„Cis-Frau sucht Offline-Vergnügung ohne vorheriges Awareness-Training.“ So oder so ähnlich könnten bald Annoncen aussehen. Denn seit ein paar Tagen bin ich schon wieder klüger: Ich lernte, ich sei eine mehrheitsdeutsche cis-Frau und dürfe deshalb im Grunde gar nicht mitreden beim Thema „Tatsächliche oder eventuell in Teilen herbeigeredete Ausgrenzung von Transmenschen und PoCs.“
Wer bei PoCs allerdings glaubt, es handele sich hierbei um all die niedlichen Pokémons, die neuerdings überall gefunden werden wollen, um die überrascht wirkende Smartphone-Jugend auf die Existenz einer Welt jenseits des Bildschirms hinzuweisen, ist gehörig auf dem Holzweg: Unter PoCs versteht man Menschen mit Rassismuserfahrungen aufgrund äußerlicher Eigenschaften, wie die Handreichung des Leipziger Student_InnenRates der Universität Leipzig unter anderem erklärt. Die aus verschiedenen Gründen recht sperrig zu lesende Artikelsammlung macht mit Hinweisen auf die absolute Nichtakzeptabilität von Männerballett und Indianderverkleidungen auf ein schwelendes Problem aufmerksam: stoisch beliebte rassistische, sexistische und transfeindliche Kostüme auf studentischen Faschingsveranstaltungen.
Ganz ehrlich: Ich wusste bisher gar nichts von dieser prekären Sachlage beim Studentenfasching. Das mag vor allem auch daran liegen, dass an mir kein großer Karnevalist verloren gegangen ist, nicht einmal ein Funkenmariechen. Aber ein paar Erfahrungen wussten sich über die Jahre natürlich einzustellen. Man war ja auch einmal Student. Und weiß Gott nicht immer studierend. Auch heute wird es wohl so sein, dass die meisten Studenten die geringste Zeit des Tages als Studierende zu bezeichnen wären, sondern viel mehr als Feiernde, Vögelnde, Frühstücksfernsehende, Schlafende, Herumschwafelnde, WG-Küchen-nicht-Putzende oder als Kühlschranke-in-Fußgängerzonen-unwürdig-Geld-Verdienende. Darauf verwette ich mindestens zehn Beutel Studierendenfutter.
Aber zurück ins Kostüm-Getümmel: Ich habe Karnevalsutensilien aller Couleur gesehen, aller Kunststofflichkeit, alle Höhen und Tiefen der Ästhetik auslotend, alle Facetten der Gesetze der Harmonie knapp verfehlend. Wenn ich das Wort „Fasching“ nur höre, wird vor meinem inneren Auge umgehend getanzt: frenetisch feiernde, enthemmte Menschen, Frauen, die fast ausschließlich eine Netzstrumpfhose tragen, darüber jedoch keineswegs unglücklich aussehende Männer mit Polizeimützen, die sich selbstbewusst Cop nennen, weil das besser als Reviervorsteher klingt, kreischende Sachbearbeiterinnen beiderlei Geschlechts mit Kunsthaar in Farben, bei denen man Ray Charles das erste Mal nicht ausschließlich sein Gesangstalent zu neiden beginnt, Prinzessinnen, die gerade mit schrill-lila Federboas einen Cowboy einfangen, umzingelt von einem Hausfrauen-Reigen mit Kätzchen-Ohren und Leggings.
Man merkt vielleicht: Meine Freude am Karneval ist nur wenig größer als Andorra. Ich bin eben nicht in Köln oder in Mainz aufgewachsen, wo man schon soziale Unruhen riskiert, wenn man am Rosenmontag jemanden telefonisch zu erreichen sucht. In Leipzig versteht sich das Faschingsfest eben vor allem in der Tradition studentischen Ringelpiezes mit Anfassen, dessen beliebt-legendärer Kulminationspunkt immer noch als „DHfK-Fasching“ gefeiert wird. Generationen von Leipzigern sollen dort ihre Zukünftige(n) gefunden haben. Oder losgekriegt. Je nach Schicksal.
