Die Idee ist: nett. Vielleicht sogar witzig, wenn man nicht allzu anspruchsvoll ist. Aber war Johann Sebastian Bach wirklich „eine coole Sau“, einer, der auch mal mit T-Shirt und Sonnenbrille durch die Stadt spaziert wäre oder sich gar ein Luther-Fan-Shirt gekauft hätte? Das Gefühl beim Betrachten des neuen LTM-Plakates sagt einem eher, dass hier irgendetwas nicht stimmen kann.
Das Plakat mit dem sonnenbebrillten Bach zeigt die Leipzig Tourismus und Marketing (LTM) GmbH ab dem heutigen 3. März anlässlich des Reformationsjubiläums in vier deutschen Großstädten.
Damit bewirbt sie die Leipziger Veranstaltungen rund um „Luther in Leipzig“. Bis zum 13. März 2017 wird das Kampagnenmotiv auf rund 140 Plakatsäulen in Berlin, München, Frankfurt am Main und Hannover zu sehen sein. Zusätzlich hängen ab dem 7. März, parallel zur Internationalen Tourismusbörse ITB Berlin, 122 großformatige City-Light-Poster an ausgewählten hochfrequentierten S-Bahnhöfen in Berlin.
Das Kampagnenmotiv stellt jedoch nicht (nur) Martin Luther, sondern einen seiner größten Bewunderer in den Fokus, betont die LTM in ihrer Mitteilung zum Thema: Johann Sebastian Bach.
Die Begründung für diese eigenwillige Motivwahl: „Mit Sonnenbrille und Fan-Shirt sowie dem Slogan ‚Johann S. B. aus L. – bekennender Luther-Fan‘ verdeutlicht das Motiv die starken Einflüsse des Reformators auf den weltberühmten Komponisten und lädt dazu ein, die Spuren beider Männer in Leipzig zu entdecken.“
„Nirgendwo wird die Bedeutung der Reformation für die Kirchenmusik deutlicher als in Leipzig. Bach war bekennender Lutheraner, nutzte zahlreiche Kirchenlieder des Reformators für seine weltbekannten Choräle und Kompositionen. Deswegen stellen zahlreiche Veranstaltungen im Rahmen des Jubiläums die Musik Bachs und die reformatorischen Thesen in den Mittelpunkt“, erklärt Volker Bremer, Geschäftsführer der LTM GmbH, dazu.
Aber „Luther-Fan“?
Ganz bestimmt nicht. Das Plakat stellt eine Beziehung her, die es so zwischen Bach und Luther nicht gab. Man würde beide nicht verstehen, wenn man Bachs Musik so begreift. John Eliot Gardiner bringt es in seinem großen Bach-Buch auf den Punkt, wenn er auf die frühe Begegnung des jungen Bach mit Luther, Luthers Kirchenliedern und Luthers Theologie zu sprechen kommt. Denn die Begegnung fand schon in Eisenach statt und prägte Bachs Musik für immer. Denn diese Begegnung verschränkte von Anfang an Bachs Musik mit der Artikulation seiner Glaubensauffassung. Gardiner: „Eine eingehende Analyse dieser Kantaten macht deutlich, dass Bach Luthers spätmittelalterliche Sichtweise geerbt hat, wonach das Leben ein täglicher Kampf zwischen Gott und dem Satan ist (BWV 4) …“
Und: „Für Luther bestand die Aufgabe der Musik darin, biblischen Texten zusätzliche Anschaulichkeit und Eindrücklichkeit zu verleihen: ‚Die Noten machen den Text lebendig.‘ Worte und Musik, zwei der mächtigsten Gaben Gottes an die Menschheit, müssten zu einer unsichtbaren, unteilbaren Kraft verquickt werden …“
Noch deutlicher wird er, wenn er auf Bachs frühe Vertonung von Luthers „Christ lag in Todesbanden“ zu sprechen kommt, in der Luthers Genie, den Schrecken der einfachen Leute aufzugreifen, sich mit dem feierlichen Ernst von Bachs Vertonung trifft. Von Geistesverwandtschaft spricht Gardiner. Zu Recht.
