Die historische Disputation zwischen Dr. Johann Maier aus Eck und Dr. Martin Luther im Sommer 1519 im Markgräflichen Schloss zu Leipzig war das Vorbild für die 2009 gestartete Reihe der Leipziger Disputationen in der Thomaskirche. Und die nächste wird mitten hineinfallen in den "Kirchentag auf dem Weg". Am Freitag, 26. Mai, um 20 Uhr, geht es in der Thomaskirche um die "Kirche der Zukunft". Und nicht nur um die.

Oder in der Langfassung: “Kirche der Zukunft – Moralagentur oder Bekenntnisgemeinschaft?” Denn es soll ja disputiert werden, vielleicht auch ein bisschen diskutiert. Es geht ja bei diesen Disputationen nicht um Eiapopeia, sondern um die (strittigen) Themen unserer Zeit. Worum es ja 1519 auch ging – was man so gern vergisst. Der Professor aus Wittenberg wollte wirklich klären, wie das mit Sünde, Ablass und Gnade ist. Dabei traf er auf einen harten Knochen mit diesem Maier aus Eck, der vor allem eins verinnerlicht hatte: Päpste und Konzile kritisiert man nicht. Wer das wagt, ist reif für den Scheiterhaufen.

Womit für Luther der eigentliche Ärger erst anfing. Aber sein Anliegen wirkt bis heute. Und auch unsere Zeit kennt diese Themen, die uns bewegen – die aber immer wieder abmoderiert und weggebügelt werden. Kommunikation ist eine schwere Kunst. Aber wenn man sie klug organisiert und vor allem auch zwei Sprecher findet, die eine echte Haltung haben und diese auch begründen können, dann kann es spannend werden.

Wurde es bei den zurückliegenden Disputationen auch immer wieder. Manchmal etwas lang, weil die eingeladenen Disputanten jeder zehn Thesen aufstellen durften … das sprengte so manchen Abend in der Thomaskirche. Man bekam so eine Ahnung, warum über Luthers 95 Thesen im Schloss zu Leipzig sogar fast drei Wochen disputiert wurde. Mit bekanntem Ergebnis.

Deswegen entschloss sich die einladende Gruppe der Leipziger Disputation, zu der die Gemeinde St. Thomas, die Stadt Leipzig und die Universität gehören, die Zahl der Thesen auf fünf zu reduzieren und diese den eingeladenen Rednern zukommen zu lassen – quasi als Zündstoff für ihre Gedanken.

Ursprünglich hatte man ein anderes brennendes Thema auf die Tagesordnung setzen wollen: Europa. Immerhin zerreißt es derzeit ja augenscheinlich auch den Kontinent. Angefragt war Zoltán Balog, der ungarische Minister für Humanressourcen, immerhin calvinistischer Pastor von der Herkunft her. Der hätte ja eigentlich was erzählen können zur ethischen Haltung zu Europa im Allgemeinen und Flüchtlingen im Speziellen. Aber der Minister sagte genauso ab wie Erhard Eppler, der streitlustige Sozialdemokrat. Aber der sagte aus Altersgründen ab. Mit 90 ist man nicht mehr ganz so fit für die geistigen Auseinandersetzungen in der Öffentlichkeit.

Aber das Thema, das sich gerade im Rahmen des Reformationsjubiläums und des “Kirchentags auf den Weg” aufdrängte, ist genauso aktuell. Der Streit findet bislang eher hinter den Kulissen statt: Einerseits gibt es die (auch von Wissenschaftlern) geäußerten Vorwürfe an die Kirche, sie sei zu einer reinen moralischen Anstalt geworden, die sich kaum noch mit den “richtigen” Problemen der Zeit auseinandersetze. Zum anderen gibt es die Vorwürfe gerade an die universitäre Theologie, sie habe sich zur reinen Wissenschaft entwickelt und gäbe den Kirchen keine Hilfe, wenn es um profunde Antworten auf die spirituellen Fragen der Zeit gehe.

