Falsches Denken fรผhrt zu falschen Ergebnissen. Zu falscher Politik sowieso. Am Sonntag, 4. Mรคrz, kam ja auch mal โ€žSpiegel Onlineโ€œ auf den Trichter: โ€žWarum Populismus nicht die Ursache istโ€œ war ein Essay benannt, den Politikwissenschaftler Dr. Johannes Thumfart beigesteuert hat. Und dann kramt er selbst noch eine falsche Ursache hervor.

Der Mann tummelt sich in einer ganzen Medienlandschaft. Mal schreibt er fรผr die โ€žtazโ€œ, mal fรผr die โ€žZeitโ€œ, jetzt fรผr โ€žSpiegelโ€œ. Entweder sind seine Haltungen beliebig โ€“ oder seine Texte sind es. Oder er ist so wenig konkret, dass es egal ist, wo er seine Texte unterbringt. Tut ja nicht weh, wenn man immer mal wieder andere Thesen aufstellt. Allein in der โ€žZeitโ€œ wimmelt es von allerlei Essays und Interviews von ihm, in denen er versucht, die jeweils neuesten Spinnereien amerikanischer Politik-Theoretiker irgendwie รผber den Teich zu transportieren. Und es geht dort fast immer um Elite.

Das ist ein ganz spezieller Fokus. Und wenn in Amerika รผber Politik philosophiert wird, dann geht es fast immer um (politische) Eliten.

Was oft genug zu schwachsinnigen Ergebnissen fรผhrt, nรคmlich genau dem, was ein Donald Trump meint, wenn er von Eliten redet, sich selbst und seine Brรผder im Geiste aber nicht meint. Das vertiefen wir jetzt nicht, weil das wirklich in eine Welt der Spiegel, der Fata Morganas und Lรผgen fรผhrt. Auch die ganze Rederei รผber Fake News hat hier ihre Ursachen. Denn die Art Wahlkampf, wie sie die USA mittlerweile haben, operiert geradezu mit Lรผgenwelten. Fake News sind Teil der Kampagne, nichts auรŸerhalb davon. Deswegen ist auch das deutsche Lamento รผber Fake News so vรถllig daneben, erst recht, wenn der รผberbezahlte Intendant eines deutschen Regionalsenders danach ruft, Fake News sollten mit drakonischen BuรŸen belegt werden, so wie es im neuen โ€žSpiegelโ€œ Ulrich Wilhelm tut, Intendant des Bayerischen Rundfunks. Einer von den รผberbezahlten Rundfunkverwaltern, die nicht bereit sind, ihre Gehรคlter offenzulegen.

Wรผrden diese ganzen blubberbunten deutschen Sender selbst eine ordentliche Arbeit machen in der journalistischen Berichterstattung, wir wรผrden รผber Fake News gar nicht reden.

Aber sie tun es nicht.

Deswegen kann man solche Leute schlicht nicht ernst nehmen.

Und Dr. Johannes Thumfart?

Sein Versuch, die Ursachen fรผr den โ€žNiedergang der Demokratieโ€œ zu ergrรผnden, gipfelt in der Passage: โ€žAutokratie scheint die logische Folgerung aus der neoliberalen Ideologie zu sein, unter deren Joch die Bevรถlkerung sowieso leben muss โ€“ das wussten schon die Pinochet umgarnenden Chicago Boys. Wer am liebsten alles dem privaten Eigeninteresse รผberantwortet und der รถffentlichen Hand nicht traut, fรผr den scheint es geradezu notwendig, den Staat als letzte Konsequenz der neoliberalen Privatisierungsagenda in das Eigentum eines Einzelnen zu verwandeln. Nur so kรถnnte, der neoliberalen Logik zufolge, ein effizientes Management des Staats erreicht werden. Und Effizienzprobleme stecken, wie auch Diamond schreibt, tatsรคchlich in der DNS von Demokratien. Ihre Konsensfindungsprozesse sind prinzipiell trรคge. Zudem produzieren sie eine Politikerkaste, die faktisch eben von der Trรคgheit dieser Prozesse lebt und daher perverse Anreize entwickeln kรถnnte, effiziente Politik zu verhindern.โ€œ

Eigentlich hรคtte da zumindest ein gegenlesender Kollege beim โ€žSpiegelโ€œ aufspringen und entsetzt schreien mรผssen. Herr Diamond, den er hier erwรคhnt, ist der konservative Stanford-Soziologe Larry Diamond. Wobei konservativ heftig untertrieben ist. Der Mann ist ein knallharter Vertreter der neoliberalen Schule, der die radikale neoliberale Denkweise auch konsequent auf den Staat anwendet. โ€žDiamond states that the efficiency of the government is the first problemโ€œ, heiรŸt es dazu in der englischsprachigen Wikipedia.

Aber wie betrachtet nun ausgerechnet ein neoliberaler Politikwissenschaftler das Experiment Chile, das Thumfart erwรคhnt?

Er stellt es auf den Kopf. Was zwangslรคufig eine Lรผge ergibt: Fake News.

