Im Vorfeld des 10. September hatte es bereits mächtig rumort in Schönefeld. Von einer Machtdemonstration seitens der United Tribuns (UT) war hier und da die Rede, von einem unnötigen Trauermarsch quer durch das gesamte Viertel. Stattgefunden hat er dennoch, am Abend vor dem 10. September gab es die Auflagen seitens der Stadt, welche den Gang der Gang von der Ossietzkystraße bis zum Tatort an der Eisenbahnstraße in der Durchführung als Demonstration einstufte. Eine Entscheidung, die auch am Tag selbst zu staunenden Gesichtern am Rand und hörbarem Protest Einzelner vor Ort und im Netz führte. Und zu einer Spielabsage am anderen Ende der Stadt.
Rund 100 bis 120 United Tribuns und Sympathisanten waren gekommen, um am Trauermarsch für Veysel A. quer durch Schönefeld teilzunehmen. Noch bevor man den Auflauf aus massigen Gestalten erblicken konnte, sah man die Wirkung der Veranstaltung im gesamten Quartier. Der Streckenverlauf über die Gorkistraße, Kohlweg und Mariannenstraße bis zur Eisenbahnstraße war gepflastert mit Einheiten der Polizei, welche sich seit 15 Uhr massiv in Stellung gebracht hatten.
Beamte mit Maschinenpistolen, durch Einsatzfahrzeuge abgesperrte Nebenstraßen und ein strategisches Gesamtbild, welches sich ein Polizeihelikopter aus der Luft verschaffte. Nicht ganz unverständlich – die in Konflikt geratenen United Tribuns und die Hells Angels neigen nicht dazu, mit der Polizei zu kooperieren und der letztlich friedliche Verlauf des Marsches stand in Zweifel angesichts des Anlasses.
Am Rand überwiegend staunende Passanten mit Handys in Fotohaltung, während in der Straßenmitte der vorrangig aus Männern bestehende Zug von der Mariannenstraße zum Tatort Eisenbahnstraße, Ecke Neustädter Straße gelangte. Der Empfang hier: die wartende Presse, überwiegend jugendliche Schaulustige und einige Gäste auf dem Freisitz des Imbisses am Eck.
Die Trauerfeier begann und umgehend versuchten Ordner der Tribuns, der umstehenden Presse klarzumachen, dass nun keine Fotos und keine Gespräche untereinander mehr erwünscht seien. Hielt man sich nicht daran, konnte man einen kurzen Eindruck davon bekommen, wie Tribuns das „Böse gucken“ scheinbar täglich üben.
Was eine auf der Eisenbahnstraße vorbeistürmende Frau wenig scherte – doch ihr unverständliches Protest-Gebrüll verhallte und 20 Minuten später gings retour für den Trauerzug Richtung Ossietzkystraße. Und vor Ort? Machte sich erstmals der Unmut über die öffentlichkeitswirksame Trauerveranstaltung der United Tribuns und den nötigen Aufwand breit.
Machtdemonstration oder Trauerfeier? Gemischte Gefühle.
„Das wollen die doch nur! Dass hier alle gucken kommen. Für mich ist das einfach ein Drogendealer weniger.“ Die Frau sitzt rauchend auf dem kleinen Freisitz und schaut auf den niedergelegten Trauerkranz und seinen Bewacher. Für sie ist es eine Demonstration von Stärke, die sie gerade miterleben durfte. Ob der am 25. Juni von einem Hells Angel keine 5 Meter von ihrem Sitzplatz entfernt erschossene Veysel A. mit Drogen gehandelt hat oder nicht, weiß sie nicht wirklich. Und „alle“ kamen wohl nicht gucken, die Hells Angels sollen nach Szeneinformationen am Samstag in Berlin bei einer Veranstaltung gewesen sein.
Es ist ein Gefühl von „ich will das hier nicht“ – doch es ist da. Spätestens seit dem Tag, als der mutmaßliche Täter Stefan S. (30) die Waffe zog und sieben Mal auf die heranstürmende Gruppe der United Tribuns schoss, steht die Frage, ob sich die Lage wieder beruhigt oder es eine Fortsetzung im Viertel gibt. Derzeit sieht es eher nicht so aus – die United Tribuns wirkten nach den Schüssen auf der Eisenbahnstraße passiv und versuchten öffentlich deutlich zu machen, dass keine Rache geplant sei.
Im Imbiss bei der Bedienung herrschen dennoch ebenfalls gemischte Gefühle. Der Umsatz sei zwar seit der Schießerei am 25. Juni eher wegen der Ferienzeit etwas zurückgegangen, aber so ganz wohl ist auch ihr nicht angesichts der Bilder vor dem Geschäft. Doch die großen Ankündigungen seitens Oberbürgermeister Burkhard Jung, die Spielhallen und den Wettbetrieb auf der Eisenbahnstraße zu bekämpfen, treffen hier nur noch auf Unverständnis. Wenige Meter weiter soll demnächst das nächste Wettbüro eröffnen – politische Kraftmeiereien will man da nicht mehr hören. Unverständnis bleibt, auch hier, wo das kalte Schnitzel im Brötchen mit einer sauren Gurke und Salat für 3 Euro durchaus liebevoll aufgewertet wird.
Kein Wunder für Karsten Trahn (SPD) vom Bürgerverein Schönefeld. Bereits im Vorfeld hatte der Verein viele Anfragen und Hinweise von Bürgern bekommen. Einhelliger Tenor: Trauerfeier ja, aber wieso muss man dafür durchs ganze Viertel ziehen. Seine Reaktion kurz vor dem Start auf Facebook: „Gegen eine Trauerveranstaltung haben wir nichts, jedoch gegen einen Machtmarsch/Demonstration.“ Hauptgesprächsthema im Viertel sei gewesen, warum dieser Zug überhaupt genehmigt wurde, so Trahn gegenüber L-IZ.de.
„Positiv wurde das jedenfalls hier nicht aufgenommen“, so der Vereinsvorsitzende zum heutigen Ablauf. Unverständnis gab es auch dafür, dass es dadurch Einschränkungen beim lange vorbereiteten Parkfest in Schönefeld gab.
Umgeleitete Straßenbahnen hatten das Hinkommen erschwert und Parkmöglichkeiten wurden eingeschränkt. Nicht nur für die Parkfestbesucher. Ein sichtbar als BVB-Fan erkennbarer Mann steht schwitzend im Imbiss, als die Tribuns bereits wieder abgezogen sind: „Ein Bier bitte. Ich bin jetzt drei Haltestellen gelaufen, fahren die Bahnen ab hier wieder?“
Wenig später in der 3 Richtung Stadion auf Höhe des Hauptbahnhofes dann nur noch ein Thema: RB Leipzig gegen den BVB. Das überraschende 1:0 für Aufsteiger RBL hat dabei noch eine weitere Note.
Es ist überhaupt ein Ergebnis, während andere nicht einmal Fußball spielen konnten. Das Spiel zwischen der BSG Chemie und dem FC International Leipzig hatten die Sicherheitsbehörden heute im Vorfeld wegen „Sicherheitsbedenken“ gleich ganz abgeblasen. Hier dürften an diesem 10. September schlicht die Einsatzkräfte der Polizei in Leipzig gefehlt haben.
Ein Video am Schluss
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