Erstklassige Protagonisten für das Thema hat man gefunden: Dr. Thiess Gundlach, Vizepräsident des Kirchenamts der EKD, der schon mal bei den evangelischen Theologen den “Ausfall perspektivischer Theologie” ausmacht, und Prof. Ulrich H. J. Körtner, Ordinarius für Systematische Theologie an der Uni Wien, der schon einmal diagnostiziert: “Verbreitet ist die These, das Christentum sei in der Moderne in sein ethisches Zeitalter eingetraten.”

Was natürlich Pfarrerinnen und Pfarrer zu der Frage bringt: Welche Rolle spielt Kirche dann eigentlich noch in der Welt? Oder kann sie spielen? Löst sie sich einfach in der Welt auf? Oder wird sie tatsächlich etwas anderes als nur eine Gruppe von Gläubigen?

Immerhin steht ja der “Rest” der Gesellschaft auch nicht viel glücklicher da mit den Sorgen der Zeit, leiden Menschen unter Einsamkeit, fühlen sich wurzellos oder überfordert, stecken in einem wilden Potpourrie der “Heilsangebote”, die aber meist nicht mehr sind als Konsumartikel einer vom Kaufrausch besessenen Welt. Aber Glück kann man sich nicht kaufen. Liebe auch nicht. Es fehlt ganz sichtlich ein Ort, an dem sich die heutigen Gesellschaften über das verständigen können, was wirklich wichtig ist. Aber braucht es dazu noch Bibel und Glaube?

Eine spannende Frage, gerade wenn (wie in These 3) Bezug genommen wird auf die heillosen Debatten in Politik und Medien, wo Moral und Emotionen durcheinandergewirbelt, oft genug aber auch missbraucht werden. Statt vernünftiger Argumente und sachdienlicher Lösungen werden Moralkeulen bemüht und emotionale Erregungsspiralen initiiert, die dann eine oft genug inhumane Politik (wie in Ungarn gegen die dort gestrandeten Flüchtlinge) begründen helfen.

Irgendwie fehlt auch den politischen Akteuren der Maßstab, jenes Eichmaß an Menschlichkeit, das eigentlich mal die Grundlage der europäischen Demokratie werden sollte. Braucht es also (wie Heinrich Bedford-Strom formulierte) so etwas wie “radikale Christusliebe” gleich “radikale Liebe zur Welt”?

Schwierige Frage, nicht nur im kirchlichen Raum. Denn das war ja Luthers Stolperstein: Wie findet einer sich selbst in dieser (als heillos empfundenen) Welt und fühlt sich (in Gnade) aufgenommen und geliebt?

Ist das, was derzeit die politische Landschaft des Westens zereißt, nicht genau da zu verorten? In einem zunehmenden Gefühl der Heillosigkeit, das sich in Aggressionen gegen Andere, gegen Eliten und Minderheiten verkehrt?

Und: Braucht es da nicht einen anderen gesellschaftlichen Diskurs? Einen ohne Aggression und Moralkeulen?

Kann es sein, dass Gemeinden mehr sein müssen als religiöse Gemeinschaften?

Wahrscheinlich wird es am 26. Mai keine fertigen Antworten geben, aber bestimmt eine Menge Denkanregungen – für Teilnehmer des “Kirchentags auf dem Weg” genauso wie für alle anderen verirrten Schäfchen.

Leipzigs Kulturbürgermeisterin Skadi Jennicke, Thomaspfarrerin Britta Taddiken und Uni-Rektorin Dr. Beate Schücking haben am Donnerstag, 11. Mai, die Thesen für die Leipziger Dsputation wieder an die Tür der Thomaskirche geschlagen – oder besser: geheftet. Das mit dem riesigen Nagel ist immer nur Show und soll ja an den Lutherschen Thesenanschlag in Wittenberg am 31. Oktober 1517 erinnern. Jeder, der neugierig ist, kann sich also über das diesjährige Thema und den Inhalt der Thesen vorab informieren und gespannt sein, was Thies Gundlach und Ulrich Körtner am 26. Mai ab 20 Uhr in der Thomaskirche dazu zu sagen haben. Moderiert wird die Disputation von FAZ-Redakteurin Dr. Heike Schmoll.

Die Thesen für die Leipziger Disputation 2017.

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