Obwohl der Christbaum auf dem Leipziger Markt in diesem Jahr schon weit vor dem Martinstag erigiert worden ist, kommt man nicht umhin zuzugeben: Wir müssen schon noch ganz schön oft schlafen bis zum Weihnachtsfest. Gott sei Dank – und das wurde in den letzten Wochen wenig gerufen – leben wir in Sachsen – dem einzigen Bundesland, dem der Buß- und Bet-Tag noch richtig was bedeutet. Vielleicht haben wir ihn aber auch einfach nötiger.

Buß- und Bet-Tag – ein kirchlicher Feiertag, der im besonderen Maße aus der Zeit gefallen scheint: Heute, wo es nicht mehr reicht, einfach nur abstoßend zu sein, sondern wo man schon gewinnbringend abstoßend sein muss. Heute, da eine Großzahl der Deutschen Gott eher für jemanden hält, der mit den Erinnerungen an seine Babitschka in Prag wohnt.

Um ehrlich zu sein: Sympathisch klingt das Feiertags-Motto zunächst wirklich nicht: „Büßen“ wird schnell mit Strafen für begangene Sünden assoziiert und „beten“ – na ja, siehe oben! Wie man dies auch immer verstehen will.

Dabei ist der Hintergrund gar nicht so furchtbar unangemessen und „nicht-in-die Zeit-passend“. Das Nachsinnen über eigene Fehlbarkeit, viel mehr noch über die eigene Verstrickung in gesellschaftliche Vergehen durch Unterlassungssünden, wie kann dies unmodern geziehen werden? Was kann an fünf Minuten Reue oder im besten Fall an einem Ansatz des Umdenkens falsch oder lächerlich sein? Einen ganzen Tag lang – Pflegeversicherung hin, Pflegeversicherung her – in Ruhe und ohne Verpflichtungen der Erwerbstätigkeit über sich nachzudenken oder sich an Menschen zu erinnern, die in ihrer Zeit ganz ähnlichen Widersprüchen ausgesetzt waren wie wir im Jahre 2016, ist per se keine so furchtbare unkluge Sache, oder?

Wie gut wäre es, viel öfter einen Dietrich Bonhoeffer in die Gedanken zurückzuholen zum Beispiel, der sich an den Putschplänen gegen Hitler beteiligte, und damit mit dem Zwiespalt zu leben gezwungen war, dass man sich schuldig macht, wenn man militärisch handelt, im gleichen Zuge aber auch Schuld auf sich lädt, wenn man nichts Wirksames gegen den Terror unternimmt. Mannomann, Parallele – ick hör dir trapsen.

Es reichte aber vielleicht auch schon, ein bisschen darüber nachzusinnen, dass es auch nicht die feine Art ist, im Sessel zu sitzen, die Aktien auf Trab zu bringen oder Gewehre bauen zu lassen, die ja irgendeiner irgendwann abdrückt – ausschließlich zur Friedenssicherung natürlich.

Ein Körnchen nur im Meer aller Widerlichkeiten, aufgrund derer man viel mehr Buß- und Bet-Tage benötigte als nur den einen hier kurz vor Kirchenjahres-Torschluss. Möglicherweise sogar bundesweit.

Den Sachsen wirft man nämlich damit einmal mehr Knüppel zwischen die eigentlich gutmütigen Beine: Es ist nämlich gar nicht so leicht, am meist feuchtkalten, trüben, freien Mittwoch mirnichtsdirnichts auf Stille umzuschalten und NICHT ins unendlich dumpf machende Shoppping-Sänndddr auf der grünen Wiese ins Sachsen-Anhaltinische überzusetzen, um dort im Familienverbund ein Asia-Mittagessen aus Styroporboxen in sich hineinzuleiten und den schwer verdienten Euro schon mal gegen ein paar Weihnachtsgeschenke einzutauschen. „Stell dir vor, die Geschäfte sind geöffnet und keiner geht hin ..!“, Entschuldigung, aber so weit sind wir noch nicht. Helft uns dabei!

Was wäre denn so übel daran, wenn manch einer am Ende des Buß- und Bet-Tages – aus einer rauchigen Kneipe kommend – zufrieden über die vom Regen reichlich rutschigen Straßen nach Hause radelt mit dem Gefühl, einen ganz unprätentiösen Tag gehabt oder nur eine kleine neue Leidenschaft für Lyrik, Lego oder Lomonossow entdeckt zu haben, eine junge, leicht nervöse Mann-Frau-Kombination am Wegesrand wahrnehmend, deren Protagonisten offensichtlich noch nicht wissen, wie und wo dieser Abend am besten endet und zwei Männer im Anzug, die ganz ohne Auto schnurstracks und sehr zielorientiert eine Tankstelle ansteuern …?

Fassen wir zusammen: Unschön wäre das nicht.

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