„Kurz die Welt retten – mit Facebook, versteht sich“, betitelte „Spiegel Online“ am Freitag, 17. Februar, einen Artikel, in dem er Marc Zuckerbergs neuesten Brief an „unsere Gemeinschaft“ analysierte. Ein Brief, der eine Art Statement sein könnte zu den Problemen von „Facebook“, die Sache mit Lügen, Verleumdungen, Hassreden irgendwie in den Griff zu bekommen. Und Zuckerberg gehört zu den Leuten, die glauben, Maschinen könnten das in den Griff bekommen.

Irgendwann zumindest. Er gibt jedenfalls eine Menge Geld zur Entwicklung von etwas aus, das auch er Künstliche Intelligenz (KI) nennt: Lernfähige Maschinen, die unterscheiden können, was Lüge und was Wahrheit ist, Feststellung und Verleumdung.

Oh, wir glauben so langsam nicht mehr, dass Zuckerberg weiß, was er da tut. Dazu ist er zu sehr davon besessen, sein mit 1,8 Milliarden Nutzern schon gigantisches Netzwerk immer weiter aufzublasen und irgendwann zu einer digitalen Welt für alle zu machen. Damit verdient er sein Geld. Und das funktioniert nur, wenn er jegliche Konkurrenz plattmacht. Auch jegliches digitales Forum außerhalb seiner gigantischen Maschine.

Nach dem amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf schien er ja mal ein wenig einsichtig und gestand zu, dass es die Algorithmen seines Netzwerks waren, die dazu beitrugen, dass Lüge und Verblendung den Wahlkampf dominierten und die Wählerschaft regelrecht halbierten – jede Hälfte abgeschottet in der eigenen Filterblase. Wer in solchen Informationsblasen lebt, bekommt aus der anderen „Hälfte“ nichts mehr mit. Für den wirkt die Geschlossenheit des Informationskosmos wie eine Bestätigung, dass alles, was hier gemeldet wird, stimmt – und damit auch die eigene Weltsicht.

Da lauern Berge von Forschungsprojekten für Sozialpsychologen. Denn was passiert eigentlich mit Gesellschaften, in denen derart große Teile der Bevölkerung in geschlossene Wahrnehmungsräume abtauchen, die mit der durchaus komplexen Realität nichts mehr zu tun haben? Wo sich auch Falschbehauptungen immer wieder selbst bestätigen?

Was nicht ganz neu ist. Geschlossene Gesellschaften gab es in der Geschichte immer wieder.

Exemplarisches Beispiel: Diktaturen wie das NS-Reich, die eben Medien nicht nur „gleichschalteten“, sondern alle konkurrierenden Medien ausschalteten und beseitigten. Die meisten Deutschen lebten 12 Jahre in einer staatlich verordneten Filterblase – was übrigens auch zu Akzeptanz und Stabilisierung des Nazireiches beitrug.

Jahrhundertelang war das sogar eine Art Normalzustand – da beschränkte sich die Weltwahrnehmung der Menschen komplett auf die kleine, fußläufige Region, in der sie lebten, und auf die Religion, die ihnen ihr Landesherr verpasst hatte.

Deswegen ist das Jahr 2017 übrigens auch ein Jahr, das Atheisten feiern dürfen, sollen und sogar müssen.

Denn was Luther da – beginnend mit seinem Thesenanschlag – getan hat, ist die bewusste Zerstörung einer Filterblase. Nämlich der Filterblase der allein deutungsberechtigten katholischen Kirche.

Und wer ein paar von den auf der L-IZ besprochenen Büchern zur Vorgeschichte der Reformation gelesen hat, der weiß, dass Luther eine Menge – zum Teil höchst unglücklicher – Vorläufer hatte, die versucht haben, das Deutungsmonopol (die Filterblase) der römisch-katholischen Kirche zu durchbrechen und zu verlassen.

