Sie arbeiten dran. Das ist die gute Nachricht aus dem UFO Brüssel. Auch wenn sie sich wirklich schwertun, in der EU-Kommission mit großen Visionen zu arbeiten. Aber das Erschrecken über den Brexit sitzt tief. Wie kann man Europa wieder zu einem Projekt machen, das die Mitgliedsstaaten wirklich als ihres empfinden? Ein „Weißbuch“ und fünf „Reflexionspapiere“ sollen Klarheit schaffen.

Darüber berichtete am Donnerstag, 23. Februar, euractiv.de, „Das führende Medium zur Europapolitik“, wie es sich nennt, was schon stimmt. Hier gibt es regelmäßig Berichte über das, was in Brüssel tatsächlich besprochen wird.

Und dass die falsche Brexit-Geschichte in England funktionieren konnte, hat ja damit zu tun, dass nicht nur die Briten über Sinn, Zweck und Erfolg der EU so gut wie gar nichts wissen. Man kann den meisten Leuten einen Bären aufbinden – und die modernen Informationswelten bestärken das nur. Auch weil die EU auch keine wirklich gute eigene Informationsstrategie hat. Sie erzählt keine eigene Erfolgsgeschichte, obwohl sie einiges zu erzählen hätte.

Aber dass man das versäumt hat, hat man nun auch in der EU-Kommission gemerkt. Man hat in die eigenen Schnellhefter geschaut oder vielleicht auch die Sekretärin gefragt. Und dann saß man wohl da und schaute sich an: „Stimmt. Wir können nicht mal selbst die Story erzählen.“

Also hat man sich entschlossen, die Erzählstränge jetzt erst einmal zu suchen.

Am Dienstag, 21. Februar, führte die EU-Kommission „erstmals offiziell eine Diskussion über die Zukunft Europas.“ Der Beitrag der Kommission „zur Debatte solle in Form eines Weißbuchs vorgelegt werden und zwar ‚noch rechtzeitig zum Gipfel in Rom‘ am 25. März“.

Beim Bratislava-Gipfel im September hatte man sich zur Erstellung dieses Weißbuchs entschlossen. Da war der Schock über den Brexit noch frisch. Das Weißbuch solle „deutlich machen, dass der Gipfel in Rom nicht das Ende, sondern der Anfang einer umfassenden Reflexion über die Zukunft der EU-27 sein wird“.

Es wird nicht beim Weißbuch bleiben. Denn um „erste Schlussfolgerungen über die Zukunft der EU ziehen zu können, will die Institution in diesem Semester fünf ‚Reflexionspapiere‘ vorlegen“, berichtet euractiv.de. Und dann werden erst einmal konkrete Themen genannt, die die aus Sicht der Kommission wichtigsten Gebiete beschreiben:

„Das Erste wird zum 26. April erwartet. Es soll sich mit der sozialen Dimension Europas beschäftigen und einen Vorschlag für die europäische Säule sozialer Rechte umfassen. Das Zweite befasst sich mit der Frage, wie man die Globalisierung bestmöglich nutzen kann, und soll Mitte Mai noch vor den G7- und G20-Treffen vom 26. bis 27. Mai beziehungsweise vom 7. bis 8. Juli erscheinen. Der dritte Beitrag baut auf dem Bericht der fünf Präsidenten über die Vollendung der Wirtschaftskrise- und Währungsunion. Er wird wahrscheinlich Ende Mai vorgelegt werden. Das vierte Papier wird sich Anfang Juni der Zukunft der europäischen Verteidigung widmen. Gegen Ende des Monats folgt dann der letzte Vorschlag über die künftigen EU-Finanzen.“

Man bleibt also erst einmal in den „klassischen“ Themenfeldern, auch wenn deutlich wird, dass eine funktionsfähige europäische Gemeinschaft tatsächlich so etwas braucht wie:

1. eine gemeinsame Sozialpolitik
2. eine gemeinsame Strategie beim Umgang mit der globalisierten Weltwirtschaft
3. na ja, eine Wirtschsaftskrisenunion ist wohl nicht geplant, da war die Autorin des Beitrags wohl etwas zu eilig, aber natürlich ist es Zeit, über die Wirtschafts- und Währungsunion jetzt mal wieder neu nachzudenken
4. eine gemeinsame europäische Verteidigungspolitik, die sich bestenfalls auch deutlich von der irrlichternden Politik der NATO unterscheidet
5. eine besser organisierte Finanzpolitik

