„Komm erst einmal runter!“, dachte ich so bei mir, als ich gestern Abend verabschiedet von einem traumhaften Sonnenuntergangslicht in Rom ins Flugzeug nach Berlin stieg: „Komm erst mal runter und ärgere dich dann über das Wetter!“ Und so geschah es. Ich und der, mit dem ich vor einigen Jahren nicht runter, aber niedergekommen war, begannen umgehend erbärmlich zu frieren und zu schlottern. Und verschoben die für heute noch vorgesehene Tour der Hauptstadt um ein paar Wochen.
Es mag waschlappnös klingen, aber es ist und bleibt nun mal großer Mist, nach ein paar Tagen des „Sich-den-Frühling-Stehlen“ in der himmelblau überdachten ewigen Stadt auf dem verregneten Kudamm aufzuwachen. Bei ambitionierten sieben Grad. Immerhin plus. So etwa muss das Gefühl sein, wenn man eben noch mit Monica Belucci im Zypressenschatten zu Abend gegessen hat und sich nun mit Beatrix von Storch bei Subway zum Frühstück wiederfindet.
Schade. Dabei hätte es heute so jut jepasst, der Besichtigung von den zig bezaubernden römischen Palazzi in gefälliger Terrakotta-Optik, noch die eines einheimischen, weit weniger an Papst-Romane oder Fellini-Filme erinnernden Palazzos draufzusetzen. So als Kontrastprogramm.
Heute ganz besonders: An einem 23. April nämlich – im Jahr 1976 – ist Erichs Lampenladen, z. T. auch bekannt als Palast der Republik, nach 32-monatiger Bauzeit eingeweiht worden.
Es war sicher sehr feierlich damals. Verordnet feierlich. Eine Art Konglomerat aus Volkskammer-Behausung und überdimensioniertem Kulturhaus. Die Idee ist zumindest, wenn man sie mal losgelöst von allem betrachtet, ja sooo schlecht nicht. Aber dasselbe gilt ja auch für solche Späße wie den Sozialismus.
Jeder Ossi – und manch unterschiedlich ambitionierter Wessi womöglich auch – hat wohl so seine Erinnerungen an diverse Berlin-Hauptstadt-der-DDR-Besuche und damit auch an die sich so schön farblich changierend spiegelnden Scheiben des supersymbolisch wirkenden Baus. In der Abendsonne war es oft mal wieder besonders hübsch. Unter uns: Bei aller miefigen Teppichbodenhaftigkeit und Illuminierungsprosperität im Inneren des „Palastes“, man betrat ihn als Kind doch mit einer gewissen andächtigen Erwartung. Aber das habe ich auch in den Grandhotels tschechischer Kleinstädte getan, die ihre besten Zeiten in der k.-u.k-Monarchie gesehen hatten, als die Kellner immer noch mit Handkuss an den Damen herumagierten. Handküsse gab es im Palast der Republik weniger, richtige schon eher.
Später aber kamen Zweifel auf. Man räumte also Dagobert Ducks Keller aus, nahm eine Tonne Münzen in die Hand und begann mit etwas, was das schöne Wort „Rückbau“ wohl am besten umschmeichelt.
Mir gefiel die Zwischenvariante der Nutzung um 2005 herum: So einen verqueren Ort des Zweifelns, des Ein-bisschen-Sinnierens über den Verlust einer vielleicht seltsamen Utopie – der hat doch durchaus Existenzberechtigung zwischen all den Verrücktheiten des modernen Daseins, oder?
Ein riesiger Ort des Verweilens, der mal nicht mit Kommerz und dessen überall zusammengeklaubten Sinnsprüchen aufgeladen ist, aber auch kein Museum oder keine Kirche. Kein Raum der Stille. Kein Esoteriktempel. Keine Ruine. Asbest hin, Asbest her. Asbest hätte vielleicht ja ganz gut zu all dem gepasst, was man uns so seit Jahren ins Essen schüttet.
Vielleicht brauchen wir aber so etwas wirklich nicht mehr. Erinnerungen lassen sich offensichtlich ganz schwer konservieren, wie man am politischen Geschehen in Europa gerade (as)bestens ablesen kann.
Weil ohnehin alles längst in einem ganz anderen Licht erstrahlt.
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