Luther hat mit seinem Angriff auf die Deutungshoheit des Papstes ein riesiges Verwundern in fast ganz Europa ausgelöst. Die Menschen waren verblüfft – nicht nur über das, was wirklich in der Bibel stand, sondern auch darüber, was EBEN NICHT DARIN STAND.

Ein Großteil dessen, was die Kirche in Rom über all die Jahre verkündet hatte, war schlichtweg erfunden und erlogen.

Sie merken es, stimmt’s?

Mit Luther musste auch ein Element in die Welt kommen, das sich fortan immer professioneller mit der Frage beschäftigen musste: Wie entlarvt man Lügen? Falsche Verheißungen? Fake News?

Es würde noch eine Weile dauern, bis sich diese Leute Journalisten, Reporter und Redakteure nennen würden. Aber der Journalismus im Kern war ein Kind dieses Lutherschen Infragestellens der allein selig machenden Filterblase.

Es ist wie auf dem Holzschnitt des französischen Astronomen Nicolas Camille Flammarion von 1888, mit dem er das Erstaunen der kopernikanischen Wende sichtbar machte: Ein Wanderer steckt seinen Kopf aus der mittelalterlichen Filterblase des alten, heliozentrischen Weltbildes – und siehe da: Die Sterne sind nicht an die Himmelsschale geklebt, der Kosmos ist viel größer.

Die Kopernikanische Wende hat sehr viel mit der Lutherschen Wende zu tun. Was auch Luther zeitweise schrecklich überraschte. Denn wenn man aus der verordneten Filterblase ausbricht, die jahrhundertelang als Deutungsglocke über Europa lag, dann tun sich ganz andere Denkwelten auf. Dann begegnet der Mensch tatsächlich der Unendlichkeit und der gigantischen Vielfalt eines Kosmos, den man nicht durch Glauben begreifen kann, sondern nur durch emsige Forschungsarbeit.

Was aber tun Leute, die sogar extra Algorithmen entwickeln, damit Menschen sich wieder geschlossene Filterblasen herstellen können?

Sie drehen alles wieder zurück. Nur ohne Papst. Eher mit vielen Päpsten und Propheten, die in ihren Blasen die allein selig machenden „Wahrheiten“ verkünden. Die Algorithmen zerstören gerade das, was nach Luther nach und nach als Korrektiv für drohende Filterblasen entwickelt wurde: Die Schaffung rationaler Prüfmechanismen und nachprüfbarer Fakten und Erzählungen über die Welt. Was immer einen möglichst unparteiischen Mittler braucht, der genau weiß, wie man Geschichten prüft und auseinandernimmt.

Deswegen heißen diese ganzen Publikationswerkzeuge ja auch Medien: Sie nehmen eben NICHT ALLES UNGEFILTERT, wie es irgendwo in irgendeiner Blase verlautbart wird, sondern prüfen es – möglichst auf Herz und Nieren, auf Herkunft und Belastbarkeit. Gute Medien geben keine Nachricht weiter, die der Befragung nicht standhält oder gar Platz für Mutmaßungen lässt.

Klar. Keine Frage. Auch einige der klassischen Medien halten sich nicht immer daran. Von den Lieblingsmedien von „Bildblog“ wollen wir da gar nicht erst reden.

Aber das Prinzip ist eigentlich klar. Und die Besten halten sich auch dran. Und sehen ihre Aufgabe genau darin: Alles, was gesagt wird und getan, immer wieder darauf zu prüfen, ob die Fakten und Aussagen stimmen, wer da spricht und mit welcher Intention.

So ein Medium ist das vielgepriesene „Facebook“ nicht. Es wird zur Lügenschleuder, weil es ALLES UNGEFILTERT hinauslässt in die Welt.

