KommentarSeit gut einer Woche werden sie debattiert: das Burka-Verbot, die Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft, der Bundeswehreinsatz im Innern, der Zivilschutz in Krisenzeiten. Warum? Weil eine Partei, die das Attribut „christlich“ im Namen trägt, um Stimmenverluste an rechts-nationalistische Parteien wie die AfD bangt. Außerdem meinen nicht wenige, mit diesen Themen das bedienen zu können, was derzeit offensichtlich ankommt: Abgrenzung gegenüber anderen Nationen und Kulturen und Ausgrenzung fremd anmutender Lebensweisen. Jedoch wissen die meisten Bürgerinnen und Bürger, dass diese Debatte mit der sogenannten Sicherheitslage nichts zu tun hat.
Auch lassen sich durch neue Gesetze Terroranschläge kaum verhindern. Trotzdem präsentiert der Bundesinnenminister mit schneidig-preußischem Unterton eine „Berliner Erklärung“, die so tut, als hinge das Wohl und Wehe Deutschlands davon ab, dass sich die Bürgerinnen und Bürger so richtig bedroht fühlen – von voll verschleierten Frauen oder zu vielen Muslimen oder zu militant auftretenden Erdoğan-Fans. Dumm nur, dass die Partei, der die C-Parteien das Wasser abgraben möchten, genau diese ideologische Gemengelage braucht, um ihre militanten Selbstschutz- und Hasstiraden zu landen und Verfassungsgrundsätze zu schleifen. Da äußert die AfD-Vorsitzende Frauke Petry Verständnis dafür, dass sich Bürgerinnen und Bürger selbst bewaffnen, stellt gleichzeitig das Gewaltmonopol des Staates infrage und lehnt eine Verschärfung des Rechtes auf Waffenbesitz ab. Schließlich könne – nach Frauke Petry – in Deutschland niemand mehr seines Lebens sicher sein, nachdem Angela Merkel die Terroristen quasi persönlich eingeladen habe, ihr Unwesen zu treiben.
Da sagt sich der „besorgte“ Bürger, der sein Heil hinter völkischen Mauern wähnt: Da wähle ich doch gleich die, die keine Skrupel haben, die demokratischen Grundrechte auszuhebeln und Menschen mit doppelter Staatsbürgerschaft unter den Generalverdacht des Fremdkörpers zu stellen. Da erscheint eine Frauke Petry, die mal eben den Trump gibt, „überzeugender“ als ein Thomas de Maizière, dem noch ein Mindestmaß an Achtung der Verfassung innewohnt. Doch auch er scheint der Versuchung nachzugeben, jetzt den Menschen noch ein bisschen mehr Angst einzujagen: Niemand soll vergessen, sich mit dem Nötigsten per Hamsterkauf auszustatten; schließlich kann man nicht wissen, was kommen wird.
Man muss innehalten: Wir leben in einem Land, in dem der Alltag trotz aller sozialer Probleme in einem erstaunlichen Gleichmaß auf höchstem Niveau und in größtmöglicher Sicherheit verläuft. Offensichtlich aber ist das für zu Viele unerträglich – öde. Also muss suggeriert werden, als sei der gesellschaftliche Frieden nur ein Schein. Die angebliche Wirklichkeit sieht nach denen, die jetzt die Axt an die Verfassung anlegen, anders aus: Das sind die sexuellen Übergriffe an Silvester in Köln, das sind die Terroranschläge in Würzburg und Ansbach, das sind die Millionen Moslems, die nicht zu Deutschland gehören, das ist „die Nacht, in der Deutschland die Kontrolle verlor“. Selbst die Wochenzeitung DIE ZEIT entblödet sich nicht, in der aktuellen Ausgabe mit dieser reißerischen Überschrift in den Jargon der gewissenlosen „take back control“-Parole der Brexit-Kampagne einzustimmen.
Doch was geschieht hier tatsächlich? Da werden die Verwerfungen der Politik, der Terror im eigenen Land relativiert. Jeden Tag werden in Deutschland weiter Unterkünfte von Geflüchteten angegriffen, jeden Tag starten Rechtsradikale Übergriffe auf Fremde und Andersdenkende, schüchtern Bürgerinnen und Bürger ein und implementieren mitten in den Ortschaften den alltäglichen Faschismus. Kein Wunder, dass der Münchner Amoklauf kaum mehr Thema ist. Denn dieses Verbrechen passt so gar nicht in das mediale Bild einer Republik, die sich von islamistischem Terror bedroht sieht und demokratische Grundrechte zur Disposition stellt. Was aber ist mit dem Terror des Krieges? Ach ja, der findet fernab statt – in Syrien. Keine Partei, auch nicht die mit dem „C“ im Namen, kommt auf die Idee, medienwirksam eine Konferenz zu initiieren, auf der die Frage debattiert wird: Was kann Deutschland zum Frieden im Nahen Osten, zum Ende des Mordens in Aleppo beitragen? Da wird hingenommen, über eine auf wenige Stunden begrenzte Waffenruhe zu feilschen, so als ob es um Öffnungszeiten einer Suppenküche geht – und gleichzeitig wird so getan, als müsse in Deutschland der innergesellschaftliche Katastrophenfall mit allen Mitteln verhindert werden. Es ist schon abenteuerlich, wie sich die Maßstäbe verschoben haben und die Orientierung an der Menschenwürde, Frieden, Gerechtigkeit verloren geht.
Es ist eine verrückte Welt, in der das Normale, das Wesentliche an den Rand gedrängt wird. Doch das Normale, das Wesentliche wäre: in unserem Land alles zu tun, um Menschenverfeindung zu verhindern, die Demokratie zu stärken, den inneren und äußeren Frieden zu fördern – mit den Mitteln, die uns unsere Verfassung ermöglicht. Das andere ist aber genauso wichtig: Krieg und Terror auszutrocknen und die finanziellen, logistischen, technischen Mittel einzusetzen, um kriegerische Handlungen als politische Unmöglichkeit auszuschalten. Dazu sind vor allem drei Dinge nötig: die Waffenexporte konsequent zu beenden, alle Kraft in internationale Friedensprozesse zu stecken und im eigenen Land jeden Tag für die Werte einzutreten, die auf Dauer vielfältiges, freiheitliches, demokratisches Zusammenleben ermöglichen. Hoffentlich werden die nicht genannten demokratischen Parteien diese Gewichtung in den kommenden Wahlkämpfen vornehmen und dadurch Menschen motivieren, die ver-rückten Maßstäbe wieder zurechtzurücken.
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