Man merkt: Die Kommissionsmitglieder denken nach wie vor in sehr technischen Dimensionen. Und sie drücken sich um bestimmte Themen – wie:

6. die gemeinsame Außenpolitik
7. die gemeinsame Sicherheits- und Migrationspolitik
8. eine abgestimmte Verkehrspolitik
9. eine zukunftsfähige Klima- und Umweltpolitik
10. eine gemeinsame Energiepolitik

Um nur ein paar Felder zu nennen, bei denen immer wieder nationales Kleinklein dominiert. Fast hätte ich das Wort Eigeninteresse benutzt. Aber wer sich mit all diesen Themenfeldern beschäftigt, der weiß, dass jede Lösung, die nur auf nationaler Ebene umgesetzt wird, eher negative Folgen hat und die Chancen verspielt, die das gemeinsame Handeln von 27 Staaten ermöglichen würde. Nationale Einzellösungen verstoßen – selbst rechnerisch – gegen die Eigeninteressen der Mitgliedsstaaten, so seltsam das klingt.

Aber der Brexit wird es am Beispiel Großbritannien mit aller Wucht zeigen: Es ist erst die europäische Dimension, die die Mitgliedsstaaten als Staatengemeinschaft gegenüber Global Playern wie den USA und China tatsächlich wettbewerbsfähig macht. Das kann und muss sogar besser abgestimmt werden. Und mit einigem Unrecht kritisiert nun auch die EU-Kommission Deutschland für seinen Exportüberschuss.

Den hat Deutschland aber vor allem, weil es in Wirklichkeit keine abgestimmte europäische Wirtschaftspolitik gibt. Da waren die Gründer der Europäischen Gemeinschaft vor 50 Jahren schon mal weiter.

Schon dieser kleine Blick ins Schatzkästlein zeigt, dass diese Staatengemeinschaft sogar viel mehr miteinander abstimmen muss, als sie es bislang tut. Und das auch kommunizieren muss: Wo sind die Probleme, wie können die Lösungen organisiert werden?

Die Mega-Erzählung fehlt dann trotzdem noch. Denn das, was sich aus den ersten fünf Denkansätzen ergibt, ist eher so eine Art Problemsammlung: Man sieht, wo die Sache besonders klemmt, aber man sieht noch nicht, dass man dafür eine übergreifende Idee braucht, unter deren Dach die Einzellösungen immer auf das Große und Ganze verweisen können.

Das Große und Ganze aber fehlt noch. Es hat nur in den vorangegangen Teilen dieser Serie erste leichte Konturen gewonnen. Die deuten auf etwas hin, das es so tatsächlich noch nicht gibt: Eine Staatengemeinschaft, die das so leicht hingesagte Wort Nachhaltigkeit mit Inhalt und Strukturen versieht und Europa zu einem Kontinent macht, der vormacht, wie eine Staatengesellschaft ihre eigene Zukunft auf eine sichere, weil nachhaltige, Basis stellt.

Klingt noch sehr theoretisch?

Aber genau dahin muss die Reise gehen, hin zu einem Gesellschaftsmodell, das von anderen Staatengemeinschaften guten Gewissens abgekupfert werden kann. Das ist durchaus möglich. Das nötige Knowhow ist vorhanden. Man muss dabei freilich aus dem Expertentum der hochbezahlten Manager heraus, die in Brüssel noch immer so tun, als wäre das nur eine ins Gigantische aufgeblasene Amtsstube.

Alle Artikel zum Europa-Projekt.

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Grundlage der EU war die Idee, daß, wer Handel miteinander treibt, sich nicht erschießt.
Diesem Grundgedanken folgend, wurde die EWG tatsächlich ein technokratisches Konstrukt, dieses Ziel zu erreichen. Wirtschaft und Währung waren die Leitgedanken.
Ein identitätsstiftendes Projekt gab es doch nie?

In welchem Wettbewerb steht Europa denn zu Amerika, China…?

Und inwiefern soll europäisch möglich sein, was nicht einmal kommunal möglich ist – Nachhaltigkeit?
Kiesabbau Rückmarsdorf, Flughafen, WTNK…

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