Und das ist etwas völlig anderes als dieser oberflächliche Fan-Kult von heute, wo man seinen „Star“ aufs T-Shirt drucken lässt und dann einfach möglichst cool dreinschaut, als würde das irgendetwas bedeuten. Eins bedeutet es nicht: tiefe Seelenverwandtschaft. Aber genau das verbindet Bach mit Luther. Und das wird mit diesem rosa Plakat völlig ausgeblendet. „Johann Sebastian Bach und Martin Luther wären wahrscheinlich beste Freunde gewesen“, behauptet es gar noch.
Als hätte diese beiden Männer eine quirlige Facebook-Freundschaft verbinden können.
Aber da fehlt etwas, was für Männer wie Luther und Bach auch und gerade in Freundschaften noch essenziell war: Respekt voreinander. Und Bachs Umgang mit Luthers Texten, Liedern, Zitaten zeigt, wie viel Respekt er vor dem Reformer hatte. Bachs Musik wird erst begreiflich, wenn man die Anknüpfungspunkte bei Luther sieht – seine Verzweiflung im Zustand der Unerlöstheit – und die unbändige Freude im Moment der Befreiung. Und zwar nicht mit dieser Fan-Coolness vom Plakat. So wird Bach sein Leben lang nie gewesen sein. In seiner Musik ist er hochemotional. Gardiner: „Und Bach, dem Geist und Buchstaben von Luthers gewaltigem Kirchenlied treu, tut es ihm gleich und erweist sich so als Mensch von ähnlichem Temperament. Die aufbrausende Art, die Luther den Mut gab, mit Rom zu brechen und eine neue Vision vom Christentum zu entwickeln, lebt im Werk von Bach wieder auf.“
Da käme man eigentlich nie auf die Idee, Bach mit einem T-Shirt abzubilden, auf dem ein Spruch steht, den er niemals unterschrieben hätte: „Luther rules“. Das mag witzig sein, hat aber mit beiden Männern nichts zu tun. Bach hätte nicht Luther auf sein T-Shirt gepackt und auch nicht so einen Spruch. Denn verehrt hat er einen ganz anderen. Die Bachverehrer wissen es eigentlich, er hat es selbst oft genug auf seine Kompositionen geschrieben: „Soli Deo gloria“.
Manchmal wäre es wirklich gut, die Verehrten so zu belassen, wie sie sind, und nicht in kostümierte Zeitgenossen zu verwandeln, die glauben, ein bedrucktes T-Shirt sei schon eine Lebenshaltung.
„Mit der erhöhten Präsenz zur ITB Berlin hoffen wir, viele internationale Gäste für das Thema ‚Luther in Leipzig‘ und für unsere Stadt begeistern zu können“, meint Volker Bremer.
Wenn es denn mal nicht lauter erboste Briefe aus aller Welt hagelt.
Hintergrund:
Mit Blick auf die weltweit führende Reisemesse ITB Berlin, die vom 8. bis 12. März in Berlin stattfindet, setzt die LTM GmbH innerhalb der Kampagne auf eine verstärkte Präsenz in der Hauptstadt. Parallel zu den Ganzsäulen sorgen 122 City-Light-Poster unter anderem in den S-Bahnhöfen Alexanderplatz, Friedrichstraße, Brandenburger Tor, Hackescher Markt und Potsdamer Platz für Aufmerksamkeit bei reiseaffinen Messebesuchern aus aller Welt.
In Leipzig sind im Rahmen des Reformationsjubiläums Hunderte Veranstaltungen geplant, darunter Ausstellungen, Musikfestivals und Diskussionsabende. Den Höhepunkt der Feierlichkeiten markiert der „Kirchentag auf dem Weg“ vom 25. bis 28. Mai in Leipzig.
In eigener Sache: Lokaler Journalismus in Leipzig sucht Unterstützer
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