Noch 27 Tage bis Ultimo in diesem Jahr, in diesem nicht sehr vorzeigbaren 2016, wenn man ehrlich ist. Nicht nur, dass einen fast das Gefühl beschleicht, es gingen zurzeit besonders viele der ganz großen Künstlerpersönlichkeiten freiwillig von Bord, als wollten sie damit sagen, dass sie zu dieser neuen Ära wenig beizutragen wünschen, sieht es an manch Fleckchen dieser Erde tatsächlich aus, als flöge uns diese in Bälde tüchtig um die Ohren.

Die gute Nachricht: Sie ist es (noch) nicht. Ein Grund zum Aufatmen scheint das nicht zu sein. Denn statt Zuversicht und Hosianna breiten sich die Lust an absurden Verschwörungstheorien, Mario-Barth-Investigations-Journalismus, pseudopolitisches Geschwurbel um „die da oben“ sowie eine nicht näher bestimmbare Mischung aus Enttäuschung, Bitterkeit und Anspruchshaltung aus, die offenbar viele Menschen mangels anderer Perspektive als ihr Lebenskonzept erkoren haben.

Hinzu kam: An der nicht enden wollenden Diskussion um einen Zusammenhang zwischen Flüchtlingszuzug und diversen Amoklauf-Veranstaltungen wollte das Land, das früher Papst war, just zerbrechen und sich zwischendurch anlässlich des Brexits verwundert die Äuglein reiben. Friedfertigere Gemüter forderten weiterhin einfach mehr „Entschleunigung“. Manch einer lief plötzlich zu Pegida über, andere blieben Dalida treu. Viel mehr als sonst war man auf Gegnerschaft gebürstet, „Sorgen und Nöte“ sollte eigentlich die Phrase des Jahres werden. Aber es gibt ohnehin viel zu viele Wettbewerbe. Deswegen übertragen die öffentlich-rechtlichen Sender bald nur noch die wichtigsten. Außerdem haben wir längst durch Michael Schumacher gelernt, dass Sieger tief stürzen können. Oder einfach fallengelassen werden.

Angesichts dieses Narrenschiffs, das sich da auf dem schlammigen Festland westlicher Zivilisation festgehakt hat, könnte man verrückt werden oder zynisch. Oder mit Yoga anfangen oder den Rückzug ins Private wählen – in die ausgebaute Scheune in Brandenburg oder Meckpomm vielleicht, Selbstversorger sein und die böse Welt draußen lassen. Aber alle können (und müssen) wir nicht Hühner züchten, ein bisschen Schmiere fürs Gehirn oder die Seele soll der Menschheit ja auch zum Wohlgefallen gereicht haben seit Jahrtausenden.

Ja, es ist alles schon geschrieben worden. Ja, es ist alles in der Kunst ausprobiert worden. Ja, es ist alles schon einmal von irgendjemandem schon gesagt worden. … Aber: Nicht von uns! Nicht zu euch! Es ist nicht jede Tonlage ausgereizt, die das Leben zum Klingen bringt. Es ist nicht jede Buchseite schon von jedem umgeblättert worden. Und nicht in jeder Stimmung. Alles kann doch noch mal auf den Kopf gestellt werden. Und sieht plötzlich ganz anders aus. Das ist verdammt tröstlich.

Verdammt motivierend wiederum ist, dass es noch einen riesigen Tummelplatz für gute Versuche zu geben scheint – den unseres Zusammenlebens. Unseres halbwegs friedlichen Zusammenlebens im Einklang mit der Natur, mit Respekt und Gespür für die Endlichkeit ihrer Ressourcen. Da geht noch was! Da ist ein Riesenfeld für Ehrgeizige mit Rest-Visionen.

Mag man mir nachsagen, ich hätte einen an der Waffel, aber ich meine es seit Nena „so wie ich es sag“. Weil ich sie fast so gern hab wie Martin Luther, dessen Ansatz uns eine sehr klare und unpathetisch schöne Lebensmaxime sein könnte: Sich das ganze Leben am Abgrund wähnen und trotzdem nicht aufhören, sich aufzuregen, mitzumischen, sich zu äußern. Mit einem Apfelbäumchen wider die Resignation. Meinethalben jetzt auch erst einmal mit einem Weihnachtsbäumchen.

In diesem Sinne: Aufgeben ist was für Briefeschreiber. Ich wünsche uns allen eine an Zuversicht reiche Adventszeit!

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