„Aufbruch“, betitelte die SPD am Mittwoch, 25. Januar, ihre Meldung zur Kanzlerkandidatur von Martin Schulz. „Er ist der bessere Kandidat mit den besseren Chancen“, begründete am Vorabend Sigmar Gabriel seine Entscheidung gegen eine eigene Kandidatur. Seitdem debattiert die Republik darüber, wie groß die Chancen von Martin Schulz sind, bei der Bundestagswahl 2017 zu gewinnen. Aber die Person allein genügt nicht. Es braucht auch eine Botschaft.
Livemitschnitt von der Facebookseite Martin Schulz, 29.01.2017
Eine gute Geschichte, ein überzeugendes Narrativ, wie Thomas Fricke am Freitag, 27. Januar, in seiner „Spiegel“-Kolumne forderte. Man sieht: So langsam greifen ein paar wichtige Einsichten Fuß – auch bei Kollegen in größeren Medien. Wer gegen die emotionalen und meist ziemlich simpel gestrickten Stories der Trumpisten und Krachmacher aus dem populistischen Lager ankommen will, der muss selbst mit klaren und guten Geschichten auftrumpfen können.
Gerade die modernen Medien haben den Aufmerksamkeitsfokus der Menschen deutlich verengt. Frames dominieren die Wahrnehmung der Wirklichkeit. Und wenn idiotische Frames die tägliche Wahrnehmung dominieren, dann sind sie es auch, die die Menschen in ihren Entscheidungen vor sich hertreiben.
Und da gab es in dieser Woche noch so eine kleine Überraschung. Diesmal von den Kollegen von Deutschlandradio Kultur, wo man erstmals die Tatsache benannte, wie sehr die deutschen Fernsehsender mit ihren grausam sinnentleerten Talkshows dazu beitragen, die Angst im Land zu schüren und den Frames der Panikmacher erst den nötigen Hallraum verschaffen.
„All das präsentieren die Sendungen als Gemisch der Themen Islam, Terror, Flüchtlinge und Integration. Gesprochen wird dann weder über den Islam noch über Terror, schon gar nicht über Flüchtlinge und auch nicht über Integration. Vielmehr wird ein Erregungsfeld inszeniert, auf dem die Diskussionsleiter das Wort von einer Position zur anderen weitergeben“, sagt Bodo Morshäuser. Und er hat die Talkshow-Dilettanten der öffentlich-rechtlichen Sender nicht ausgenommen. Mit unseren Rundfunkgebühren finanzieren wir mediale Panikmache, die ausgerechnet den Feinden unserer Demokratie Tür und Tore öffnet. Und die Vielschwätzer in diesen Runden scheinen nicht einmal zu begreifen, was sie da anrichten. Bodo Morshäuser: „Ihr Kriterium ist der Erregungspegel, den es zu halten gilt. Ist es Absicht oder ist es Ungeschick, dass diese Art von sogenannter Diskussion eine der besten Wahlkampfhilfen für unsere neue, auf Erregungspegel spezialisierte Rechtspartei ist? Abgesehen davon, dass Migrationsthemen sowieso ihr Spielfeld sind.“
Seine Worte in die Ohren der Verantwortlichen.
Aber dass die überhaupt verstehen, was er hier schon am 24. Januar kritisierte, kurz bevor Gabriel und Schulz an die Mikrophone traten, das können wir wohl bezweifeln.
Der Trumpismus ist ja nicht im Gewächshaus entstanden, sondern das schillernde Früchtchen einer auf permanente Erregungserzeugung getrimmten Medienmaschine.
Eine Maschine, die überhaupt keine Korrekturmechanismen mehr kennt, sondern nur noch hektisch den Debatten hinterherläuft, statt sie anzustoßen.
Dabei kommt nichts Gutes heraus, wie Morshäuser feststellt: „Wirklich politische Fragen wären Fragen danach, wie das Zusammenleben und der Zusammenhalt einer Gesellschaft organisiert sein sollen. Seit über einem Jahr aber geht es nur noch darum, wie man auf irgendwas Aktuelles reagieren müsste. Zu besten Sendezeiten wird nicht über Politik gesprochen, sondern das Sprechen über Politik wird simuliert.“
Richtig heftig wird es, wenn dann auch noch die politische Diskussion in den Parlamenten und ernsthafteren Medien wieder nur eine Reaktion auf den Verbalumschlag aus den gestrigen Talkshows wird. Dann gerät Politik endgültig zur Simulationsschleife.