Trotzdem gönne ich einem jeden von Herzen die Freude an der Maskerade. Besitzt sie doch Geschichte und vielerlei Sinn – selbst dann, wenn sie in so pragmatisch hemdsärmeliger Ausprägung daherkommt wie im Faschingstreiben. Überbordender Enthusiasmus am karnevalesken Verkleidungszwang ist vielleicht nicht jedermanns Sache, aber allemal besser, als bedrängten sich im Spätwinter Hundertschaften von Menschen mit langwierigen Schilderungen über ihre letzte depressive Episode. Dann doch lieber Maskenfest.
Die Freude an der Maskerade hat schließlich auch etwas bestrickend Kindliches. Kinder haben meist unbändigen Drang, sich zu verkleiden, um in ihren Phantasiewelten ganz authentisch zu sein. Und sie tun es auch – jederzeit, wenn ihnen danach ist. „Heute will ich mal als Cowboy gehen, Mami!“, teilt einem das Kind an einem Hochsommermorgen mit und ist schon mit Fransenweste und Hut aus der Tür. Mein Neffe erschien übrigens ein Jahr lang im Kindergarten jeden Morgen mit einem Bobbyhelm.
Wenn wir jedoch als Erwachsene mit solcherlei Gewohnheiten aufwarteten, liefen wir Gefahr, als sehr exaltiert zu gelten. Wahrscheinlicher noch: Man riete uns zu Medikation. Neben dem Steuererklärungszwang ein weiterer betrüblicher Aspekt des Erwachsenseins: Selbst so etwas wie die offenbar eng zum Menschsein gehörende Maskerade muss ritualisiert ablaufen. In unserer westlichen Welt bleibt letztlich nur der Karneval oder der Maskenball dafür vorbehalten.
Jetzt dafür allerdings auch noch Regeln zu schaffen, die den Charakter des Festes – „Heute ist die Welt auf den Kopp gestellt“ per se unterliefen, halte ich allerdings für wenig weise. Man solle schon Kinder nicht mehr als Indianer verkleiden, vor allem nicht, wenn man sein Wissen über die „Native Americans“ ausschließlich aus Büchern oder Filmen bezogen habe, die diese nicht selbst geschrieben hätten, heißt es zum Bespiel in der STURA-Anweisung. Auch wenn dies in der Konsequenz hieße, nur noch Bücher über den Weltraum lesen zu dürfen, die ausschließlich von Außerirdischen verfasst wurden.
Generationen, die sich durch Karl-May-Romane geschrotet haben oder sich zu Weihnachten selig durch Winnetou 1, 2 und 3 gefuttert, haben sich also arg- aber nicht schuldlos ständig auf rassistische Stereotype eingelassen. Millionen von Frauen, die heimlich in den Apachenhäuptling mit französischem Migrationshintergrund verliebt gewesen waren, gaben später beschämt ausschließlich äußerliche Merkmale wie Grübchen am Kinn oder im Winde flatterndes schwarzes Haupthaar an. Verliebt in einen falschen PoC quasi.
Kein Wunder, dass mit der Nachstellung dieses unwürdigen Phantasiezeugs mit Federschmuck und Co. in Literatur und Film jetzt wirklich ein für allemal Schluss sein soll. Vor allem an Karneval. Man solle lieber als Superheldin oder Polizist gehen, heißt eine Alternative im Manual. Praktisch. Dann kann ein eventuell doch vorkommender Kostümverstoß gleich vor Ort geahndet werden. Und auf der Damentoilette wird der Verkehr endlich politisch korrekt geregelt.
Heute Nacht träume ich vermutlich von einem Männerballett von Lokführer-innen, die hintenrum nur die Transsib verhöhnen wollen. Oder von einem Herrn, der als Agierender 007 verkleidet ungerührt Damen durchschüttelt. Ich weiß. Ich als cis-Frau mit mehrheitsdeutschem Hintergrund, die überdies schlicht sexuell veranlagt ist und sogar Männern verzeiht, dass diese statt fürs echte Halbblut Apanatschi dann eigentlich nur für Uschi Glas schwärmten, darf nicht urteilen, was lustig ist und was nicht.
Aber ein wenig verletzt mich das schon.
Alaaf!
Auf Wunsch eines Lesers hin, hier der Link zur Broschüre “Sexismus im Fasching”
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Keine Kommentare bisher
Was haben die eigentlich für Probleme? Haben die Langeweile oder doch einen an der Klatsche!
Ich habe mich als Frau noch nie diskriminiert gefühlt, auch wenn irgendeine Bezeichnung männlich daherkam. Diese blöden Schreibweisen machen die deutsche Sprache noch schwerer.