Nicht mehr ganz ungefiltert. Für die schlimmsten Verstöße gegen die Menschenwürde gibt es längst große Abteilungen von Tastenknechten, die sich jeden von den Nutzern gemeldeten Schrott anschauen müssen und über eine Löschung entscheiden müssen – schlimmste Gewalt- und Sexvideos darunter, aber auch die Terrorbotschaften von IS & Co. Die Leute leiden darunter. Aber allein die Existenz dieser meist als Subunternehmen beauftragten Aufräumkommandos sagt schon mal Eines: Da, wo es in den Netzen die schlimmsten Auswirkungen gibt, geht es ohne Menschen nicht, die aufräumen.

Oder korrigieren, wie das jetzt ja auch in Deutschland geplant ist. Nur scheint kein einziges seriöses Medium bereit zu sein, für „Facebook“ nun die ganze Arbeit beim Abklären falscher Nachrichten machen zu wollen. Man habe zwar mit dem Recherchebüro Correctiv einen Partner in Deutschland gefunden, der da mitmachen will, heißt es. Aber nicht mal dort scheint man zu wissen, ob „Facebook“ bereit ist, diese Arbeit AUCH ZU BEZAHLEN.

Das ist Marc Zuckerberg. In Reinform.

Sein Geschäftsmodell funktioniert nur deshalb, weil er überall, wo er eigentlich dringend richtige, gut ausgebildete Menschen als Moderatoren und Redakteure bräuchte, versucht, die Sache mit Algorithmen zu klären – was immer wieder schiefgeht.

Oder – das ist ja sein neuester Traum – mit Künstlicher Intelligenz.

„Große KI-Fortschritte sind nötig, um zu verstehen, welche Texte, Fotos oder Videos Hassrede, Gewalt oder sexuell explizite Inhalte enthalten“, zitiert „Spiegel Online“ Marc Zuckerberg.

„Spiegel Online“ weiter: „Manche davon könne es schon 2017 geben, andere Entwicklungen ließen noch ‚viele Jahre‘ auf sich warten. Bislang war Facebook dabei zurückhaltend – das Geschäft, den Müll auszusortieren, erledigen Clickworker.“

Für die Müllarbeiten sind ihm Menschen gut genug. Aber allzu deutlich zeigt er, dass er in seinem Imperium eigentlich keine echten Menschen haben will. Die will er nur als Nutzer haben, die seine Maschine profitabel machen. Womit er nicht allein ist. Die ganze Silicon-Valley-Truppe träumt von der Überflüssigmachung von Menschen, von ihrem Komplettersatz durch Maschinen.

Da fragt man sich schon: Was für eine Welt wünscht sich dieser Wunderknabe eigentlich? Eine soziale, in der Menschen mit Menschen interagieren, kann es nicht sein. Denn mittlerweile wimmelt es in seinem Netz ja auch von lauter Fake-Charakteren. Roboter kommunizieren mit Usern, Roboter mit Robotern. Und viele Nutzer merken es gar nicht mehr, wie sie in einer künstlichen Blase agieren. Quasi wieder in einer geschlossenen Weltkugel. Er stellt mit technischem Aufwand eine Welt wieder her, wie sie für Europäer vor Luther und seinen Streitgenossen existierte. Auch das übrigens eine Filterblase voller Heulen, Zähneklappern und grassierender Angst vor der Zukunft.

Denn wirklich umgehen kann der menschliche Geist mit solchen geschlossenen Welten nicht. Da bekommt er die Panik. Was natürlich gewissen Leuten nutzt.

Oder mal so gesagt: Zuckerberg und Trump sind sich ähnlicher, als beide beim In-den-Spiegel-Gucken wohl wahrhaben wollen. Den einen bekommt man sozusagen mit dem anderen gleich im Doppelpack. Aber nicht billiger. Diese Goldjungs.

In eigener Sache: Lokaler Journalismus in Leipzig sucht Unterstützer

https://www.l-iz.de/bildung/medien/2017/01/in-eigener-sache-wir-knacken-gemeinsam-die-250-kaufen-den-melder-frei-154108

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar