Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber „Laptop-vor-fremden-Leuten-Herzeigen“ ist für mich wie Hose-Runterziehen auf offener Straße. Vor ein paar Wochen war es mal wieder so weit. Der Urlaub war zu Ende und in der Sicherheitskontrolle am Flughafen mein Laptop ins Visier der Beamtinnen geraten. Man muss dazu vielleicht wissen - mein Laptop ist etwas speziell: Ich habe ihn vor über zehn Jahren in Gebrauch genommen, ihm fehlen mittlerweile 23 Tasten, ständig muss ich mit einer externen Tastatur herumfuhrwerken. Trotzdem: Ich liebe ihn, er beinhaltet mein halbes Leben, fünf Millionen Bilder, Musike, einen dreiviertel Roman und Dutzende alter und neuer Zeilen.
Jetzt musste ich ihn Fremden zeigen. Fremden, die ihn entsetzt und misstrauisch anstarrten, die auch noch eine Kollegin herbeiwinkten und befremdeten Blickes mit Fingern auf ihn wiesen. Es war beschämend. Ich fühlte mich wie der Patient in der Geschichte von Max Goldt, der wegen seines Ausschlages vom Arzt verhöhnt wird.
Da kam mein Kind unverhoffterweise ins Spiel, lachte die Damen an, zeigte auf die fragmentarische Tastatur und dann auf sich und sagte stolz: „Das war ich!“ Ein befreiendes Gelächter auf griechischer Sicherheitsbeamtenseite erfolgte, ich durfte meinen versehrten Laptop zuklappen und wir konnten unserer Wege ziehen.
Da war er wieder, der menschliche Kern. Das gemeinsame menschliche Vielfache, an dessen Existenz ich so sehr glaube.
Man kann mich millionenfach der Naivität zeihen, ich bleibe dabei: Menschen haben einen gemeinsamen Kern. Egal, woher wir kommen, egal wie wir aussehen und wessen Eltern Kind wir sind. Wir fremdeln, ja, aber wir können einander im Grunde nicht fremd sein, denn tief drinnen ist ein menschlicher Kern, eine menschliche Essenz, die uns verbindet. Die Milde gegenüber Kindern zum Beispiel ist etwas zutiefst Verbindendes oder die Hoffnung auf bessere Zeiten, das Bedürfnis nach Sicherheit … Wir müssen hier nicht diesen Maslow und seine tausendmal durch die rhetorischen Mühlen gedrehte Pyramide anführen. Man weiß das doch in- und auswendig.
Es geht in unseren Breiten nun mal nicht jeden Tag ums Eingemachte. Glücklicherweise. Wir können uns von einer völlig anderen Kategorie von Problemen das Leben schwer machen lassen, als die Leute, denen noch die schmerzhafte Erinnerung an ihrer ehedem so wundervollen Heimatstadt Damaskus oder Aleppo in den Knochen sitzt. Wir können den Schulanfänger mit einem Bleistift mit Noppen zum besseren Festhalten in die Schule schicken oder mit der Schere für Linkshänder. Wir können uns über zu wenige Radwege in der Innenstadt beklagen oder uns die Sorge ganz krank machen lassen darüber, wer den schönsten Cocker Spaniel im Dorf hat. Das ist alles schlimm und ein großes Glück gleichermaßen. Wir haben zweifelsohne das Recht auf eigene Bredouillen.
Das Recht auf Abstumpfung aber existiert nicht. Und trotzdem lassen wir zu, dass der neue Mitmensch bedroht wird. Dass Menschen, die aus welchen Gründen auch immer bei uns gelandet sind, die Zufluchtsstätte unterm Arsch angezündet wird, weil man damit eben seine „Sorgen und Nöte“ zum Ausdruck bringen will! Dass Menschen, die sich erlauben, gegen diesen Wahnsinn ihre Stimme zu erheben, samt Familie bedroht und eingeschüchtert werden. Dass ständig auf Kindergartenniveau herabgesunken wird, wenn es um Streitkultur geht: „Aber die Linksautonomen, na na nananana, die dürfen alles, oder was?!
Ich will das alles nicht mehr hören. Ich will diesen Unsinn nicht mehr hören von den „Wirtschaftsflüchtlingen“, die nur unsere Handys haben wollen, um blonde deutsche Frauen anzurufen, um mit diesen dann das erschlichene Hartz4-Geld zu versaufen. Diese Strickleiternervensystem-generierte Argumentationsweise wäre so langweilig wie lächerlich, wenn es nicht mittlerweile doch so gefährlich zu werden drohte.
Warum weiß man eigentlich immer so genau, was der Mitmensch, also auch der Flüchtling alles will? Wir sind ja nicht einmal mehr fähig, einander selber zuzuhören! „Gespräch“ wird doch heute schon das genannt, wenn man seinen jeweiligen LinkedIn-Status miteinander vergleicht, das Gegenüber meist doch nur als Empfänger selbstdarstellerischer Ergüsse fungiert.
Wissen wir denn wirklich ganz genau, was der Mensch aus dem Kongo, aus Eritrea oder aus Syrien will?! Für viele scheint festzustehen: Der will unser Leben. Der will so werden wie wir. Der will unseren Bluthochdruck, der will eine hundertstellige IBAN, der will auch fünf Auberginefarben im Haar, der will im Kurzarmhemd auf die Deutsche Bahn schimpfen. Der will komplett vergessen, was ihn bisher geprägt, was er bisher gelernt, was er bislang für Erfahrungen gemacht hat.
Die will und darf er bitteschön auch gar nicht mitbringen. Was sollen wir denn auch damit?! Uns fällt ja auch gar nicht ein, dass wir vom Flüchtling profitieren können, BEVOR wir ihn erfolgreich integriert haben. Erst als „Fachkraft“ wird er uns eventuell mal nützlich sein. Uns, die wir die Auserwählten sind, weil wir im Krankenhaus Schkeuditz oder Döbeln-Süd geboren worden sind und uns nicht der Esel im Galopp verloren hat, kurz hinter der türkischen Grenze.
Zurück! Zurück zum Kern in uns. Zurück zum menschlichen Kern. Verantwortung für sein eigenes Leben übernehmen, wenn es irgendwie geht und den Mitmenschen mit Interesse überraschen. Die ganz Harten können meinetwegen sogar weiter die fast in Verruf gekommene Hilfsbereitschaft auspacken. Für den In- oder Ausländer. Für den Biodeutschen, den Bio-Ausländer oder die eigene Oma. Egal.
Es kommt alles zurück. Ganz sicher.
Irgendwann.
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