Nun will Uli Hoeneß seine Drohung vom April 2014 „Das war’s noch nicht.“ wahr machen: Er kandidiert auf der nächsten Mitgliederversammlung des FC Bayern München für den Präsidentenposten und wird voraussichtlich keinen Gegenkandidaten haben. Es ist zu ahnen, wie diese Wahl inszeniert werden wird: wie die Rückkehr des Gladiators, der seine Strafe wie eine Krebserkrankung besiegt hat. Da gerät die schwere Schuld der Steuerhinterziehung zu einer Art Schicksalsschlag, der über Hoeneß hereingebrochen ist.

Unstrittig ist: Hoeneß wurde 2014 rechtmäßig wegen systematisch betriebener Steuerhinterziehung zu einer Freiheitsstrafe von dreieinhalb Jahren verurteilt. Er hat das Gefängnis frühzeitig verlassen können – was dem rechtsstaatlichen Resozialisierungsgedanken entspricht. Er hat seine Steuerschuld beglichen. Er ist nun ein freier, wenn auch vorbestrafter Bürger. Er kann – im gesetzlichen Rahmen – alles tun, also auch ins Präsidentenamt des FC Bayern zurückkehren. Aber auch hier gilt: Nicht alles, was rechtens ist, ist auch richtig. Denn das Signal, das von dieser Kandidatur ausgeht, ist fatal: Ich, Uli Hoeneß, bin etwas Besonderes. Denn ohne mich geht nichts. Ihr braucht mich. Darum mache ich da weiter, wo ich im April 2014 aufhören musste.

Mit dieser Haltung gehört Uli Hoeneß zu den Menschen, die sich nicht (mehr) vorstellen können, dass sich die Welt auch ohne sie dreht. Sie verkennen dabei, dass sie genau diese Überheblichkeit an oder in den Abgrund krimineller Machenschaften geführt hat. Sie wollen signalisieren: selbst eine Strafe, ein selbst verschuldetes Versagen, eine Niederlage können mich nicht aufhalten. Darin ähnelt ein Uli Hoeneß einem Wladimir Putin, Recep Tayyip Erdoğan, Donald Trump – Menschen, die eine kaum fassbare Hybris zur Schau stellen und diese Überheblichkeit auch noch als Dienst am Volk zelebrieren.

Aber auch eine Petra Hinz ist von solchem Syndrom befallen. Vor Jahren hat die SPD-Bundestagsabgeordnete ihren Lebenslauf gefälscht – und lässt nun, da der Schwindel aufgeflogen ist, in einem Interview verlauten: „Ich wollte niemanden täuschen. Aber der gefälschte Lebenslauf ist nicht vom Tisch zu wischen. Doch ich glaube: Dafür wurde ich auch nicht gewählt. Ich war immer nah an den Menschen in Essen, habe meine Arbeit in Berlin gemacht.“ (http://www.wz.de/home/politik/nrw/interview-mit-petra-hinz-thomas-kutschaty-hat-sich-an-keine-absprachen-gehalten-1.2249421)

Auch hier wieder dieses erzwungene, von Selbstmitleid durchgedrungene Eingestehen eines Fehlers. Doch dem Betrug wird keine Bedeutung beigemessen, geschweige denn, dass die Folgen reflektiert werden. Schuld wird nicht als persönliches Versagen angenommen, sondern als Unglücksfall gedeutet, der mit meinem eigentlichen Leben nichts zu tun hat. Dass Wort „Vertrauensbruch“ nimmt eine Petra Hinz erst gar nicht in den Mund, teilt aber kräftig aus gegen diejenigen, die sie zu Konsequenzen gedrängt haben, klagt Würde ein und flüchtet sich gleichzeitig in eine Krankheit. Das haben ein Hoeneß, Trump, Putin, Erdoğan oder die Vorstandsmitglieder von VW nicht nötig.

Aber in der Struktur ist es dasselbe: ein Bewusstsein von persönliche Schuld, von der Begrenztheit und Fehlbarkeit der eigenen Möglichkeiten ist nicht vorhanden, dafür ganz viel Selbstgerechtigkeit und Gnadenlosigkeit gegenüber denen, die einem im Wege stehen oder die es wagen, Kritik zu üben.

