in diesem unrühmlichen Punkt als Spitzenreiter dasteht.

Zur LINKEN ist in Eurem Beitrag über das Buch von Albrecht von Lucke ausreichend referiert. Dem will ich nur einige Gedanken hinzufügen: Gysi, hat schon immer messerscharf analysiert, was hier alles schief läuft. Und eigentlich auch recht behalten. Er ist für mich damit aber eher Wissenschaftler und nicht Politiker.
Oskar Lafontaine war damals der einzige, der gegen die Vision “blühende Landschaften”, sofortige Währungsumstellung in der DDR usw. anredete. Wie wir alle wissen, erfolglos. Da fatalen Folgen der Kohlschen Variante von “wir schaffen das” für die ostdeutsche Wirtschaft haben sich auf den Fuß eingestellt…
Aber solange die LINKE nicht bereit und willens ist, tragfähige Angebote zu unterbreiten…es reicht eben nicht, die Fehler zu benennen.

Also, ich weiss nicht wie es anderen geht.
Aber mir graut vor dem September und der Frage, was nun das geringere Übel ist.
Das Beste worauf man wohl hoffen darf, ist, wie bildlich richtig dargestellt, wahrscheinlich: Es könnte schlimmer sein.

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