Terrorismus beginnt im Kopf. Und er landet dort auch wieder, wenn er sich in Angst verwandelt. Der Psychoanalytiker Martin Altmeyer hat im „Spiegel“ einmal versucht zu erklären, was im Kopf von Terroristen und Amokläufern eigentlich passiert und warum sie überhaupt erst in medienträchtigen blutigen Anschlägen irgendsoetwas wie eine persönliche Befriedigung finden. Das hat eine Menge mit unserer heutigen Selfie-Gesellschaft zu tun.

Schon lange genügt vielen Menschen nicht mehr das pascalsche „Ich denke, also bin ich“. Immer mehr Menschen haben eher das Gefühl, dass ihr Leben irreal ist, nicht greifbar, keinen Sinn hat und kein Ziel. Und dass es irgendwie sichtbar gemacht werden muss. Als Botschaft in allen möglichen sozialen Netzwerken, als Manifestierung in Luxusgütern, als Abgrenzung von Anderen.

Und dennoch kommt man nicht los von der Angst, hängt stundenlang vor den Bildschirmen und saugt alle Nachrichten über die jüngsten Anschläge und Amokläufe auf. Alle Kanäle scheinen voll davon zu sein. Die Kost wird nachgefragt. Und der Eindruck verstärkt sich: So schlimm war es noch nie. Der Terror ist nach Europa quasi zurückgekehrt.

Man müsste eine Menge alter Zeitungen wälzen, um mitzukriegen, dass das nicht stimmt. Nur die Verbreitungswege haben sich geändert. Und die Distanz ist scheinbar kleiner geworden, da jeder Besitzer eines Smartphones sofort live berichten kann vom Tatort. Und sofort füllen sich die Netzwerke auch mit Kommentaren, Einschätzungen, Gerüchten. Binnen weniger Minuten schwillt die Blase an. Und binnen Minuten sind auch Urteile und Verurteilungen in der Welt. Jeder Handyhalter wird zum Richter.

Es ist nicht neu, wird aber so langsam zum Problem: Die modernen Medien sind nicht nur die Bühne, auf der sich die Breiviks mit ihrem künstlich getunten Ego präsentieren können. Sie schaffen und schüren erst die Ängste, die es ohne sie gar nicht gebe, weil man sie anderswo als am Tatort sonst gar nicht zu sehen bekäme. Man wäre nicht „live“ dabei. Denn Amokläufe und Terroranschläge gehören seit Jahrzehnten zur europäischen Geschichte. Manchmal waren es politische Fanatiker, die damit glaubten, ALLER WELT ihre Botschaft beibringen zu müssen, manchmal Idealisten oder politische Radikale. Die Anschläge der RAF sind aber mittlerweile genauso im historischen Datenberg verbuddelt wie das Oktoberfestattentat der Nazis.

Wichtige Erkenntnis: Terror war noch nie das Alleinstellungsmerkmal einer einzigen Religion. Verschiedenste Ideologien und nationalistische Eiferer haben mit Bomben, Messern oder Pistolen versucht, sich die Aufmerksamkeit zu erzwingen, die sie auf friedliche Weise nie bekommen hätten.

Zweite Erkenntnis: Terroristische Akte schaffen ein Vielfaches an Aufmerksamkeit. Sogar über Landesgrenzen. Werden in Indien, Afghanistan oder Afrika Hotels von bewaffneten Tätern überfallen, schaffen es diese Ereignisse auch in europäische Nachrichtenkanäle. Vor allem, wenn Gäste aus Europa oder den USA betroffen sind. Der Filter funktioniert.

Während andere Nachrichten aus diesen Ländern selten bis nie die Aufmerksamkeitsschwelle überschreiten. Medien suchen regelrecht nach einem Angebot, das ihren Nutzern immer wieder die gleiche Aufmerksamkeit abverlangt: Blut und Entsetzen. Man hat erst Süchtige produziert – jetzt verlangen die Süchtigen nach ihrer Droge. Und bekommen sie.

Was ja auch heißt: Terrorismus lohnt sich in der westlichen Aufmerksamkeitsökonomie. Man wird die Ware reißend los – selbst wenn eine blutige Clique sich selbst dabei filmt, wie sie wehrlose Gefangene köpft oder jahrtausendealte Bauwerke sprengt. Der Westen schaut zu. Und die Botschaft kommt an.

Wir wiederholen sie hier noch einmal: „Wir wollen Euch Angst machen. Ihr sollt vor Entsetzen nicht mehr zum Denken kommen.“

Das ergänzt sich bestens mit einer Medienstrategie, die ebenfalls kein anderes Ziel hat, als ihre Nutzer vom Mit-Denken abzuhalten. Das Entsetzen wird zur Unterhaltung. Die Panik wird zum allgemeinen Sofagefühl. Zumindest bei denen, die sich aus dieser Sucht nach dem immergleichen Schrecklichen nicht lösen können. Bestätigt von selber panisch gewordenen Innenministern, die einfach behaupten, die Angst sei schon allgemein. Und die daraus schlussfolgern, jetzt sei es an der Zeit, die Zügel anzuziehen, die Gesetze zu verschärfen und die Freiheiten einzuschränken.

Ändert das was?

Natürlich nicht. Es verstärkt nur das Gefühl des Ausgeliefertseins. Man lese nur den dramatischen Beginn von Ray Bradburys „Fahrenheit 451“.

Es ist das Gefühl, dem unheimlichen Tier da draußen hilflos preisgegeben zu sein. In den Höhlen knistert die Angst. Und macht die Höhlenbewohner anfällig für die Rezepte des großen Zampanos. Und was schlägt der große Zampano jedes Mal vor? – Abschottung, Mauern, Abschiebung, Kontrolle. Die Bilder des Terrors spielen den großen Ausgrenzern und Mauerbauern in die Hände. Sie jubeln fast, wenn sie nach neuen Anschlägen so tun, als würden sie Tränen vergießen.

Und sie sind nur zu bereit, Terror wieder mit Terror zu beantworten.

So haben sie es auf dem Schulhof gelernt. Es hat zwar jedes Mal in eine Eskalation gemündet. Aber was soll’s? Die Freunde der Zampanos freut es, denn jetzt können sie wieder richtig viel Geld verdienen – mit Nato-Draht, Überwachungskameras, Selbstschussanlagen, Splitterbomben. Und wer als Soldat losgeschickt wird in diese Racheträume der Zampanos, dem wird erzählt, er würde für Frieden, Demokratie und Menschenrechte kämpfen und sterben.

Auf alte Lügen werden neue Lügen montiert.

Aber woher kommt dieser Drang zur Rache? Haben wir wirklich nichts gelernt seit den Blutorgien der Römer in Karthago und Gallien?

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