Etwas Gutes hat dieser Sieg des deftigsten Narzissten, den das reiche, arrogante Amerika zu bieten hat: Er hat ein paar Journalisten zum Nachdenken gebracht darรผber, was da wirklich passiert sein kรถnnte. Und selbst in Medien, denen man das vorher niemals zugetraut hรคtte, erscheinen jetzt beachtenswert nachdenkliche Beitrรคge รผber die Wรคhler dieses Donald T.

So wie in der FAZ, die am Wochenende tatsรคchlich das Buch der Soziologin Arlie Russell Hochschild โ€žStrangers in Their Own Landโ€œ wรผrdigte, die mit offenen Augen und Ohren in jene Region gefahren ist, wo Donald Trump seine Wรคhler gewinnen konnte. Wirklich gute Soziologen kรถnnen nรคmlich zuhรถren. Und sie wissen, was Empathie ist. Etwas, was selbst linke deutsche Politiker immer wieder schmerzlich vermissen lassen, sonst wรคre einem SPD-Vorsitzenden Gabriel nie und nimmer das Wort โ€žPackโ€œ aus dem Mund gekommen.

Es gab mal SPD-Vorsitzende, die nach so einem Fauxpas aus lauter Scham zurรผckgetreten wรคren oder sich zumindest entschuldigt hรคtten. Denn die sรคchsischen Pรถbler, die ihn da so nervten, sind nicht unbedingt auch durchwachsene Nazis und Menschenfeinde. Sie sind vor allem Menschen in einer Sackgasse, die aber den gerade Regierenden nicht zutrauen, das Dilemma zu lรถsen. Ihnen geht es ganz รคhnlich wie den Leuten im sรผdlichen Louisiana, die Arlie Russell Hochschild besucht hat.

โ€žEntscheidend ist freilich etwas ganz anderesโ€œ, stellt Michael Hochgeschwender in seiner Buchbesprechung fest. โ€žFรผr die Menschen im sรผdlichen Louisiana sichert allein ihr Arbeitsplatz Freiheit und Individualitรคt. Sie haben, anders als Harvard-Absolventen, nicht die Wahl, ob sie in Silicon Valley, New York, London, Berlin oder Singapur arbeiten. Mehrheitlich wollen sie nirgendwo anders sein, denn sie sind mit ihrem Land, den Bayous und dem Meer tief verbunden. Ohne Arbeit aber sind sie, ihrem Selbstverstรคndnis nach, den abstrakten Mรคchten im fernen Washington und den miserabel ausgebildeten Bรผrokraten in der nรคchsten Umgebung hilflos ausgeliefert. Dafรผr nehmen sie dann in Kauf, dass sie mit ihrer Hรคnde Arbeit genau das Land zerstรถren, das sie doch so innig schรผtzen wollen.โ€œ

Ostdeutschland ist dem sรผdlichen Louisiana viel รคhnlicher, als es die hohe Politik gern glaubt, die sich nun auch in den letzten zwei Jahren immer wieder nur mit Placebo-Entscheidungen beschรคftigt hat, die im รถstlichen Louisiana niemanden interessieren, weil sie nichts an der Lage รคndern. Die dort Wohnenden sehen nur, dass ihre Sorgen eigentlich nicht vorkommen in der hohen Politik. In der von Dresden รผbrigens auch nicht.

Aber sie wissen alle, dass Arbeit mehr ist als eine Gnade. Sie definiert ein ganzes Leben und stiftet Sinn. Aber so wie die deutsche SPD die Arbeit seit 2004 behandelt hat, scheint Arbeit in Deutschland so etwas wie eine Strafe zu sein, bestenfalls eine Pflicht und eine Bringeschuld des unmรผndigen Staatsbรผrgers. Wer nicht arbeiten will oder nicht bereit ist, die gnรคdig angebotenen miserablen Jobs anzunehmen, die man wie Brotsamen ausreicht, der wird sanktioniert, bestraft, ausgegrenzt.

Was ist das fรผr eine schรคbige Denkweise? Wo haben das die Zimmerleute der โ€žAgenda 2010โ€œ gelernt?

Es ist dieselbe Krankheit, die den Sรผden und mittleren Westen der USA zerfressen hat, die Banlieues von Frankreich, den Norden Italiens und den Sรผden Griechenlands. Es ist dieselbe Krankheit, die die Treffen von Davos so dermaรŸen dumm gemacht hat.

Es ist eine Krankheit der Eitelkeit, der Gier und der Arroganz. Davos hat es eigentlich schon lรคnger gezeigt, wie hier eine Elite versucht, die Welt zu dominieren, die es tatsรคchlich fertiggebracht hat, den kompletten Unterbau ihrer Gesellschaften aus ihrem Denken zu streichen. Arbeitende, zumeist wirklich fรผr ihr Geld schuftende Menschen wurden gedanklich und medial in etwas verwandelt, was in ihrem Denken wie ein Ballast aussieht, etwas mit Durchzupรคppelndes, weil ja augenscheinlich andere Leute das groรŸe Geld machen. Banker zum Beispiel oder Immobilientycoone wie Herr Trump.

Nur dass dieses Volk ganz und gar nicht so ist, wie es โ€žZeitโ€œ-Autor Khue Pham bei Huntington ausgebuddelt hat: โ€žDas Volk sorgt sich vor allem um seine physische und soziale Sicherheit, womit auch die Nachhaltigkeit von Sprache, Kultur, Religion und nationaler Identitรคt gemeint ist.โ€œ Das ist nรคmlich wieder die Elitensicht auf โ€ždas Volkโ€œ.

