Frühling hin, Frühling her – man guckt ja doch nebenbei mal in die Zeitung. Hinterher weiß man immer nicht so recht, ob die Welt nicht die gleiche geblieben wäre, hätte man es lieber sein lassen. Aber das Talent zur flächendeckenden Ignoranz des ganzen Zinnobers um einen herum ist ja auch nicht jedem gegeben. Manche Dinge liest man ja auch ganz gern. Das Tageshoroskop zum Beispiel und Meldungen darüber, dass die Leipziger immer zufriedener mit sich und ihrem Leben in dieser Wahnsinns-Halligalli-Stadt seien. Auch weil das Durchschnittsnettoeinkommen sich gar auf ganze 1.254 Euro pro Monat hochgeschraubt habe, war da vor einiger Zeit zu lesen. Geile Sache das.

Der Durchschnittsbürger hat also in Leipzig ganze 400 Euro mehr übrig, damit er nicht an der für exakt 840 Euro festgelegten Armutsgrenze herumtafelt. Außerdem sind wir mit diesem Supernetto-Einkommen schon ungefähr an viertletzter Stelle im Bundeslandvergleich angekommen. Kein Wunder, dass diese Stadt Grund zum Jubeln hat. Ich also gleich mit.

Schlägt man allerdings ein paar Tage später die Zeitung erneut auf, wird einem gleich wieder ganz anders obenrum: JEDEM ZWEITEN BÜRGER DROHT ALTERSARMUT prangt da in großen Lettern. Frau Nahles will sich aber drum kümmern. Der sympathische Martin Schulz jetzt neuerdings auch. Warum nur beruhigt mich das alles nicht so richtig?

Warum?

Weil einen immer öfter fast der Gedanke beschleicht, dass das alles ganz anders aufgezogen mindestens genauso trübe liefe? Für mich wäre es schon ein Mini-Schrittchen in a bright future, wenn sich die Menschen in allen wichtigen gesellschaftlichen Fragen – und ja, damit meine ich auch die Politik – mehr um Konsens bemühen müssten. Die müssten dazu verdonnert werden!

Und es müsste gesellschaftlich geächtet werden, wenn die sich ihren „Schlecht-im-Schwanzvergleich-abgeschnitten-oder-Mir-wurden-immer-die–Schnitten-auf-dem-Schulhof-weggenommen“-Komplex ständig öffentlich um die Ohren hauen. Alle politischen Gegner kontinuierlich öffentlich abzuwerten, mag eine der erprobten Strategien sein, sich schönzureden, dass man als Mann eher wie Heidi statt wie der Geißenpeter wirkt, aber für eine tatsächliche Fortentwicklung der Gesellschaft schmeißt man da eher seine Energie zum Fenster hinaus, oder?

Lösungsfindungen für ein Gesellschaftskonstrukt, das von einem helfenden, unterstützenden Staat vor allem in puncto der Grundgüter wie Wohnen, öffentlicher Verkehr, Bildung, Gesundheitswesen, Wasser und Energie getragen wird, das ist etwas, was sicher nicht wenige ziemlich sexy fänden. Konsensfindung eben anstatt den anderen zu besiegen. Aber das hieße in der Konsequenz eine gewisse Bereitschaft zur inneren Veränderung von so vielen. Es hieße im Klartext: ein anderes Wirtschaftssystem, fairer Handel, weniger Verbrauch von Ressourcen. Niemand hätte die wahnsinnige Idee im Kopf, der Staat oder auch nur eine einzelne andere Person sei dazu auf der Welt, um einen persönlich glücklich zu machen.

Es ist bitter: Aber wir können das wohl nicht einklagen. Wenn man aber ein bisschen damit aufhört, kommt vermutlich auch ein bisschen zu einem zurück.

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