Denn Chile war 1973 tatsรคchlich der erste groรŸe Einsatz der Chicago Boys, der Schรผler des groรŸen Meisters der neoliberalen Schule Milton Friedman. Wer wirklich wissen will, was sie dort anstellten und welche Folgen das weltweit hatte, dem sei an dieser Stelle noch einmal Naomi Kleins Buch โ€žDie Schock-Strategieโ€œ empfohlen.

Wer es gelesen  hat, weiรŸ, dass die Zerstรถrung von Demokratie nicht vom Volk ausgeht, auch nicht von Populisten. Sie hat auch nichts mit irgendwelchen Demokratie-Konjunkturen zu tun oder dem โ€žVersagen von Elitenโ€œ. Vรถlliger Quatsch ist Thumfarts Satz: โ€žAndererseits haben beim Verfall demokratischer Freiheit nur die Eliten wirklich was zu verlieren, weshalb sie sich auch zumindest im Westen meist gegen den Populismus stellen.โ€œ

Einen wirklich konkreten Eliten-Begriff hat er augenscheinlich nicht. Und wenn man natรผrlich alle mรถglichen Eliten in eine solche Wortblase packt, erkennt man natรผrlich nichts. Auch nicht, wie sehr die Zerstรถrung von funktionierender Demokratie seit 1973 ein echtes amerikanisches Eliten-Projekt war, regelrecht Handwerkszeug der amerikanischen Politik. Man sieht immer nur die Militรคreinsรคtze, die die deutschen Fernsehsender so freuen, weil sie damit richtig schรถne Bilder mit heroischen Soldaten, gewaltigen Explosionen und herrlichen Aufmarschplรคnen bekommen.

Die wirtschaftlichen Zerstรถrungen lassen sich nicht so gut bebildern.

Bertolt Brechts Mackie Meser 1930: โ€žDenn die einen sind im Dunkeln / Und die andern sind im Licht. / Und man siehet die im Lichte / Die im Dunkeln sieht man nicht.โ€œ

Wobei: Man muss schon ziemlich viele Kartoffeln vor Augen haben, um nicht zu sehen, was die Chicago Boys seit 1990 alles angerichtet haben. Was sie ab 1990 in Osteuropa angerichtet haben, darรผber hat ja Philip Ther 2014 sein preisgekrรถntes Buch โ€žDie neue Ordnung auf dem alten Kontinentโ€œ geschrieben.

Aber wer steckt hinter den Chicago Boys, wenn nicht genau das: eine Wirtschaftselite, die den Eingriff in die Politik anderer Staaten und die Beseitigung von โ€žineffizientenโ€œ Staaten und Regierungen vorantreibt, um sich den Zugriff auf Mรคrkte und Ressourcen zu sichern. So wie in Chile 1973. Nicht das neoliberale Wirtschaftssystem hat sich die Autokratie erschaffen, sondern mit emsiger us-amerikanischer Hilfe wurde erst die Demokratie durch einen Putsch zerstรถrt und mit Pinochet einer der schlimmsten Diktatoren Sรผdamerikas installiert โ€“ und dann wurden die Chicago Boys eingeflogen, um die chilenische Wirtschaft den nordamerikanischen Konzerninteressen gefรผgig zu machen. Das war der Deal. Was nur deshalb so einfach war, weil amerikanische Regierungspolitik schon seit Jahren aufs Engste mit Konzerninteressen verbunden ist. Mal stรคrker, mal etwas gedรคmpfter wie unter Obama.

Was wir heute auch in Europa erleben, ist das Ergebnis dieser globalen Wirtschaftspolitik nach neoliberalem Muster. Systematisch, teilweise regelrecht wissenschaftlich untermauert. Stets nach dem โ€“ dem Kriegswesen entlehnten โ€“ Prinzip von โ€žShock and aweโ€œ. Ein Land wird so lange dereguliert, privatisiert und โ€žliberalisiertโ€œ, bis die jeglicher sozialer Sicherheit und Stabilitรคt beraubte Bevรถlkerung regelrecht froh ist, wenn einer kommt, der mit โ€žeiserner Handโ€œ regiert.

Dass das Modell der europรคischen Demokratien derart unter Beschuss gekommen ist, hat damit zu tun, dass es ausgerechnet westliche Demokratien waren, die sรผdliche und รถstliche Demokratien systematisch zerstรถrt haben. Mal mit einem kleinen militรคrischen Polizeieinsatz, zumeist aber mit Geld โ€“ WHO und IWF waren die entsprechenden Marterinstrumente, mit denen hunderte Staaten in die permanente Abhรคngigkeit ihrer westlichen Glรคubiger geraten sind. Und wie diese Marterinstrumente angewendet werden, konnte man zuletzt am Beispiel Argentinien und an Griechenland gut beobachten.