Doch das ist nur die eine Seite. Denn eine solche Dreistigkeit übt eine gewisse Anziehungskraft aus. Je kaltschnäuziger die eigene Fehlbarkeit überspielt wird, desto attraktiver scheinen die Hoeneß, Trump und Erdoğans zu werden. Endlich einer, der sich nicht alles gefallen lässt. Endlich einer, der den Institutionen die Stirn bietet. Endlich einer, der sich nicht um Gesetze schert, sondern handelt, macht, sich kümmert – und dabei auch noch – jedenfalls verbal – an die anderen, die Benachteiligten, an mich Normalo denkt. „Putin, hilf uns“ steht nicht von ungefähr auf den Plakaten bei den Pegida/Legida-Aufmärschen. Dass den genannten und allzu vielen Ungenannten aber jeglicher moralischer Kompass abhanden gekommen ist, wird nicht wahrgenommen – nicht zuletzt deshalb, weil man selbst über keinen mehr verfügt. Und so geschieht etwas ganz Abstruses: Diejenigen, die sich nicht zuletzt wegen der Machenschaften autokratischer Führungspersönlichkeiten in Politik und Wirtschaft in einer sozial prekären Lage befinden und in Abhängigkeiten gehalten werden, werfen sich diesen an die Brust in der irrigen Hoffnung, sie würden sie aus ihrem tatsächlichen oder vermeintlichen Elend retten. Dabei merken sie nicht, dass sie von denen an den Abgrund geführt werden, dem sie kaum entrinnen können, während sich die selbsternannten Autokraten rechtzeitig davonmachen.

Wie dem begegnen? Drei Dinge sind unerlässlich: 1. Da derzeit die Grundwerte unserer Verfassung permanent zur Disposition gestellt werden, mehr noch: da es zur Umwertung der Werte kommt – ein Trump ist ein Meister dieser perfiden Strategie – müssen gerade diese offensiv verteidigt werden. Jeder weitere Terroranschlag muss uns darin bestärken! 2. Wir benötigen dringend einen moralischen Kompass. Zu vielen Menschen ist dieser abhanden gekommen. Die ethischen Grundlagen des gesellschaftlichen Lebens müssen auf allen Ebenen der Gesellschaft kommuniziert, debattiert und angewandt werden. Dazu gehören die beiden Einsichten: Jeder Mensch ist ein Geschöpf Gottes; jeder Mensch ist fehlbar und darum der Vergebung bedürftig. 3. Erstes Thema aller politischen Debatten in den kommenden Wahlkämpfen muss sein: das demokratische Zusammenleben stärken und die Europäische Gemeinschaft weiter entwickeln.

Dass diese drei Schwerpunkte sich gegenseitig bedingen, versteht sich. Damit sind aber auch drei Themen benannt, die wir als Kirche mit Blick auf das Reformationsjubiläum auf die Tagesordnung setzen müssen. Denn wir werden nur dann 2017 glaubwürdig ein „Christusfest“ feiern können, wenn wir aus der Gottebenbildlichkeit des Menschen und aus der Fehlbarkeit eines jeden Menschen ableiten, dass die freiheitliche Demokratie die dem biblischen Glauben angemessene Form des gesellschaftlichen Zusammenlebens ist, und entsprechend handeln. Wir sollten endlich offen aussprechen und uns dazu bekennen: Gottesglaube und autokratische Herrschaftsformen in Kirche und Gesellschaft sind unvereinbar! Denn jede Form von selbstherrlichem Machtanspruch auf Kosten anderer ist ein Widerspruch zum 1. Gebot. Martin Luther und weite Teile der Kirchen sind – was das angeht – leider auf halber Strecke stehen geblieben. Wir sollten heute keinen Zweifel daran lassen, dass nur das mühsame, gleichberechtigte Miteinander in einer demokratischen Beteiligungsgesellschaft uns vor all dem bewahren kann, was menschliches Leben zerstört: Nationalismus, religiöse oder politische Absolutheitsansprüche, soziale Ungerechtigkeiten, gewalttätige Ausgrenzung Andersdenkender.

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