Am kommenden Montag beginnt es – das Jubiläumsjahr „500 Jahre Reformation“. Über ein Jahr kann darüber nachgedacht und – hoffentlich! - gestritten werden, welche Bedeutung die Ereignisse am Beginn des 16. Jahrhunderts für die Menschen und die Gesellschaften nicht nur in Mitteleuropa heute haben. Dabei wird es darauf ankommen, dass wir das Reformationsjubiläum weder national noch religiös-konfessionalistisch verengen.
Weder sollten wir den Protestantismus zu einer „Erlösungsreligion“ von Rom stilisieren, noch die Reformation zur Geburtsstunde der deutschen Nation und Martin Luther zum Nationalhelden erklären. Leider wurde Letzteres insbesondere im 19. Jahrhundert betrieben und führte nicht nur zur unseligen Allianz von Thron und Altar. Die deutsch-nationalistische Ideologisierung der evangelischen Kirchen hat einen nicht unerheblichen Anteil am Terrorregime des Nationalsozialismus. Das gilt es immer wieder in Erinnerung zu rufen in einer Zeit, da rechtspopulistische Parteien in Europa darangehen, ihre antidemokratische, antifreiheitliche, menschenfeindliche Politik christlich zu verbrämen und propagandistisch als Verteidigung des „christlichen Abendlandes“ zu verklären.
Wenn wir heute zurückblicken auf das Reformationsgeschehen, dann sollten wir die Ereignisse im 16. Jahrhundert vor allem als eine Befreiungsgeschichte verstehen. Denn die Erkenntnis der Reformatoren, dass der Mensch seine Rechtfertigung und damit seine Freiheit nicht aus sich selbst heraus, auch nicht als käufliches Almosen der Herrschenden, sondern als Geschenk, als Gnade Gottes empfängt, hatte Auswirkungen auf alle Lebensbereiche. Durch diese Erkenntnis konnte sich der Mensch von der Bevormundung kirchlicher und weltlicher Hierarchien befreien. Das führte fast zwangsläufig zu zweierlei: Zum einen sahen die unterdrückten, geknechteten Teile der Bevölkerung wie die Bauern die Chance, sich als gleichwertige Teile der Gesellschaft zu verstehen und ihre Rechte einzuklagen. Ihnen verdanken wir ein Urdokument der modernen Demokratie: die 12 Artikel der Bauern von 1525. Zum andern aber versuchten die alten weltlichen und kirchlichen Machtzentren, ihren herrischen Einfluss gegen die aufstrebenden Bevölkerungsgruppen zu verteidigen, Emanzipation zu verhindern und Bildung zu begrenzen.
Jedoch konnten sie nicht aufhalten, was bis heute nachwirkt: die urbiblische Erkenntnis, dass jeder Mensch seine Rechtfertigung vor Gott findet, weil jeder Mensch als Geschöpf des einen Gottes mit Recht und Würde gesegnet ist. Im „Kleinen Katechismus“ hat Martin Luther dies wunderbar zum Ausdruck gebracht: „Ich glaube, dass mich Gott geschaffen hat samt allen Kreaturen, mir Leib und Seele, Augen, Ohren und alle Glieder, Vernunft und alle Sinne gegeben hat und noch erhält.“ Heute können wir dies nur noch global und universal, also ökumenisch auf alle Menschen bezogen verstehen – so wie die biblische Schöpfungsgeschichte aus sich heraus nur interreligiös und interkulturell auszulegen ist. Darum steht sie wie eine Präambel als Urevangelium am Anfang unserer Bibel. Wir können unser Leben in einem unmittelbaren Gegenüber zu dem einen Gott sehen und darin die Keimzelle aller Freiheit, aber auch aller Verantwortung erkennen. Gleichzeitig ist dies die Quelle von Menschenwürde und Demokratie. Denn das, was für mich gilt, kann ich dem nahen und fernen Nächsten nicht vorenthalten. Dieser Gedankengang war auch für die Reformatoren fast eine Überforderung. Das belegen die in abscheuliche Gewalt ausartenden Streitigkeiten im 16. und 17. Jahrhundert, aber auch Luthers Verbalexzesse gegen die Juden. Doch 2017 ist nicht Separation, sondern Integration angesagt.
Heute werden wir nur dann glaubwürdig an die Errungenschaften der Reformation erinnern können, wenn wir das Glaubenszeugnis „von der Freiheit eines Christenmenschen“ (Luther) universal verstehen, also alle Menschen einbeziehend, ohne von ihnen zu verlangen, dass sie genauso denken und glauben wie wir selbst. Wie sonst wollen wir heute Christus bezogen in einer Gesellschaft leben, in der sich die Vielfalt der Schöpfung Gottes nicht nur in unterschiedlicher Haarfarbe und Körpergröße zeigt, sondern auch in der Vielfalt von Herkunft und Hautfarbe. Wer in Jesus Christus das Heil der Welt sieht, folgt den Maßstäben, die wir ihm verdanken: Barmherzigkeit, Gerechtigkeit, Gewaltlosigkeit, Ehrfurcht vor dem Leben. Darin findet Freiheit ihre Begrenzung und Verantwortung ihre Gestalt.
In diesem Sinn kann reformatorischer Glaube nur international, die Grenzen von Konfession und Religion überschreitend und unter den Bedingungen der Demokratie und der Pluralität gedeihen. Mehr noch: dieser Glaube muss da, wo diese Bedingungen gefährdet oder gar nicht vorhanden sind, seinen Beitrag dazu leisten, dass Menschen zu gleichberechtigter Teilhabe am Leben gelangen. Das Reformationsjubiläum werden wir dann angemessen feiern, wenn es sich nicht in allgemeinen Freundlichkeiten zwischen katholischen und evangelischen Bischöfen erschöpft. 2017 ist nicht so sehr das Thema, wie es um die auf zwei Konfessionen beschränkte Ökumene steht. Thema sollte sein, ob wir das erhalten und verteidigen, was auch ein Ertrag der Reformation ist: die Demokratie, die Freiheit nicht nur der Religion, die gleichberechtigte Teilhabe aller an Einkommen, Arbeit, Bildung, die Pluralität des Lebens. Darum sollten wir mit protestantischem Selbstbewusstsein und im ökumenischen Geist das Reformationsjubiläum unter dem Dreiklang feiern: Freiheit – Bildung – Verantwortung.*
* Dieser Dreiklang entstand vor einem Jahr in einem längeren Gespräch zwischen Pfarrerin Britta Taddiken (Thomaskirche), The Rev. Dr. Robert Moore (jetzt der Reformationsbeauftragte der ELCA und der Stadt Leipzig) und mir. Weil bis jetzt eigentlich nicht klar ist, was die Evangelische Kirche 2017 feiert, haben wir nach einem kurzen, griffigen Motto gesucht. Siehe auch http://wolff-christian.de/reformationsjubilaeum-2017-was-wollen-wir-feiern/
In eigener Sache – Wir knacken gemeinsam die 250 & kaufen den „Melder“ frei
https://www.l-iz.de/bildung/medien/2016/10/in-eigener-sache-wir-knacken-gemeinsam-die-250-kaufen-den-melder-frei-154108
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