KommentarDas war dann doch mal der richtige Kommentar zum Text: „Sieh ihm in die Augen und frage, was er in verantwortlicher Position tun würde. Nach kurzem Stutzen würde die Antwort kommen: dasselbe. So ist er eben, der Mensch, das Volk.“ - Wirklich? - Eigentlich trifft es den Nagel sogar auf den Kopf: Natürlich machen die Phantasielosen immer „dasselbe“. Wenn man etwas anders machen will - nicht nur in Europa - braucht man eine andere Erzählung.
Das hat jetzt nichts mit der alten griechischen Legende um Zeus als Stier und die geraubte Europa zu tun. Aber die heutigen Legendenerzähler rutschen ja immer wieder in diesen 4.000 Jahre alten Zeithorizont zurück und merken nicht mal, dass falsche Geschichten keine Erklärung für die Gegenwart bieten.
Dasselbe trifft übrigens auch auf die nun 1.000 Jahre wirkende, mittlerweile falsche Geschichte vom Krieg oder Gespräch der Religionen zu, die heute wahlweise bei Innenministern oder Religionsvertretern erzählt wird.
Es sind alte Geschichten, mit denen sich die Menschen ihrer Zeit eine Erklärung für ihre Welt geschaffen haben, wie sie war. Solche Geschichten müssen nicht immer stimmen oder gar richtig sein – solange sie funktionieren. Zum Beispiel, um Macht zu definieren und Kriege mit einem Sinn zu versehen. Kriege sind ein gutes Beispiel für das Wuchern falscher Geschichten.
Auch Staaten haben ihre großen Geschichten, ihre Leit-Märchen, die man dann oft Mythen nennt. Für die Bundesrepublik aktuell zu besichtigen in der Ausstellung „Deutsche Mythen seit 1945“ im Zeitgeschichtlichen Forum in der Grimmaischen Straße. Eine Ausstellung, die auch deutlich macht, wie Mythen gemacht werden, wer sie erfindet und wie sie genutzt werden, um eine gemeinsame Identität für größere Menschengruppen zu schaffen. Manche Mythen sind dort auch nicht ausgestellt, was auffällt.
Denn Mythen sind auch immer eine Macht-Frage: Wer die Deutungshoheit über Mythen hat, bestimmt, welcher Sinn der Gegenwart zugeschrieben wird.
Auch das ist in der Ausstellung gut zu sehen: Mythen entstehen in einem Wechselspiel aus Politik und Medien. Wer den Zugriff auf die Medien mit der größten Verbreitung hat, besitzt den Zugriff auf die Meinungsbildung. Mehr haben die meisten Menschen nicht. Sie lassen sich eine Meinung bilden. Wobei „Bild“ dabei nicht der größte Spieler ist im Land, sondern es sind die großen Fernsehsender. Sie prägen im Land die Meinung. Sie bestimmen, welche Mythen immer wieder neu verbreitet und gestärkt werden, bis sie scheinbar das sind, womit sich ein ganzes Land identifizieren kann.
Dass es banale Mythen sind, liegt – aus unserer Sicht – nicht nur in der Natur der Sache, sondern ist gewollt. Staatstragende Medien werden niemals Geschichten entwickeln, die über den aktuellen Bestand der „schönsten aller Welten“ hinausweisen.
Deswegen gibt es auch aus deutscher Sicht keine große Erzählung für das heutige Europa. Was nur zum Teil mit der Phantasielosigkeit unserer heutigen Leit-Medien zu tun hat. Das hat System. Darüber muss man nicht nachdenken. Aber es hat etwas mit Hierarchien zu tun: Wer einem Herrn zu dienen hat, der wird sich jede Phantasie, die über sein Gnadenbrot hinausreicht, verkneifen.
Wer in deutschen Fernsehanstalten arbeitet, dient einem Herrn. Oder mehreren Herren. Das sind die Medien, die in unserem Land Meinung machen. Ein phantasieloser Haufen. Dem sich all jene, die eigentlich gewählt wurden, um Politik zu machen, angedient haben. Die Mächtigen sind Opfer ihrer eigenen Eitelkeit geworden und leben in peinlichster Symbiose mit den Medien, einer des anderen Schatten. Keiner ist mehr unabhängig. Ein anderes Wort für unabhängig wäre: souverän.
