Auch der StuRa der Uni Leipzig hat den gestrigen „March for Science“ unterstützt. „Meinungsfreiheit, rationale Fakten und freie Forschungen werden in einer Zeit, in der zunehmend mehr Menschen ‚alternativen Fakten‘ und gefühlten Wahrheiten vertrauen, immer wichtiger und sind für ein harmonisches Miteinander essentiell“, meinte Matthias Albers, Referent für Hochschulpolitik.
Der fehlerhafte Umgang mit wissenschaftlichen Fakten sei ein Problem, von dem verschiedenste politische und gesellschaftliche Akteure auch hierzulande betroffen seien.
„Es nützt beim Stichwort postfaktische Politik allerdings nichts, mit dem Finger ausschließlich auf die bekannten Extrembeispiele im Ausland zu verweisen. Auch in Deutschland begegnen uns im öffentlichen Diskurs immer wieder Beschönigungen und Verzerrungen wissenschaftlicher Erkenntnisse“, erklärte Paul Georgi, Referent für Hochschulpolitik des StuRa. „Der ‚March of Science‘ ist nicht bloß eine singuläre Aktion, sondern sollte vielmehr als Anstoß für eine gesamtgesellschaftliche Debatte dienen, in der wir sachlich darüber diskutieren, welche Ziele und welche Aufgaben die Wissenschafts- und Hochschullandschaft im 21. Jahrhundert hat und haben kann. Es ist erfreulich, dass dafür alle Statusgruppen auf die Straße gehen wollen.“
Tatsächlich behandeln wir Politik immer noch so, als könne man einfach mal so aus dem Bauch bestimmen, wohin es geht. Oder ob die Probleme mancher Leute eigentlich wichtig sind. Oder zu vernachlässigen.
Wir überlassen die Steuerung unserer ureigensten Geschicke Leuten, die sogar damit prahlen, von Fakten und wissenschaftlichen Forschungen nichts zu halten, die mit Statistik nicht umgehen können und glauben, es gäbe zu jeder Meinung nun einmal eine gerechtfertigte Gegenmeinung. Welche man dann bevorzugt, sei egal.
Aber es ist nicht egal.
Denn die Zeche zahlen wir alle.
Es ist unsere Irrationalität, die die Welt in Brand setzt. Die Menschen Macht gibt, die nicht einmal in der Lage sind, die Folgen ihres Tuns zu begreifen. Natürlich sind Wahlkämpfe heute hochemotionalisiert. Kandidaten werden nach ihrer Wirkung auf der Mattscheibe gekürt, nicht nach ihrer Fähigkeit, komplexe Probleme analysieren und halbwegs gescheite Lösungen dafür finden zu können. Oder haben sie jemals einem Test beigewohnt, bei dem politische Kandidaten zeigen mussten, ob sie überhaupt begreifen, was von ihnen verlangt wird?
Oder ob sie den Zuschauern erklären können, woraus ein Problem besteht und welche möglichen Lösungsansätze es gibt?
Haben Sie irgendwann in den vergangenen Jahren über echte politische Lösungsvorschläge abstimmen dürfen, bei denen Ihnen erklärt wurde, was die einzelnen Lösungsvorschläge bewirken? Mal zu schweigen davon, dass es jemals mehr als zwei waren. Wir kaufen die Katze immer im Sack. Nicht unbedingt, weil wir die Parteien, ihre Programme und Kandidaten nicht kennen, sondern weil wir nicht wissen, ob die Auserwählten auch nur das Mindestinstrumentarium zur Problemlösung besitzen. Denn gute Politiker sind gute Problemlöser: Sie finden Lösungen, die für eine ganze Gesellschaft (nicht nur für ihre spezielle Klientel) sinnvoll und tragfähig sind.
Sie vermengen nicht ihre eigenen Vorurteile mit ihren Lösungsvorschlägen und versuchen dann, der Welt etwas anderes einzureden.
Klar. Normalerweise wäre das dann unsere Aufgabe, die der Medien, zu analysieren, ob Lösungsvorschlag und Problem zueinander passen und Sinn machen.
Nur: Welche Chance haben wir, wenn wir nur von 12 Prozent der Wahlberechtigten überhaupt wahrgenommen werden und die überwiegende Mehrheit Medien konsumiert, in denen sie von rationalem Denken systematisch ferngehalten werden? Und auch noch dankbar sind, dass ihnen niemand Denken, Mitdenken und Nachdenken zumutet? Weil sie glauben, das sei schon so in Ordnung, weil das ja irgendwelche „Experten“ für sie machen, vielleicht auch ein paar Wissenschaftler, die vielleicht nicht gerade in befristeten Aushilfsjobs stecken oder in langwierigen Antragsverfahren, in denen sie ungebildeten Politikern oder Bürokraten erklären müssen, was sie jetzt eigentlich erforschen wollen?