Die Ansprache (Teil) von Martin Schulz beim Lichtfest 2016 in Leipzig. Video: L-IZ.de
Seit Mittwoch weht zumindest für die alte Tante SPD so eine Hoffnung durch den Raum, dass jetzt wieder ein Mann mit einer guten Geschichte im Mittelpunkt steht. Zumindest hat Martin Schulz so etwas ziemlich deutlich versprochen, als er sagte: „Ich will, dass die hart arbeitenden Menschen, die sich an die Regeln halten, sicher und gut in Deutschland leben. Ich will, dass es gerecht und dass es fair zugeht. Dass wir eine gute Zukunft für unsere Kinder und Enkel gestalten und dass die Menschen in den ländlichen Regionen dieselben Chancen und Möglichkeiten haben, wie die in den Ballungsräumen. Ich will, dass Menschen nach ihren Taten und nach ihren Motiven beurteilt werden und nicht nach ihrer Herkunft oder ihrem Geldbeutel.“
Das könnte ja der Anfang für eine belastbare Story sein. Ob auch ein passender Inhalt dazu da ist, das wird man erfahren, wenn Martin Schulz am heutigen Sonntag, 29. Januar, in einer öffentlichen Veranstaltung um 13 Uhr im Willy-Brandt-Haus in Berlin seine „Vorstellungen für ein gerechteres Deutschland“ erläutert.
Eine gute Geschichte für Europa sollte eigentlich dabei sein. Denn nicht ohne Grund ist gerade die EU ins Fadenkreuz der Nationalisten und Populisten geraten. Sie steht für einen anderen, vernünftigeren Umgang der Staaten mit ihren Konflikten – während die Hardliner schon längst wieder die Kriegstrommeln rühren.
„Ich komme als ein Politiker nach Berlin, der davon überzeugt ist, dass ein funktionierendes Europa grundlegende Bedingung für ein friedliches Leben der Menschen in Wohlstand ist“, sagte Schulz am Mittwoch. „Mit mir wird es kein bashing von Minderheiten oder von Europa geben und ich sage heute schon allen Populisten und Radikalen den Kampf an. – Ich will unsere soziale Demokratie verteidigen!“
Da wird es dann darauf ankommen, ob die Botschaft stimmt. „Eine knackige Botschaft muss also her. Da gehört im Zweifel auch ein Abschied an die alte Agenda-Story dazu. Der Einfachheit halber“, schreibt Fricke.
Agenda ist die Schrödersche Agenda 2010, von deren gern beschworener Wirkung auch Thomas Fricke nicht überzeugt ist. Bislang versucht Deutschland das Agenda-Märchen ja auch allen anderen EU-Mitgliedern aufzuschwatzen wie eine bittere Medizin. Da wird es ganz bestimmt interessant, was der Europäer Martin Schulz dazu sagen wird, ob er etwas dazu sagen wird oder ob er diese Demolage der Gerechtigkeitsfrage in Deutschland stillschweigend übergeht. Der Tag der Kandidatenkür wird schon ziemlich viel von dem vorherbestimmen, was bei der Bundestagswahl dann herauskommen wird.
Martin Schulz am 24. Januar: Ich will unsere soziale Demokratie verteidigen!
„Heute ist ein besonderer Tag für mich, der mich tief bewegt. Sigmar Gabriel hat eben im SPD-Präsidium angekündigt, dass er mich am Sonntag als Kanzlerkandidaten und zukünftigen Parteivorsitzenden vorschlagen wird. Das ist eine außergewöhnliche Ehre für mich, die mich mit Stolz, aber auch mit Demut erfüllt.
Ich bedanke mich bei Sigmar Gabriel, auch weil ich weiß, wie schwer ihm dieser Schritt gefallen ist. Sigmar und ich haben in den letzten Wochen bewiesen, dass wir gute Freunde sind und dass wir uns nicht haben auseinandertreiben lassen.
Ich werde morgen vor der SPD-Bundestagsfraktion und am Wochenende im Parteivorstand meine Bewerbung erläutern und dann am Sonntagmittag im Willy-Brandt-Haus in einer Rede darlegen, was meiner Überzeugung nach in Deutschland getan werden muss, damit die Menschen hier weiterhin gut leben können.
Es geht um viel in diesen Tagen: es geht ein tiefer Riss durch unsere Gesellschaft, nicht nur in Deutschland, sondern auch in allen europäischen Gesellschaften und weltweit. Es gibt eine große Verunsicherung. Wir müssen diesen Riss schließen und wieder zu einem neuen Miteinander kommen. Wir brauchen neuen Mut und neue Zuversicht, denn Deutschland und Europa haben alle Chancen, wenn wir uns unterhaken und die richtigen Entscheidungen treffen.