Und da sind wir bei dem fast schon verzagten Leserkommentar: Wie soll ein wählbarer Politiker die Dinge anders machen, wenn er nicht mehr souverän ist? Wenn das Medium, das er kontrolliert, auch ihn kontrolliert und desavouieren kann, wenn er sich nicht mehr an die vereinbarte Geschichte hält?
Denn das sind ja die heutigen „Meinungen“ und „Großgeschichten“: vereinbarte Erzählmuster. Wer sich nicht daran hält, bekommt den ganzen Grimm einer auf wenige Erzählmuster gleichgebürsteten Medienwelt zu spüren.
Und ich meine damit nicht die Narren von Sarrazin bis AfD, die eigentlich nichts anderes tun, als die erlaubten Erzählmuster in Schulhofwitze zu verwandeln. Der ganze moderne Sexismus und Chauvinismus ist ja nichts anderes als die in Hohn und Spott verkehrte Selbstinterpretation des heutigen braven Wohlstandsbürgers. Es sind die alten Mythen – nur mit Häme erzählt.
Und das fixt Wähler an? Peinlich genug. Aber auch logisch, denn in ihren Lieblingsmedien bekamen sie die Soße ja – ohne Schaumkrone – immer wieder serviert. Ob „Wirtschaftswunder“, „Wunder von Bern“ oder „Sommermärchen“ – es ist alles eine Soße: das Kirremachen mit ein bisschen von „Wir sind wieder wer“.
Und natürlich taucht da die Frage auf: Warum gibt es niemanden, der wirklich andere Geschichten erzählt?
Denn dass Menschen – gerade wenn sie gemeinsam ein Großprojekt wie die EU gestalten wollen – eine Leit-Geschichte brauchen, ist eigentlich klar. Zumindest denen, die mal darüber nachgedacht haben, wie Menschen es überhaupt aushalten, in größeren Gruppen zu leben und sich nicht gegenseitig den Schädel einzuschlagen. Die letzte große Leitgeschichte für Europa wurde übrigens vor 250 Jahren geschrieben von einem gewissen Jean-Jaques Rousseau: „Du contrat social ou principes du droit politique“. Der „Gesellschaftsvertrag“. Seit 1789 hat die Idee als „Freiheit Gleichheit Brüderlichkeit“ die europäische Geschichte vorangetrieben, hat den Völkerbund und die EU hervorgebracht.
Und dann?
Dann hat man die Sache den Managern überlassen.
Managern, die die EU wie einen Großkonzern steuern, nicht wie eine verantwortungsvolle Regierung für einen Kontinent der Kulturen.
Manager sind keine Entwickler von Visionen. Sie können auch keine Geschichten erzählen, die tragen und begeistern. Dann, wenn Visionen gefragt sind, kommen sie mit Verwaltungskram. Und mit Geld. Der Rest ist Ratlosigkeit. Das ist unsere EU-Regierung, die keine ist.
Und wo wir schon mal beim Erzählen sind: Warum funktioniert die Manger-„Erzählung“ nicht? Was fehlt da?
Pratchett-Freunde, die auch seine Wissenschaftler-Freunde Ian Stewart und Jack Cohen kennen, kennen das Wort: Pan Narrans. Sie haben diesen (noch nicht wissenschaftlichen) Terminus eingeführt, um diesen erzählenden Affen anders zu erklären als mit dem eher irreführenden Begriff Homo Sapiens. Denn wissend und weise ist dieses Geschöpf ja eher nur selten. Aber eine Eigenschaft unterscheidet es augenfällig von anderen Primaten: Seine Suche nach einem Sinn in all den Dingen.
Und einen Sinn bekommen die oft recht sinnlosen Ereignisse, wenn man sie als Geschichte erzählt.
Soweit zur Einführung in ein Thema, das den „Leuten, die man so fragt“, so völlig unbegreiflich scheint. Wie kann man denn die Dinge anders machen?
Unser erster Vorschlag: Schmeißt die Manager raus.
In eigener Sache – Eine L-IZ.de für alle: Wir suchen „Freikäufer“
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