Das sind die Ergebnisse eines Prozesses, der โ€ždas Volkโ€œ systematisch vom Regieren ausschlieรŸt. Denn genau das ist ja passiert, wenn immer mehr Menschen das Gefรผhl haben, โ€žes รคndert sich ja doch nichtsโ€œ. Egal, wen sie wรคhlen.

In Davos brachte es Pascal Lamy ziemlich genau auf den Punkt.

โ€žUnser aller Problem ist nicht die Globalisierungโ€œ, zitiert ihn โ€žSpiegel Onlineโ€œ. โ€žEs ist der Kapitalismus.โ€œ

SPON weiter: โ€žDie Gewinne aus dem Welthandel wรผrden in vielen Lรคndern nicht gerecht verteilt. Doch das sei auch der in Davos versammelten Elite kaum bewusst. โ€šViele von ihnen machen Geschรคfte, die durch die Globalisierung sehr gut laufen. Aber Teilen gehรถrt nicht zu ihrem Geschรคftโ€˜, sagt Lamy. โ€šViele dieser Leute haben verstรคndlicherweise das Gefรผhl dafรผr verloren, dass sie einem Ort oder jemand anderem als ihren Aktionรคren verpflichtet sind.โ€˜โ€œ

Und das betrifft eben nicht nur die Manager in den USA, die jetzt wieder in Trumps Regierung sitzen, sondern auch die in Europa und in Deutschland. Sie haben sich in den vergangenen Jahrzehnten immer massiver in die Politik gedrรคngt, um die Gesetze nach ihrem Gusto schneidern zu lassen, sie pfuschen in der EU herum und wundern sich noch, dass die Bรผrger sich vor diesem bรผrokratischen Moloch zu fรผrchten begonnen haben. Das Gefรผhl der Leute aus Louisiana, ihnen wรคre die Souverรคnitรคt รผber ihr eigenes Leben genommen, das ist รผberall in der westlichen Welt zu beobachten.

Albrecht Lucke schrieb von einer โ€žamputierten Demokratieโ€œ und sieht den Grund dafรผr auch in einer Linken, die sich lieber in kleingeistigen Scharmรผtzeln mit sich selbst beschรคftigt, als sich endlich einmal um die groรŸen Fragen der Zeit zu kรผmmern. 2015 haben wir sein Buch hier besprochen. Und? Hat sich etwas geรคndert?

Nein.

Die Wรคhler sind nicht dumm und rรผckstรคndig. Aber sie haben โ€“ selbst diese empรถrten Rabauken aus der sรคchsischen Provinz โ€“ einen Stolz. Ein Stolz, der eigentlich auf ein  selbstgestaltetes souverรคnes Leben abzielt. Nur: Wohin damit, wenn einem Politiker und Experten in ihrer abgehobenen Weisheit immer wieder sagen: โ€žVergiss es.โ€œ?

Das kehrt sich dann in einen Ersatzstolz um, ein Hilfskonstrukt. Deswegen irrt Huntington auch hier wieder: Nationalismus ist immer nur eine Krรผcke, ein fauler Zauber, der dem Volk, diesem groรŸen Rรผpel suggeriert, es wรคre doch wieder was, wenn es nur die Fahne schwenkt und patriotische Lieder singt.

Das lenkt so schรถn ab davon, dass gerade riesengroรŸe ร„ngste umgehen in den westlichen Gesellschaften. Denn dass das groรŸe Ausplรผndern der Welt so nicht mehr lange gutgeht, das ahnen die Meisten. Und sind zu Recht in Panik, wenn sie dann sehen, mit welchem Quatsch sich die Regierenden die ganze Zeit beschรคftigen.

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https://www.l-iz.de/bildung/medien/2017/01/in-eigener-sache-wir-knacken-gemeinsam-die-250-kaufen-den-melder-frei-154108

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Keine Kommentare bisher

โ€œIm Grunde wรผrde ein Scheitern des neuen Prรคsidenten nur ihren Eindruck bestรคtigen, ohnehin von aller Welt verraten und verkauft zu sein.โ€ (FAZ-Artikel)
Wenn nicht ganz viel passiert, wird das so eintreten. Und sich die Frage aufrรคngen: Was passiert dann?! Eine Frage, die sich auch hier stelltโ€ฆ
Das Beispiel Norwegen ist ein โ€œnettesโ€. Beschreibt eine Alternative, die auch hier mรถglich wรคre.
Doch welche Entscheidungen treffen Menschen (oder unterlassen sie), wenn sie aus lauter Verzweiflung โ€œso etwasโ€ wie Trump gewรคhlt haben und dann, fast erwartungsgemรครŸ, enttรคuscht werden? Oder hier eine angebliche โ€œAlternativeโ€ sehen?!

Welche Angebote werden ihnen gemacht?!
Sind die ersten 3 Links eine Antwort auf diese Frage?
Bis jetzt scheint es so.
Die Wahl des Spitzenpersonal der Grรผnen zur Bundestagswahl deutet in diese Richtung.
Die Auswahl der 3 von 30 Themen, mit denen die SPD in die Wahl starten will, wird einige (erwartbare) Antworten liefern.
Und Gysi ist auch nicht gerade hilfreich.

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