Ich will, dass die hart arbeitenden Menschen, die sich an die Regeln halten, sicher und gut in Deutschland leben. Ich will, dass es gerecht und dass es fair zugeht. Dass wir eine gute Zukunft für unsere Kinder und Enkel gestalten und dass die Menschen in den ländlichen Regionen dieselben Chancen und Möglichkeiten haben, wie die in den Ballungsräumen. Ich will, dass Menschen nach ihren Taten und nach ihren Motiven beurteilt werden und nicht nach ihrer Herkunft oder ihrem Geldbeutel.
Ich will, dass die SPD ihren Führungsanspruch für Deutschland deutlich macht. Wir wollen die Wahl gewinnen, um das Leben der Menschen besser zu machen.
Ich komme als ein Politiker nach Berlin, der davon überzeugt ist, dass ein funktionierendes Europa grundlegende Bedingung für ein friedliches Leben der Menschen in Wohlstand ist. Mit mir wird es kein bashing von Minderheiten oder von Europa geben und ich sage heute schon allen Populisten und Radikalen den Kampf an.
Ich will unsere soziale Demokratie verteidigen!“
In eigener Sache: Lokaler Journalismus in Leipzig sucht Unterstützer
https://www.l-iz.de/bildung/medien/2017/01/in-eigener-sache-wir-knacken-gemeinsam-die-250-kaufen-den-melder-frei-154108
Es gibt 6 Kommentare
Schulz hat Merkles Spar-Politik und die permanente Senkung der Lohnkosten gegenüber Hollande verteidigt. Es gibt somit keine “einzige Rede”, es gibt eine Vorgeschichte. Der Partei und des neuen Märchenonkels.
Diese Vorgeschichte gehört in die Antrittsrede. Und sie fand auch ihren Weg dahin. Unausgesprochen.
Die Bestellung von Zypries und deren Antrittsrede haben die erste Handlung Schulz´ als Kanzlerkandidat flankiert.
Ich halte ihn für zumindest weniger verlogen als den Rest der Truppe. Wie gesagt, ein Urteil über seine Arbeit zu fällen ist mir nach einer einzigen Rede zu früh. Ich warte einfach mal seine Taten ab. Irgendwer muss ja mal den Anfang machen, diese Partei wieder auf Kurs zu bringen. Dafür ist er schon der richtige.
Genau das hat er nicht gesagt, wie Schulz der CDU Wähler abnehmen will.
Im Ggenteil. Mit der Aussage die Lebensumstände “gerechter” machen zu wollen, beschreibt Schulz die tatsächlich ungerechten Lebensumstände. Suggeriert damit aber, daß Dritte dafür verantwortlich seien.
Das ist falsch. Es war die SPD (zusammen mit den Grünen). Fortgesetzt gemeinsam mit der CDU.
Das einzugestehen, wäre zu Beginn notwendig gewesen. Zumindest dann, wenn man tatsächlich etwas ändern und nicht nur an der Macht bleiben will.
Fehler machen kann jeder. In der Politik ist das ein bißchen blöd, weil davon Millionen Menschen betroffen sind. Um so wichtiger ist, die Fehler zu benennen.
Nichtssagendes, diplomatisches Geschwätz sind die Menschen leid.
Verlogenes Geschwätz sowieso.
Naja, ich bin weder SPD- noch Politikexperte, aber von dem Mann zu erwarten, in seiner ersten Rede als Kandidat alle Fehler seiner Vorgänger geradezurücken, ist ein wenig zu viel verlangt. Ich bin zwar nicht immer seiner Meinung, halte ihn aber für den fähigsten SPD-Menschen seit langem. Einer mit Haltung und Mut, das ist gerade bei der nächsten Wahl sehr wichtig. Wer ausser ihm könnte sowohl der CDU als auch der AfD Wähler abnehmen? Ich wüsste da niemanden.
Die klare Aussage, daß Fehler korrigiert werden müssen, wäre die Chance gewesen.
Nicht genutzt….
Das Märchenenzahlen geht weiter. Der Märchenonkel wurde ausgetauscht.
Er will die Welt gerechter machen. Es sei nicht hinnehmbar, wenn in der Familie 2 arbeiten und in Ballungsräumen die Miete trotzdem nicht bezahlen können.
Diese Wahlkampfaussage nimmt man Wagenknecht oder Lafontaine ab. Nicht aber dem Spitzenkandidaten der Partei, die in Regierungsverantwortung genau die Gesetze beschlossen hat, die für diese Situation verantwortlich sind. Zusammen mit den Grünen und den Schwarzen.