Dass es nun seit Jahren auch in Europa gรคrt, hat nur bedingt mit der Finanzkrise zu tun, auch wenn dieses Ereignis ziemlich vielen Leuten vor Augen fรผhrte, wie leicht die Reichtรผmer selbst scheinbar stabiler Demokratien geplรผndert werden kรถnnen, wenn die โ€žInvestorenโ€œ an den Bรถrsen ihre Spiele spielen. Und sich Regierungen (wie die Schrรถdersche seinerzeit) weigern, die Finanzmรคrkte zu regulieren.

Dass gleichzeitig Millionen Menschen erlebten, dass sie diese Plรผnderung eigentlich mit einem Dauerstatus in Armut bezahlten, dann ist das die Gรคrmasse, die gerade vor sich hin blubbert. Und die Martin Schulz mit dem Stichwort Gerechtigkeit sehr wohl getroffen hat, auch wenn jetzt wieder alle mรถglichen Vertreter der konservativen Fraktion wettern รผber den โ€“ ojemine โ€“ Populisten Martin Schulz. Was ja nur ein Zeichen dafรผr ist, dass er irgendwie eine wunde Stelle erwischt hat. Dass seine Umfragewerte steigen, widerlegt die These des konservativen Vordenkers Diamond: Nicht die Demokratie steckt in der Krise, sondern das neoliberale Denkmodell.

Trump ist kein Kritiker dieses Modells, sondern sein knallharter Vertreter. Wenn er รผber Eliten schimpft, meint er immer und ausschlieรŸlich die demokratischen Eliten, nicht die wirtschaftlichen. Zu denen gehรถrt er nรคmlich selbst, auch wenn sich die Vertreter des Big Business, wenn es um die konkreten Wege zum groรŸen Reibach geht, spinnefeind sind. Des einen Reibach ist ja nicht unbedingt des anderen Reibach.

Aber eines ist schlicht falsch: Dass es diese Big-Busines-Eliten sind, die sich mit der Demokratie wohlfรผhlen. Das hat Naomi Klein sehr sauber analysiert. Diese Leute verachten die Demokratie und betrachten sie genau so wie Larry Diamond: als Stรถrfaktor fรผr ihre Geschรคfte. Es sind nรคmlich diese ganzen komplizierten โ€žchecks and balancesโ€œ der Demokratie, die sie daran hindern, die Welt zu plรผndern, Kriege zu fรผhren, sich die lebensnotwendigsten Ressourcen anzueignen โ€“ auรŸer da, wo es ihnen (meist in schรถnem Zusammenspiel mit Geheimdiensten, Armee und gut bezahlten Sรถldnern) gelungen ist, gewรคhlte Regierungen zu entmachten und Marionettenregime zu installieren (die oft genug ein sehr unheimliches Eigenleben entfalten).

Und Larry Diamond zeigt, wie man diesen Egoismus auch noch wissenschaftlich verbrรคmen kann, hรผbsch verpacken in betriebswirtschaftliche Begriffe, die dann suggerieren, dass Demokratien einfach ineffiziente und viel zu teure Regierungsformen sind. Ein Denken, das sich leider auch schon tief in deutsche Wirtschaftslehrstรผhle und das Wirtschaftsdenken vieler Parteien hineingefressen hat. Zuletzt eben leider auch bei der SPD, was der neoliberale Vordenker dieser Partei, Gerhard Schrรถder, wohl nie mehr begreifen wird.

Demokratien sind nicht โ€žteurerโ€œ oder ineffizienter als Autokratien. Wer mag, kann sich ja die wirtschaftlichen Bilanzen der heutigen Autokratien anschauen: Sie sind miserabel. Ausnahme China โ€“ aber das ist wirklich ein eigenes Kapitel, das wir hier jetzt nicht abhandeln.

Tatsรคchlich โ€žerwirtschaftenโ€œ Demokratien viel grรถรŸere Renditen โ€“ nur dass die dummerweise nicht in Konzern- und Diktatorenkassen flieรŸen, sondern in Sozialetats, in Bildung, Forschung, Kommunen โ€ฆ Man mag gar nicht erst alles auflisten, weil einem schon das kalte Grausen kommt, wenn man sieht, wie viel davon heute schon auf den Reformlisten der Neoliberalen auftaucht. Und vor allem: Was passieren wird, wenn sie den ganzen Zugriff darauf erhalten โ€ฆ

Schlichtes Fazit: Die sogenannten Populisten sind das Ergebnis und die Fortsetzer neoliberaler Politik. Und es deutet Vieles darauf hin, dass diese im Kern knallharten neoliberalen Parteien von bestimmten Eliten mit viel Geld befรถrdert werden. Die Demokratie geht nicht nieder, wie Thumfart kolportiert. Sie steht nur unter Dauerbeschuss von Leuten, die sie nur allzu gern aus Eigeninteresse abgeschafft sehen wรผrden, die sich auch mit Autokraten und Diktatoren ins Bett legen, wenn sie nur einen dicken Deal dabei rausholen.

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Diese โ€œNachdenken รผberโ€ฆโ€-Serie kรถnnte man auch mal in ein Buch packen. Solche Gedanken hรคtt ich ganz gern im Buchregal.

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