Viele werden die vergangene Woche in weniger guter Erinnerung haben, hat der dicke neunte November an seiner ohnehin imposanten historischen Bedeutungswampe doch noch mehr zugelegt. Ganz unter dem Gernhardtschen Diktum „Mein Gott, ist das beziehungsreich, ich glaub’, ich übergeb’ mich gleich“ haben zu allem Überfluss nicht ganz wenige Amerikaner einen Mann zum Präsidenten gewählt, der in den vergangenen Wahlkampfmonaten variantenreich immer wieder nur eines zu sagen schien: „Alle Menschen ohne gelbe Frisur haben demnächst gar nüscht mehr zu melden. Es sei denn, man kann sie ein bisschen unterm Rock krabbeln.“

So schlimm könne das aber alles gar nicht werden, sagen manche. Der Mann sei 70, der käme bald gar nicht mehr runter. Und überhaupt: Er rudere doch neuerdings schon wieder rhetorisch zurück. Die Leute haben sicher Recht und letztlich stimmt es ja auch: Hunde, die bellen, beißen auch irgendwann ins Gras. Nur wann? Wir sehen erneut, es hilft nichts schönzufärben. Die Zukunft macht einen auf ungewiss.

Aber ist das tatsächlich so etwas Neues? Ich fürchte, nein.

In fast jedem Schülerleben kam irgendwann doch einmal der Zeitpunkt, an dem man sich aufsatzartig zum Leben in der Zukunft zu äußern gezwungen sah. Bei uns hieß das Thema damals: „Unser Leben im Jahr 2000“. Ich weiß noch, dass ich als Viertklässlerin ziemlich vom Leder zog, irgendwas zusammenphantasierte mit Robotern, die dann den gesamten Haushalt schmeißen und Helikoptern, die einen zur Schule oder zum Arbeitsplatz fliegen könnten. Man wusste ja immer so ungefähr, was Lehrern gefällt.

Heute, mehr als 16 Jahre über dem Stichjahr 2000, hat mich die Gegenwart natürlich ganz anders belehrt. Den Haushalt macht noch immer jemand sehr Unprofessionelles (ich) und zur Arbeit fahre ich mit dem Rad.

Im ersteren Fall hoffe ich, dass sich die Roboter tatsächlich bald flächendeckend durchsetzen.

Was aber das Wichtigere an der Rückschau ist: Die Tatsache, dass Zukunft immer anders antanzt, als man denkt. Zukunft, die alte Antänzerin! Natürlich kennt man als Erwachsener verschiedene Prognosen, man kennt den Club of Rome und einschlägige Trendforscher. Manch einer war vielleicht auch bei der Dame mit der Glaskugel. Oder bei der mit den Karten.

Ich glaube, dass das alles keine Zukunftsvoraussagen sind. Allenfalls Alarmsignale, bei denen der Mensch gegenzusteuern hat, wo er sich anschickt, mit seinem unsinnigen aktionistischen Tun längerfristig ins Gewicht fallenden Mist zu verzapfen. Darin sind wir ja ganz gut.

Was wir tun können, ist auch im Jahr 2016 gar nicht so furchtbar viel, um die Zukunft zu determinieren. Wir können allenfalls pfleglich mit der Erde und dem Mitmenschen umgehen. Bei eher misanthropem Gemüt jeweils beide wenigstens in Ruhe lassen.

Wir können den Fortschritt suchen auf Gebieten, auf denen wir ihn dringend benötigen. Nicht auf dem Gebiet der „modernen Kriegsführung“ (allein die Phrase ist ein Widerspruch in sich),  nicht auf dem Gebiet der Unterhaltungselektronik und der zunehmenden Automatisierung auf dem Sektor der Dienstleistungen oder im Alltag allgemein. All das ist perverser Fortschritt, der sich längst GEGEN den Menschen wendet.

Wirklichen Fortschritt aber brauchen wir in der Medizin. Wir müssen Mediziner, Forscher, Wissenschaftler unterstützen mit allen Mitteln, daran zu arbeiten, Leben zu verlängern, wenn es verlängert werden WILL. Das hat nichts mit dem dampfwalzenden Einsatz moderner Gerätemedizin gemein, die sich erst AMORtisieren muss. Schade, dass Amor sich in dieses Wort verirrt hat.

Es hat auch etwas damit zu tun, Krankheiten wie Krebs in einen überschaubaren Bann zu bekommen, unnötiges Leid und Leiden zu verringern und menschliche Ansprache zurück in die medizinische Betreuung zu bekommen, weil man dem – wie auch immer gearteten Personal – die Arbeitsbedingungen und die Zeit dafür schafft. Das wäre schon mal ein prima Fortschritt.

Hätten wir all das schon in der vierten Klasse gewusst, wären wir jetzt vielleicht Präsident. Oder gar Präsidentengattin.

Machen wir uns keine Gedanken mehr: Die Roboter übernehmen ohnehin bald.

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