Es gibt diese jungen Menschen, die es so richtig aufregt, was da in den letzten Monaten in Sachsen aufwallt. Und sie wollen so einfach nicht leben. Nun ist es sicher das Privileg der Jugend, ohne Kompromisse einzufordern und das Maximum zu verlangen. Doch Dinge ändern bedeutet auch, Altes abzulegen, es als gestrig abzulehnen und es im Zweifel zu bekämpfen. Rassismus ist so ein Thema. Soziale Ausgrenzung auch. Und Wegschauen ebenso. Über den Ansprachen schwebte zumindest teilweise die Frage aller Fragen: Wie wollen wir zusammenleben? Am besten hört man ihnen mal einfach zu.
Nein, den ganzen Trip aus dem Süden bis zum Wagner-Hain mitzumachen, durfte man sich heute auch weigern. Also als älteres Semester. Immerhin ab 12 Uhr waren die GSO-Teilnehmer – teils per Rad und Wagen, doch überwiegend zu Fuß – unterwegs, gegen 16:30 Uhr auf dem Augustusplatz, bevor es noch weiterging zum Richard-Wagner-Hain. Und für die ganz Standhaften zur „Refinanzierungsparty“ im Werk 2 noch ab 22 Uhr bis in den Morgen hinein.
Über den Tag verteilt irgendwie Teilnehmerzahlen zwischen 2.000 und 4.000, wer weiß das schon genau bei all diesem Kommen und Gehen über die Zeit und Strecken. Doch auf dem Augustusplatz wurde dieses Mal erneut gestoppt, um einige Botschaften auszusenden. Im Zentrum wohl die Ansprache von Noah vom „Social Center for all“ Leipzig.
Nicht zuletzt, weil sie in den vergangenen Monaten gleich zweimal das umsetzten, was Maren von der Initiative „Druck machen!“ heute einforderte. Öffentlichkeitswirksame Aktionen hat die Initiative bereits angestoßen – die Spektakulärste am 5. März 2016, als die ehemalige Führerscheinstelle in der Platostraße, Ecke Pragerstraße einfach in Besitz genommen wurde.
Die Polizei rückte kampfbereit an, man verhandelte, offenbar nicht ungeschickt. Ein ausgeharrtes Wochenende und Gespräche mit Oberbürgermeister Burkhard Jung später trat Ernüchterung ein. Ergebnisse aus Sicht der Initiative: Null.
Die städtischen Zusagen, sich des Anliegens eines festen Ortes für integrative Begegnungen für alle Menschen in Leipzig anzunehmen, wurden im Juli seitens der Initiative so beschrieben: „Die Stadt ließ uns hängen, der OB hat uns übers Ohr gehauen.“ Kein gutes Indiz für ein besseres Miteinander in Leipzig. Und man merkt – die Jugend hat keine Zeit, sie will und wird machen. Weiter für dieses Anliegen zu kämpfen, ist jungen Menschen also so nicht auszureden, wie die Ansprache von Noah heute deutlich machte. Wo wir bei der Kompromisslosigkeit wären, die manchmal Mauern durchstoßen kann.
Das Audio der Rede von Noah zum Nachhören
Marco Böhme (Die Linke, MdL Sachsen) nahm in seiner Rede hingegen Bezug auf die Tat am 22. Juli in München. Schockiert sei er von der Tat, doch bei Böhme überwog die Wut über die vielen voreiligen Sprüche aus konservativen und rechten Kreisen wie „Multikulti bringt uns allen den Tod.“
Das eine habe mit dem anderen nichts zu tun. „Geht nach Hause und schämt Euch!“, so Böhme in seiner Rede, in welcher er auch auf Zustände an anderen Orten auf der Welt verwies. Kulturpolitik habe eine Schlüsselrolle. Böhme: „Menschen mit Kultur im Hirn haben auch ein offenes Herz.“
Das Audio der Rede von Marco Böhme zum Nachhören
Apropos Herz. Mit einem Gedanken konnte man sich guten Gewissens von dieser Ansammlung änderungswilliger junger Menschen auf dem Augustusplatz frohen Herzens trennen und sie ihrer anstehenden Feier am Abend überlassen. Sie scheinen sich im Alltag längst an ihren Widerstand gegen Rassismus und gegen schnelle Vorurteile gewöhnt und doch nicht gewöhnt zu haben.
Für sie ist eine Party machen, sich täglich einmischen und dabei auf Ungerechtigkeiten zu achten normaler, als für so manchen Sachsen. Vor allem für die, welche immer noch glauben, dass sie hohe Mauern und geschlossene Türen vor den Unwägbarkeiten und Herausforderungen des Lebens schützen können.
Das Audio der Rede von Maren zum Nachhören
Es gibt wohl kaum ein plakativeres Bild, als eine Mauer einzureißen, auf welcher all das steht, was diese Leipziger Jugend nicht mehr will. Es ist ihr Privileg, Veränderung zu fordern. Jetzt.
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Es gibt ja anscheinend doch noch Hoffnung.