Manchmal muss man auch dahin gehen, wo es wehtut. So verschlug es mich gestern in einen Discounter, den die meisten Menschen, die ich kenne, mit etwas zu bezeichnen pflegen, das so ähnlich klingt wie „Woll-Wort“. Schmerzhaft war – das sei gerechterweise bemerkt – im Grunde nichts, allerdings konnte man schon ein bisschen durcheinanderkommen, was das Kirchenjahr so betrifft. In einer Ecke hatte man sich auf Merchandising-Produkte zur Thematik des Oktoberfestes festgelegt, rechts davon fand sich noch etwas Rest-Badebekleidung, links davon türmten sich bereits Schwibbögen, Weihnachtsmann-Mützen mit der obligatorischen Illuminierung und etwas verpackter Schnee auf Kunststoffbasis.
Im Eingangsbereich hatte man sich aufs Wesentliche konzentriert und bot die üblichen Reformationstags-Artikel an: blutige eingeschweißte Herzen sowie diverse Strünke menschlicher Gliedmaßen, während draußen vorm Schaufenster Einheimische in Bermuda-Shorts ein Erntedankfest feierten. Ich ging die Osterartikel suchen.
Aber mal im Ernst: Der Handel hat sicherlich die Realität auf seiner Seite. Wenn ordentlich Umsatz gemacht wird, fallen Ostern und Weihnachten ohnehin zusammen. Klar. Trotzdem fühlte ich mich unwillkürlich an das vergangene Jahr erinnert, als ich Ende Oktober in eine Filiale einer Drogeriekette geriet, die in ihrem Namen dem Berliner Bürgermeister Ehre erweist. Ebendort stapelten sich förmlich die Menschen in der Halloween-Artikel-Abteilung, die zum Zeitpunkt vielleicht nicht restlos leer gekauft worden war, aber doch schon anständig geplündert. Lediglich ein paar Strumpfhosen mit Skelett-Aufdruck, ein, zwei Vampirgebisse und ein Haarreif aus roten Rosen, aus denen ein kleiner Totenschädel hervorlugte, waren noch zu haben.
Um es vorweg deutlich zu sagen: Ich verstehe, dass Kinder auf jedes Kostümfest abfahren, das sich ihnen bietet. Logo.
Logisch auch, dass ihnen dieser entfesselte Mummenschanz besser gefällt als ein paar abstrakte Geschichten, die sich um einen alten dicken Mann in einem amorphen Kittel ranken, der irgendwas für sie absolut Fünftrangiges an eine Kirchentür gerammelt haben soll. Das ist allzu verständlich. Aber eines ist ja wohl auch klar: Dass man besser weder in Thüringen noch in Sachsen (und schon gar nicht in Sachsen-Anhalt) eine Umfrage unter Erwachsenen startet, was ihnen der Reformationstag bedeute, wenn man nicht … tja, wenn man nicht vom Glauben abfallen will wie ein desillusionierter Blutegel beim Aderlass. Ich will das gar nicht tadeln oder werten. Der Lauf der Dinge ist eben so.
Das Seltsame ist nur, dass man diesen kümmerlichen Rest an kulturellen Säulen, die eben auch religiöse Säulen sind, gegen den Islam zu verteidigen sucht. Wenn im letzten Jahr immer wieder die Rufe nach der Verteidigung „unserer Werte“ und unseres Grundgesetzes laut wurden, dann wirft dies einen verklärenden Schleier über unseren wirklichen Gott. Mögen jene mir verzeihen, die täglich mit dem unter der Achsel eingeklemmten Grundgesetz unsere zahlreichen westlichen Werte zu verteidigen suchen, aber das Schlüsselwort unserer Gebete heißt: Kohle. Ausschließlich.
Und auch, wenn wir den Begriff „christlicher Werte“ seit Ewigkeiten scham- oder gedankenlos missbrauchen (Oder warum leisten wir uns unwidersprochen das Späßchen einer „CSU“?), könnten wir doch Feiertage auch einmal so gestalten, dass wir ein bisschen Ehrlichkeit walten lassen und formulieren, worum es uns wirklich geht.
Wie? Es ist so verdammt schwer, das zuzugeben? Stimmt. Ironischerweise käme Hilfe ausgerechnet seitens unserer abendländischen Religion: Die sieben Todsünden listen ein Übel nämlich gar nicht auf – die Heuchelei.
Wir können also – sehr frei nach Marcuse – weitermachen.
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