Die Wissenschaft ist zur Magd der Politik geworden. Und immer mehr Geld fließt in Forschungsprojekte, die vor allem ein Themenfeld tunlichst meiden: die Funktionsweise einer Gesellschaft und unserer heutigen Politik.
Deswegen wissen wir im Allgemeinen wenig darüber, wie in unserem Land politische Entscheidungen fallen. Oder warum Gelder gegeben werden oder entzogen. Warum ausgerechnet bei Schulen und Hochschulen gespart wird, obwohl dieselben Politiker, die solche Sparrunden verfügen, beim nächsten Mal davon reden, dass Bildung doch eigentlich der beste Weg ist, Menschen aus ihrer Benachteiligung (sprich: Unmündigkeit) herauszuholen. Warum tun sie dann das Gegenteil dessen, was sie für notwendig behaupten?
Was natürlich einen Verdacht nährt, den wahrscheinlich fast jeder aus seiner Schulzeit bestätigen kann: Unser Bildungssystem befördert wissenschaftliches und rationales Denken nicht. Es bildet keine „Vulkanier“ aus, wie es Jason Brennan nennen würde. Nicht einmal Menschen, die zumindest gelernt haben, wie kritisches Denken und Problemlösung funktionieren. Die meisten lernen nur Anpassung, das Abarbeiten von „Wissenstests“ und Baustein-Abfragen. Sie lernen nicht rational zu denken, sondern, wie man sich am effektivsten von einem Test zum nächsten hangelt. Unsere Lehrpläne sind vollgestopft mit Wissensballast, der völlig nutzlos ist, weil er sich nirgendwo in ein systematisches Denkmodell einfügt. Alles ist gleichwertig, beliebig und gleichermaßen unwichtig. Morgen schon vergessen.
Und alle diese Menschen, die sich mit Effizienz durch unser Bildungssystem gemogelt haben (die Dozenten an den Universitäten können ein Lied davon singen), bereichern dann unsere Gesellschaft, werden sogar Doktor und Politiker – und brillieren dann mit einer Unfähigkeit zum systematischen Denken, die geradezu erschreckt. Diesen Typen würde man nicht mal das Unkrautjäten im eigenen Garten anvertrauen, weil sie sichtlich nichts wissen und auch sichtlich vor langer, langer Zeit aufgehört haben zu lernen: Sie haben in frühen Jahren einfach aufgehört, ihr Wissen zu mehren und im Nachfragen und Nachprüfen immer wieder ein bisschen einsichtiger und vernünftiger zu werden.
Die kommen natürlich gut an bei Leuten, die ihre Schulzeit nie dazu genutzt haben, „aus ihrer selbstverschuldeten Unmündigkeit“ (Kant) herauszutreten und sich von den Meinungen anderer Leute und deren Bevormundung zu befreien.
Wir haben sichtlich auch eine Politik, die ihre Wähler ganz offensichtlich wie Unmündige behandelt.
Da stimme ich Jason Brennan zu: Das haben wir nicht verdient.
Und wir haben es auch nicht verdient, dass eine unmündige Mehrheit immer wieder Schaden anrichtet, indem sie zum systematischen Denken unfähige Politiker wählt. Darunter leidet unser Land. Deswegen geht so Vieles nicht voran.
Und auch, weil die anstehenden Probleme nicht einmal begriffen werden. Wer Probleme nicht begreift, sieht keinen Handlungsdruck. Und vor allem: Der fühlt sich auch nicht bemüßigt, nach Lösungen zu suchen.
Das Ergebnis ist: Die Probleme werden vertagt bis zu dem Zeitpunkt, an dem auch der letzte Dummkopf schmerzhaft am eigenen Leib erlebt, dass da etwas falsch gelaufen ist. Aber dann wird es in der Regel teuer. Richtig teuer. Niemand hat vorgesorgt. Niemand hat Reserven eingeplant (im Gegenteil: Die neoliberalen Effizienz-Fetischisten haben die letzten Reserven schon lange eingespart … zum Beispiel in Sachsen). Und dann ist Holland in Not, fängt irgendwer an, nach einem Erlöser zu rufen. Oder nach einem großen Ausmister. Irgendwo wird doch noch ein gewaltiger Herkules herumlaufen.
Und dabei war das alles absehbar. Und wir hätten rational, überlegt und nachhaltig handeln können.
Nur mal so als Sonntagsgedanke.
Was die Sache nicht einfacher macht: Denn wie erreicht man eine andere, rationalere Politik, wenn die Mehrheit der Wähler für rationale Problemlösungen gar nicht empfänglich ist, dafür für medial gut inszenierte Irrationalitäten immer?
Das lass ich hier einfach mal stehen.
Sie haben ja selbst Phantasie und können sich ausmalen, was das bedeutet.
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